Duisburg. Fische ersticken, Raupen verhungern, Molche vertrocknen. Das Ökosystem des Rheins steht unter Stress – und wird sich wandeln.
Die Blaue Kuhle war einmal. Hier liegt nun eine graue Depression. Das Schwanennest, das im Frühjahr wie eine Wasserburg den Tümpel beherrschte, ist aufs Trockene gefallen, der Boden durchzogen von Rissen. Landpflanzen marschieren auf, um diese Ruine einzunehmen. „Seit acht Wochen ist hier kein Wasser mehr drin“, sagt Tobias Rautenberg von der Biologischen Station Westliches Ruhrgebiet. Die Blaue Kuhle in Duisburg-Baerl sei in den letzten Jahren häufiger trockengefallen, aber nie so früh, nie so lange und nie so vollständig. Ein paar Pfützen gab es immer noch, in denen sich Fischeier, Libellenlarven und Kammmolche konzentrierten, um das Ökosystem neu zu starten . . . Aber nun?
Die Erholung dauert Jahre
„Das Ökosystem ist tot“, erklärt Rautenberg. Wenn sich die Kuhle wieder mit Wasser füllt, müssen alle Arten den Tümpel neu entdecken, Libellen kommen schnell wieder, aber Fischeier werden nur vereinzelt im Gefieder von Wasservögeln eingetragen. Bis hier wieder zehntausend Elritzen schwimmen, wird es einige Jahre dauern – sofern keine weitere Dürre dazwischenkommt. Und so lange haben die Vögel nichts zu futtern: der Eisvogel, der Zwergtaucher, der Storch. „Vermutlich haben sie ihre erste Brut durchbekommen, aber die Jungtiere sind auf Larven und Fische angewiesen“, sagt Rautenberg. „Und wenn die streng geschützten Kammmolche ihren Zyklus nicht abschließen konnten, wird die Population auch geschwächt.“
Abgestorbene Bäume, braunes Gras: Wenn die Pflanzen früh verdörren, „gucken auch Insekten in die Röhre“, erklärt Rautenberg: Schmetterlingsraupen brauchen saftige Pflanzen, um davon zu fressen. Das Landkärtchen und der Schornsteinfeger sind bereits seltener geworden. Viele Blumen schaffen nur noch eine kurze Notblüte – schlecht für Wildbienen.
Neue Tiefststände erwartet
Das Naturschutzgebiet liegt hinterm Deich, wenn man darauf steigt, sieht man das Kraftwerk Walsum und davor einen denkwürdig schmalen Rhein. Der Pegel liegt zwar wieder rund 60 Zentimeter über den Tiefstständen vor zwei Wochen, doch das scheint nur eine Welle zu sein, ausgelöst durch Regen im Süden Deutschlands. Rautenberg geht davon aus, dass wir bis Oktober weitere Negativrekorde sehen werden. Zugleich häufen sich die Jahre mit extremem Niedrigwasser, dadurch verändert sich das Ökosystem des Rheins – vor allem in seinen Auen.
Ein natürliches Flusssystem ist er längst nicht mehr. Der Rhein ist begradigt, fließt schneller, mehr als 250 Schiffe passieren die Stelle bei Homberg jeden Tag, an der wir nun stehen – unter einer Weide im Herbstmodus, auf Kies und Körbchenmuscheln. Andere gibt es kaum noch. Die ostasiatische Körbchenmuschel ist im Ballastwasser von Frachtschiffen in den Rhein gelangt und hat heimische Arten wie die Malermuschel verdrängt. Die Körbchenmuschel ist so erfolgreich, dass sie zwischenzeitlich 90 Prozent der tierischen Biomasse ausmachte, schätzt Biologieprofessor Daniel Hering von der Uni Duisburg-Essen. „Sie filtriert das Plankton weg und macht so das Wasser klarer.“ Aber eben das fördert die Ausbreitung der Wasserpest (Elodea). Und die Muschel wird wohl weiter vom Klimawandel profitieren, denn sie mag es warm.
Ähnlich verhält es sich mit der Schwarzmaul-Grundel, einer anderen zugewanderten Art, die seit 2004 Brasse, Barbe oder Kaulbarsch fast verdrängt hat. Denn sie frisst deren Eier und hat selbst kaum Fressfeinde.
Der Löffler ist zurück
Der Rhein selbst strotzt also nicht vor Artenvielfalt, seine Auen und Altarme allerdings schon mit ihren Tümpeln und Röhrichten. Ein Löffler fliegt gerade über Homberg. Auf der Bislicher Insel bei Xanten ist er erst seit zwei Jahren heimisch, in Duisburg lässt er sich nur sporadisch sehen: ein Reiher mit plattem Schnabel. Es könnte an dem Nahrungsangebot liegen. Vierzig Zentimeter lange Brassen treiben aufgedunsen im Wasser eines kleinen Auensees, die Verwesung hat einen weißlichen Film produziert, der sich wie Öl ans Ufer legt. Hunderte Gräten und vertrocknete Fischreste zeugen von einem Festmahl für die Ibisse, Lachmöwen, Gänse, und ja: Dort stehen auch zwei Störche.
„Die Fische haben tagelang gekämpft“, hat Rautenberg beobachtet. „Sie kamen an die Oberfläche, als wollten sie atmen. Das funktioniert natürlich nicht, wenn man Kiemen hat.“ Sie sind dann erstickt. Denn auch hier steht das Wasser so niedrig, wie nie. Darum hat es sich aufgeheizt und konnte nicht mehr so viel Sauerstoff speichern. Zugleich hatten sich Algen stark vermehrt und verbrauchten in der Nacht den Sauerstoff, den sie am Tage produzierten. Kurz: „Der See ist gekippt.“
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Noch ist nicht klar, was genau zum Fischsterben in der Oder geführt hat. Doch wie am Rhein gab es weniger und wärmeres Wasser – jede Menge Stress also. Wenn weitere Belastungen dazukommen, sei es durch Algen, Salze oder Chemie, wird es eng. Der Rhein führt in normalen Zeiten mehr als viermal so viel Wasser wie die Oder. Darum hält Rautenberg es für unwahrscheinlich, dass sich ein solches Drama hier abspielen könnte. „Aber ausschließen kann man es auch nicht mehr.“