Düsseldorf. Die Landesregierung will das Projekt „Medienscouts“ flächendeckend an Schulen in NRW einführen. Viele Schüler sind im Netz von Mobbing betroffen.

Am Ende geisterte sogar ein Spottlied über Fynn durchs Netz. Hass und Hetze in Klassenchats waren längst Alltag. Bis zur siebten Klasse ging das so. Cybermobbing war Fynns ständiger Begleiter. Noch heute spricht der Teenager, der mit seiner blonden Skaterfrisur selbstbewusst wirkt und seinen richtigen Namen lieber nicht nennen möchte, nur zögerlich über das jahrelange Martyrium. „Ich war damals schüchtern und unsicher und wusste einfach nicht, was ich dagegen tun sollte“, sagt er.

Um Kindern und Jugendlichen wie Fynn in ihren digitalen Notlagen zu helfen, hat Nordrhein-Westfalen vor über zehn Jahren das Projekt „Medienscouts“ ins Leben gerufen. Das Prinzip: Speziell ausgebildete Schüler stehen ihren Mitschülern an weiterführenden Schulen zur Seite. Inzwischen haben schon rund 1000 Schulen, mehr als 5200 Schüler und etwa 2300 Beratungslehrkräfte mitgemacht. Es ist das größte Angebot dieser Art in Deutschland.

Kinder werden immer früher mit Hass, Fake News und sexueller Belästigung konfrontiert

„Mit der wachsenden Möglichkeit der Digitalisierung steigen zugleich ihre Gefahren“, sagt NRW- Schulministerin Dorothee Feller (CDU) am Montag bei einer „Medienscouts Convention“ in Düsseldorf. Rund 220 Schülerinnen und Schüler gehen dabei in Workshops mit Medienscouts und Lehrkräften der Frage nach, wie soziale Netzwerke zu einem sichereren Ort gemacht werden können. Falschnachrichten, Hassreden, Cybermobbing, sexuelle Belästigung – Heranwachsende, die immer früher permanent das Handy in der Hand haben, sollen nicht allein gelassen werden.

Die Stärkung von Medienscouts sei eine logische Konsequenz dieser Entwicklung, kündigt die Schulministerin an. Ziel sei die flächendeckende Ausweitung des Medienscout-Programms auf alle weiterführenden Schulen in NRW. Zudem müsse man inzwischen auch Grund- und Förderschulen in den Blick nehmen. „Wir beobachten, dass die Internetnutzung bei den Kindern immer früher beginnt“, berichtet Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien. Da die Scouts etwa im gleichen Alter seien wie ihre Mitschüler, könnten sie Inhalte auf Augenhöhe vermitteln und bei akuten Problemen als Ansprechpersonen direkt helfen.

Cybermobbing: Betroffene fühlen sich oft schuldig

Lara Büsges (16) und Chantale Veiser (17) gehen in die elfte Klasse einer Gesamtschule in Neuss und beraten schon seit über vier Jahren als Medienscouts. Gerade beschäftigen sie sich an ihrer Schule mit der Nutzungsdauer von sozialen Medien. „Die Ergebnisse des Workshops mit einer achten Klasse waren echt krass“, erzählt Lara. „Die meisten haben gemerkt, dass sie viel zu lange am Handy sind.“ Neben Workshops bieten die Mädchen auch Sprechstunden an, in denen ihre Mitschüler über persönliche Probleme sprechen können. „Viele, die von Mobbing betroffen sind, fühlen sich selbst schuldig und trauen sich nicht, ihre Lehrer direkt anzusprechen“, sagt Lara.

„Wir wollen den Schülern vermitteln, dass sie sich bei uns wohlfühlen können und nicht verschließen müssen.“Cybermobbing ist das größte Problem für viele Schüler, von dem die Elternhäuser nicht immer etwas mitbekommen. Je nach Schwere des Falls wenden sich die beiden Scouts an dafür ausgebildete Beratungskräfte der Schule und besprechen das weitere Vorgehen.

Als Medienscouts an der Neusser Gesamtschule Norf im Einsatz: Lara Büsges (16, li.) und Chantale Veiser.
Als Medienscouts an der Neusser Gesamtschule Norf im Einsatz: Lara Büsges (16, li.) und Chantale Veiser. © Laura Lindemann

Die beiden Mädchen werden aber auch ins Vertrauen gezogen, wenn Mitschüler einfach jemanden zum Reden brauchen. So wie bei der 14-Jährigen, die neu auf ihre Schule kam und an der vorherigen schlimme Erfahrungen gemacht hatte. Sie war von einem Mann Anfang 20 dazu gedrängt worden, ihm Nacktfotos von sich zu schicken. Das Mädchen fühlte sich unter Druck gesetzt und fügte sich. Die Fotos tauchten kurz darauf im Internet auf. Medienscout Chantale atmet tief ein und aus, als sie sich an den Fall erinnert: „Wenn ich so etwas mitbekomme, erschreckt mich das. Dann habe ich einfach nur große Angst davor, dass es auch meine Freunde treffen könnte.“

Medienscouts von ausgebildeten Beratungskräften unterstützt

Hilfe erhalten Medienscouts von ihren Beratungskräften an der Schule. Das sind Lehrer, die eine gesonderte halbjährige Ausbildung hinter sich haben. Eine von ihnen ist Anke Schweizer, die ihren Medienscouts an einer Realschule in Bergisch Gladbach zur Seite steht. Sie gibt Fortbildungen zu Themen wie Falschnachrichten, Social-Media-Nutzung oder digitale Spiele. „Wenn man in einer Schulklasse nach Mobbing-Erfahrungen im Internet fragt, gehen immer mindestens vier Hände nach oben“, sagt Schweizer.

Fynn wird heute nicht mehr gemobbt. Er macht bald seinen Schulabschluss und hat mit Kampfsport angefangen. Früher hätte er sich dringend einen Medienscout gewünscht. „Das“, sagt er entschlossen, „hätte so vieles erleichtert.“