Dortmund/Düsseldorf. Immer mehr Gefangene sind psychisch auffällig. Medienwände sollen Verzweifelten helfen, die keinen Menschen mehr an sich heranlassen.

Es sieht aus wie das Handy eines Riesen, und die Apps darauf dienen der Beruhigung: Viele der 36 Justizvollzugsanstalten in NRW werden bald mit „Medienwänden“ ausgestattet, die Gefangenen aus einer schweren Krise heraushelfen sollen. NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) informierte sich am Donnerstag in der JVA Dortmund darüber, was das Gerät leisten kann. Dort wird es schon seit 2021 erfolgreich erprobt.

Praktisch unzerstörbar

Erik Kuipers aus Eindhoven entwickelt die Medienwände und verkauft sie inzwischen an Psychiatrien und die Justiz in zwölf Ländern, darunter die USA und Kanada. Stückpreis inklusive Lizenz: 22.000 Euro. Kuipers war Pfleger in Kliniken für psychisch kranke Straftäter in den Niederlanden und weiß, was es heißt, wenn Frauen und Männer so verzweifelt sind, dass sie keinen mehr an sich heranlassen. Die Medienwand ist ein geduldiger Partner. Sie hält auch Wut aus. Um das zu beweisen, tritt und schlägt Kuipers auf den etwa 150 Zentimeter hohen Kasten ein. „Das kann man stundenlang machen. Da geht nichts kaputt.“

Das „Riesenhandy“ ist für Gefangene mit massiven psychischen Auffälligkeiten gedacht, wie Minister Limbach erklärt. Und von denen gebe es immer mehr in den Haftanstalten. Bis zu 40 Prozent der Gefangenen sollen betroffen sein, heißt es im NRW-Justizministerium.

Psychische Erkrankungen nehmen zu -- nicht nur im Knast

Eine Vergleichszahl aus früheren Jahren hat keiner der Anwesenden parat, aber die Beschäftigten der JVA Dortmund versichern, dass es seit einiger Zeit diesen besorgniserregenden Trend gebe. Einer von ihnen, schon seit 1989 im Dienst, führt die steigende Zahl psychisch auffälliger Gefangener zum Teil auf die zerstörerische Wirkung synthetischer Drogen zurück.

JVA-Chef Ralf Bothge erklärt, dass unter den Betroffenen Kriegstraumatisierte seien und solche, die die lange auf der Straße gelebt hätten. Einige von ihnen seien suizidgefährdet. Justizminister Limbach erkennt Parallelen zur Welt außerhalb der Gefängnismauern: „Psychische Erkrankungen nehmen auch in der Gesamtgesellschaft deutlich zu.“

Viele Angebote, aber möglichst nicht alle auf einmal

Die Medienwand hängt in einer so genannten Schlichtzelle, in der Gefangene, die sich in einer Ausnahmesituation befinden, untergebracht werden. Das Gerät ist eine kommunikative Brücke zwischen den Betroffenen und dem JVA-Personal. Es zeigt zum Beispiel Bilder aus der Natur oder von der Familie, man kann darauf malen, spielen, Musik hören, Texte lesen, auch fernsehen. Dieses Angebot müsse man aber behutsam dosieren, sagt Erfinder Kuipers. In der Krise sei „weniger manchmal besser“.

Medienwände wurden zuerst in der forensischen Psychiatrie eingesetzt. Die bayerische Justiz hat gute Erfahrungen damit gemacht. Ex-NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) startete 2021 einen Pilotversuch in den JVA Dortmund und Iserlohn. Nach und nach sollen 22 Gefängnisse in NRW damit ausgestattet werden.