Düsseldorf. Viele Tatverdächtige bei Kinder- und Jugendpornografie sind minderjährig. Die Landesmedienanstalt NRW will Jugendliche sensibilisieren.

Ein Mädchen, etwa achte Klasse, und ihr Klassenkamerad betreiben auf der Schultoilette Oral-Verkehr. Ein Mitschüler filmt. Und zeigt das Filmchen herum. Die Konsequenz: Das Mädchen verlässt nach schweren Mobbingattacken die Schule und sogar die Stadt. So erzählt es Phil Robin (18) über einen Fall an seiner Schule im Großraum Bonn, der ihn noch immer fassungslos macht. Was mit dem filmenden Jungen passiert ist, weiß er nicht.

Laut der Landesanstalt für Medien (LfM) in NRW ist das kein Einzelfall. „Im Bereich der Strafverfolgung bei Kinder- und Jugendpornografie fällt auf, dass viele Täter minderjährig sind“, sagt Sprecherin Nele Nieuwenhuis. „Viele Jugendliche wissen jedoch nicht, dass ein vermeintlicher Scherz einen Eintrag ins Führungszeugnis oder sogar eine Vorstrafe bedeuten kann.“ Eine neue landesweite Kampagne soll Jugendliche nun vor den Folgen von „Sexting“ warnen.

40 der Tatverdächtigen sind minderjährig

Rund 40 Prozent der Tatverdächtigen sind nach Einschätzung von Experten minderjährig. Und laut Landeskriminalamt (LKA) NRW ist die Zahl der Straftaten im Bereich „Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung“ von Kinder- und Jugendpornografie im vergangenen Jahr stark gestiegen. 2021 wurden demnach 1349 Fälle „strafbewährter Handlungen im Kontext mit jugendpornografischen Schriften“ registriert – 642 Fälle mehr als im Vorjahr. Damit verzeichnet das LKA einen Anstieg von rund 90 Prozent. In dem Bereich geht es um Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren.

Auch die Zahl der Straftaten im Bereich Kinderpornografie (Kinder unter 14 Jahre) hat sich im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt. Über 80 Prozent der Tatverdächtigen waren männlich. Die Anstiege seien laut LKA auf einen gestiegenen Ermittlungsdruck zurückzuführen. Auffällig ist allerdings: Rund 40 Prozent der Tatverdächtigen waren minderjährig.

Grenzen verschwimmen schnell

Mit der Kampagne will die Landesmedienanstalt Kinder und Jugendliche für das Thema „Sexting“ sensibilisieren. Der Begriff setzt sich aus dem englischen Wort Texting (Texten) und Sex zusammen. Damit ist das Versenden von erotischen Nachrichten, Fotos und Videos gemeint. Auf mehr als 1500 Gewerbegroßflächen in NRW sind die leuchtenden Motive der Kampagne zu sehen. Zudem laufen Videospots in Schnellrestaurants wie McDonalds oder Burger King. Über 300 Jugendeinrichtungen erhalten ebenfalls Info-Poster. Weiterführende Schulen können die Materialien auch bestellen.

Lesen Sie auch: So helfen Medienscouts Schülern bei Mobbing im Netz

„Wir wollen jungen Menschen das Thema verständlich und vor allem zugänglich machen“, sagt Nieuwenhuis, „sie aufklären und ernst nehmen“. Außerdem wolle man die klare Botschaft senden, dass nichts gegen das einvernehmliche Versenden erotischer Nachrichten spricht, so Nieuwenhuis. Mittlerweile gehöre das Sexting für viele Jugendliche zur Entdeckung ihrer Sexualität dazu. Die Grenzen könnten allerdings schnell verschwimmen.

„An niemanden weiterleiten“

Laut Henning Mellage, Rechtsexperte der Landesmedienanstalt, passiert beim reinen Texten in der Regel nichts. „Bei Nacktbildern im kinder- und jugendpornografischen Bereich wird es komplizierter“, so Mellage. Hier komme es auf den jeweiligen Fall an. Ein Selfie, dass die nackte Brust zeigt, reiche für eine Straftat nicht aus. Ablichtungen der Geschlechtsteile, wie zum Beispiel sogenannte „Dick Pics“, gelten in den meisten Fällen als pornografisches Material. Empfängerinnen und Empfängern rät Mellage deshalb dringend, das Bild nicht an die beste Freundin weiterzuleiten, sondern direkt zur Polizei zu gehen. Denn mit dem Versenden mache sich die betroffene Person selbst strafbar.

Das Verbreiten und der Besitz von Videos mit kinder- und jugendpornografischen Inhalten gelten ebenfalls als Straftat. „Wenn so etwas im Klassenchat auftaucht, bitte an niemanden weiterleiten“, warnt Henning Mellage. „Selbst, wenn es vermeintlich gute Gründe gibt.“ Um das Material nicht automatisch zu besitzen, rät der Experte, die automatische Downloadfunktion in den Handyeinstellungen auszustellen. Im Strafgesetzbuch gibt es allerdings eine Ausnahme, so Mellage: So darf ein Jugendlicher von sich selbst pornografisches Material erstellen und dieses auch besitzen. Zudem darf er Fotos oder Videos an einen zweiten Jugendlichen schicken, sofern dieser damit einverstanden ist. „Das Material darf dann aber nur in dieser Zweier-Konstellation besessen werden und sollte auf keinen Fall an Dritte weitergeleitet werden“, betont Mellage.

„Das ist Normalität“

Eylülsu hat als Schülersprecherin einer Bochumer Hauptschule schon häufig von Nacktbildern in Chatgruppen gehört. „Das ist Normalität“, sagt die 16-Jährige. Die meisten wüssten nicht, dass das Weiterleiten strafbar ist. Die Schülerin erinnert sich an einen Fall im vergangenen Jahr: „Eine Achtklässlerin meldete sich bei mir, weil Nacktbilder von ihr im Klassenchat herumgingen.“ Dort hinein gestellt hatte das Foto ein Klassenkamerad, dem das Mädchen das Bild zuvor geschickt hatte. „Die Schülerin hat sich anschließend bei mir gemeldet, weil sie erniedrigt und ausgegrenzt wurde“, erzählt Eylülsu. „Zum Glück haben die Eltern der Betroffenen den Täter angezeigt.“

Die Bochumer Schülersprecherin freut sich über die Kampagne und hofft, dass Situationen wie diese dadurch weniger werden.

>>>Im Falle einer Verurteilung nach dem Jugendstrafrecht bekommt die Täterin oder der Täter einen Eintrag ins Führungszeugnis. Nach Angaben des Rechtsexperten der Landesmedienanstalt könnte den verurteilten Jugendlichen nach Vorlage des Führungszeugnisses die Arbeit in bestimmten Berufen, beispielsweise mit Kindern, verwehrt werden. Der Eintrag ins Führungszeugnis erfolge immer ergänzend. Die Strafe an sich können eine Geldstrafe, Sozialstunden oder Ähnliches sein. Kinder unter 14 Jahren sind zwar nicht strafmündig, im Rahmen von Ermittlungen können jedoch Eltern eingebunden, Handys beschlagnahmt oder das Jugendamt eingeschaltet werden.