Bochum. Mit 99 Jahren hat Elisabeth Dworecki einen Schlaganfall erlitten. Im Bochumer St. Josef-Hospital wurde ihr geholfen - mit einer „Thrombektomie“.

Nach Hause. Dorthin träumt sich Elisabeth Dworecki in unruhigen Nächten in der Klinik zurück. Nach Hause, in die geliebte Wohnung in Wattenscheid mit dem Seerosenteich im Garten. „Ich hatte es schön“, erzählt die 99-Jährige. „Wenn die Sonne schien, konnte ich draußen sitzen.“ Den Fischen im Teich zuschauen.

Nur wenige Wochen vor ihrem 100. Geburtstag traf Elisabeth Dworecki der Schlag. Zwölf Tage später kann sie schon wieder laufen, sprechen, lachen. Damit beeindruckt sie sogar die Ärzte, die ihr im Bochumer St. Josef-Hospital das Blutgerinnsel aus dem Kopf entfernten. So gut wie die 99-Jährige erholen sich bei weitem nicht alle der rund 270.000 Menschen, die in Deutschland jedes Jahr einen Schlaganfall erleiden. Der Weltschlaganfalltag am Samstag, 29. Oktober, soll Bewusstsein schaffen.

99-Jährige Schlaganfallpatientin erhält Thrombektomie

„Ich bin wach geworden, konnte nicht mehr hören und wusste gar nicht, wo ich war.“ Elisabeth Dworecki schließt die Augen. „Ich hatte Angst.“ Ihre Nachbarin habe sofort gewusst, was los war, und Hilfe verständigt. Ein Glück für die 99-Jährige, denn so wurde sie auf schnellstem Wege in die „Stroke Unit“ des St. Josef-Hospitals gebracht. „Die Prognose war nicht unbedingt gut“, erinnert sich Prof. Christos Krogias, Leiter der Schlaganfall-Spezialstation. Aufgrund eines großen Blutgerinnsels im Gehirn konnte Elisabeth Dworecki nicht mehr sprechen, war halbseitig gelähmt.

Sie kann wieder lachen und aus ihrem bewegten Leben erzählen: Mit 99 Jahren hat Elisabeth Dworecki ihren Schlaganfall und die OP, bei der das Blutgerinnsel entfernt wurde, besser überstanden als viele jüngere Patienten.
Sie kann wieder lachen und aus ihrem bewegten Leben erzählen: Mit 99 Jahren hat Elisabeth Dworecki ihren Schlaganfall und die OP, bei der das Blutgerinnsel entfernt wurde, besser überstanden als viele jüngere Patienten. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Mit einer Schlüsselloch-Operation, einer Thrombektomie, konnten die Ärzte Elisabeth Dworecki helfen. Bei dem Eingriff machen sie einen kleinen Schnitt an der Leiste, über den sie ein schlauchartiges Werkzeug in den Körper des Patienten einführen. „Wir dringen mit dem Katheter in das Gefäßsystem des Gehirns vor“, erklärt Prof. Carsten Lukas, Chefarzt der Neuroradiologie. „Dann ziehen wir das Gerinnsel mit einem Drahtgeflecht heraus.“ Möglich sei das nur bei besonders großen Gefäßverschlüssen, somit komme die Thrombektomie etwa bei jedem zehnten Patienten in Frage.

Das FAST-Konzept zur Erkennung von Schlaganfallsymptomen stammt aus den USA.
Das FAST-Konzept zur Erkennung von Schlaganfallsymptomen stammt aus den USA. © funkegrafik nrw | Marc Büttner

Verfahren bedeutete „Revolution“ für die Schlaganfalltherapie

Für Lukas, der auch Elisabeth Dworecki operierte, ist der Eingriff längst Routine. Pro Jahr führen er und sein Team rund 80 solcher Thrombektomien durch. In Fachkreisen gelte das Verfahren seit 2015 als allgemein anerkannt. Damals eine „Revolution“ in der Behandlung von Schlaganfallpatienten: „Sofern noch genug unbeschädigtes Gewebe vorhanden ist, kann der Eingriff auch noch zwölf Stunden nach dem eigentlichen Schlaganfall durchgeführt werden“, erläutert Lukas. Dagegen sei das Wirkfenster bei der medikamentösen Therapie, der Thrombolyse, auf wenige Stunden nach dem Schlaganfall begrenzt. Weil viele Patienten zu spät kämen, finde auch die „Lyse“ nur bei etwa einem Fünftel der Betroffenen Anwendung.

Prof. Dr. Lukas arbeitet seit vielen Jahren im Bochumer St. Josef-Hospital. Eingriffe wie die Thrombektomie sind für den Neuroradiologen Routine - und doch immer wieder faszinierend, wie er sagt.
Prof. Dr. Lukas arbeitet seit vielen Jahren im Bochumer St. Josef-Hospital. Eingriffe wie die Thrombektomie sind für den Neuroradiologen Routine - und doch immer wieder faszinierend, wie er sagt. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Schlaganfall mit 99 Jahren: Schuld waren Herzrhythmusstörungen

Die Ursache eines Schlaganfalls können Mediziner nicht immer finden. In Elisabeth Dworeckis Fall verriet das EKG: Herzrhythmusstörungen. Die kommen bei Menschen über 80 häufiger vor, erklärt Prof. Krogias: „Wenn das Herz unregelmäßig schlägt, können sich Gerinnsel bilden. Die schießen hoch und verstopfen ein Gefäß.“

Damit so etwas nicht noch einmal vorkommt, nimmt Elisabeth Dworecki ab sofort jeden Tag Blutverdünner. Mit 99 könnte sie die älteste Patientin sein, die bisher im St. Josef-Hospital thrombektomiert wurde. Die jüngste war 18 oder 19 Jahre alt, erinnert sich Krogias. Bei einem Sturz hatte sie sich die Halsarterie verletzt. Es bildete sich ein Gerinnsel, das in den Kopf wanderte. Das Beispiel der jungen Frau zeigt: Obwohl Schlaganfälle zu den Alterserkrankungen zählen – Betroffene sind im Schnitt 73 Jahre alt –, können sie jeden treffen.

Bei einem Schlaganfall gilt: Keine Zeit verlieren

Die Aufklärung über Schlaganfälle sei in den vergangenen Jahren weit fortgeschritten, so Krogias. Es sei wichtig, sich Risikofaktoren wie Diabetes, Bluthochdruck, Herzerkrankungen und Stress bewusst zu machen. „Wir bemühen uns aber auch, über Gesundheitsfaktoren zu reden.“ Sport und Bewegung sind ein Muss, Übergewicht unbedingt zu vermeiden. „Vier- bis fünfmal die Woche für eine Stunde schnell spazieren gehen, das macht viel aus“, legt der Fachmann seinen Patienten ans Herz.

Prof. Dr. Christos Krogias leitet die Schlaganfall-Spezialstation im St. Josef-Hospital. Für den Neurologen ist die wichtigste Regel bei Schlaganfällen: „Time is Brain“, Zeit ist Gehirn.
Prof. Dr. Christos Krogias leitet die Schlaganfall-Spezialstation im St. Josef-Hospital. Für den Neurologen ist die wichtigste Regel bei Schlaganfällen: „Time is Brain“, Zeit ist Gehirn. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann Funke Foto Services

Aber was, wenn es trotzdem passiert? „Dann gilt: Time is Brain.“ Zeit ist Hirn. „In jeder Minute, die nach einem Schlaganfall vergeht, sterben zwei Millionen Gehirnzellen“, erläutert der Neurologe. Je früher der Patient ins Krankenhaus kommt, desto besser: „Wenn plötzlich eine Lähmung, eine Sprachstörung, ein hängender Mundwinkel auftritt – nicht abwarten, nicht liegen bleiben. Sofort die 112 anrufen.“

Vor dem Schlaganfall „immer ganz gesund“

„Ich hatte eigentlich immer Glück“, sagt Elisabeth Dworecki von sich selbst und meint damit nicht nur den Schlaganfall. Ihr Leben lang sei sie „immer ganz gesund gewesen“, immer fleißig. Nach dem Krieg führten sie und ihr Mann erst einen, dann zwei Läden, in denen sie Lebensmittel verkauften. Und Perlonstrumpfhosen für 13 DM. Von den Gastarbeitern, die morgens auf dem Weg zur Zeche vorbeikamen, lernte die Bochumerin die ersten Brocken Spanisch, wurde später Dolmetscherin bei Opel.

Dass ihr die Worte einmal wegbleiben würden, hätte ja keiner ahnen können. Sie habe immer gern Kreuzworträtsel gemacht. „Jetzt ist mir das zu schwer. Was mir früher eingefallen ist, ist nicht mehr da.“ Alles ganz normal, sagen die Ärzte. Das Gehirn müsse sich erst erholen. Es komme überhaupt nur sehr selten vor, dass sie ihre Patienten so ganz ohne Reha entlassen können. Elisabeth Dworecki nickt: „Ich hatte aber auch den Willen dazu.“

>>> INFO: „Comprehensive Stroke Unit“ im St. Josef-Hospital Bochum

  • 1996 gegründet, zählt die Schlaganfall-Spezialstation im Bochumer St. Josef-Hospital zu den ersten und größten „Stroke Units“ Deutschlands. Insgesamt gibt es rund 330 Stück. Für die Zertifizierung müssen die Spezialstationen an die 50 Kriterien erfüllen.
  • Die Schlaganfall-Spezialtation des St. Josef-Hospitals ist eine sogenannte „Comprehensive Stroke Unit“. Bei der Behandlung von Schlaganfallpatienten arbeiten hier mehrere Fachbereiche wie die Neurologie, die Neuroradiologie und die Kardiologie eng zusammen.
  • Zehn Monitor-Betten ermöglichen die Überwachung der Patienten in den ersten Tagen nach dem Schlaganfall. Ist diese kritische Phase überstanden, ziehen sie in ein Nicht-Monitor-Bett um. Ein Stationswechsel ist nicht notwendig, die Patienten werden während des gesamten Aufenthalts von denselben Ärzten, Pflegern und Therapeuten versorgt.