Duisburg. Das Niedrigwasser bedroht Binnenschifffahrt und Industrie – erneut. Dabei ist schon 2016 beschlossen worden, den Fluss durchgängiger zu machen.

Wie der fliegende Holländer, so taucht das Wrack „De Hoop“ nur alle paar Jahre an Land auf – wenn der Rhein bei Kleve besonders niedrig fällt. Nun ist der vor 127 Jahren gesunkene Dynamitfrachter wieder zu sehen, sogar ein paar Tage eher als im Dürrejahr 2018. Damals sanken die Pegel entlang des Rheins auf Rekordtiefs. Um nicht auf Grund zu laufen, fuhren die Binnenschiffe nur mit sehr viel weniger Fracht. Thyssenkrupp in Duisburg musste den Versorgungsnotstand ausrufen – zum ersten Mal seit dem Weltkrieg.

Die Pegel fallen weiter

Produktionsausfälle drohen erneut, denn die Pegel liegen bereits sehr niedrig, in Duisburg-Ruhrort aktuell bei 185 Zentimetern, nur noch 32 über dem Rekordtief von Oktober 2018. Tendenz fallend, und bis Ende August erwartet die Bundesanstalt für Gewässerkunde „keine durchgreifende Verbesserung“. Industrie und Binnenschiffer sind alarmiert – und verärgert.

Denn schon 2016 hatte der Bundestag beschlossen, den Rhein an zwei Abschnitten durchgängiger zu machen, am Mittelrhein bei Kaub und am Niederrhein zwischen Duisburg und Dormagen. Bis zum Neusser Hafen soll die Fahrrinne um 30 Zentimeter auf 2,80 Meter vertieft werden, bis zum Hafen Stürzelberg um 20 Zentimeter. Wie steht es nun um das Projekt „Rheinvertiefung“ in NRW?

Das ist nun freilich populär ausgedrückt. Die Planer und Binnenschiffer sagen „Abladeverbesserung“, wobei Abladung die Eintauchtiefe der Schiffe meint. Rheinvertiefung – da hat jeder gleich ein Bild vor Augen, und das ist aus Sicht von Imke Evers-Hoehr Teil eines großen Missverständnisses. „Man stellt sich vor, dass die großen Bagger anrücken“, sagt die Leiterin des Projekts „Strecke Niederrhein“ beim Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Rhein in Duisburg. „Aber einfach nur baggern hilft der Schifffahrt kein bisschen.“ Man werde nicht ganz ohne auskommen, aber wo der Grund abgetragen wird, sollen Buhnen oder Leitdämme den Effekt mindestens ausgleichen.

Kleine Inseln im Rhein

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Naturschutzverbände wie Bund und Nabu haben sich bereits früh gegen das Projekt positioniert. Ihr zentrales Argument: Wenn in der Mitte des Flusses gebaggert wird, sinkt der Wasserstand an den Rändern. Die Auen mit ihren Tümpeln würden öfter trocken fallen, Seitenarme öfter abgeschnitten, Lebensräume verloren gehen. „Das wäre auch so, wenn wir nur die Sohle tiefer baggern würden“, sagt Imke Evers-Hoehr. „Aber das ist nicht das Ziel.“ Es gehe nicht darum, den Fluss einfach tiefer zu legen. Und schon gar nicht auf der ganzen Projektstrecke. Im Gegenteil. An den zwei Stellen, wo gebaggert werden muss, soll der Wasserspiegel möglichst angehoben werden.

Buhnen ragen als Wälle quer in den Fluss und senken die Fließgeschwindigkeit am Rand, erhöhen sie aber in der Mitte. Dort staut sich das Wasser. Oder man baut „Leitwerke“, die wie Dämme längs im Fluss liegen und die Strömung auf einer Seite konzentrieren, was dort ebenfalls den Spiegel ansteigen lässt. Das Bauwerk selbst verdrängt natürlich auch Wasser, was den Effekt verstärkt. Auf seiner anderen Seite fließt das Wasser langsamer. „Mit Leitwerken kann man sogar naturnahe Bereiche schaffen, Ruhezonen für Fische und Vögel“, sagt Evers-Hoehr. „Und man kann die Bauwerke entsprechend naturnah gestalten.“ Sie könnten dann aussehen wie kleine Inseln im Rhein.

Planerisch sind die vierzig Kilometer unterteilt in vier Abschnitte, und in jeder dieser Teilstrecken „muss der Fluss auf ein bis drei Kilometern angepasst werden“, erklärt Imke Evers-Hoehr. Wobei der Rhein von Düsseldorf bis Krefeld bereits tief genug ist. Hier wollen die Planer nur „die zu schützende Sohle stabilisieren“, deren natürliche Kiesschicht bereits empfindlich dünn geworden ist. Wenn künftig die Schiffe schwerer beladen den Fluss hoch fahren, könnte dies die Erosion beschleunigen. Der Rhein und mit ihm das Grundwasser würde absinken.

Grobes Korn für die Flusssohle

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Darum wird an den betreffenden Stellen grobes Korn in die Sohle eingearbeitet. Dieses Teilprojekt ist tatsächlich schon vergeben, aber auch hier stört Russlands Krieg; wegen der gestiegenen Energiekosten laufen noch Nachverhandlungen. „Wir hoffen aber, dass es dieses Jahr noch losgeht und wir das Projekt 2024 beendet haben“, sagt Evers-Hoehr.

Drei Abschnitte verbleiben. Das Planfeststellungsverfahren für die markante Rheinschleife bei Düsseldorf soll als erstes beginnen, es folgt Dormagen. Als das Projekt 2016 im Bundesverkehrswegeplan landete, ging man davon aus, dass es bis 2030 abgeschlossen sein könnte. Nach heutigen optimistischen Schätzungen könnte der Weg bis zum Neusser Hafen ab 2035 tiefer befahrbar sein, das Gesamtprojekt könnte 2037 abgeschlossen sein.

Binnenschiffer sind verärgert

DBinnenschiffe können derzeit nicht voll beladen fahren.
DBinnenschiffe können derzeit nicht voll beladen fahren. © FUNKE Foto Services | Arnulf Stoffel

„Seit zehn Jahren kriegen wir es nicht hin“, sagt Jens Schwanen. „Das ist einem Außenstehenden nicht mehr vermittelbar.“ Der Geschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB) in Duisburg ärgert sich über die lange Vorlaufzeit des Projekts (dessen Vorplanungen schon lange vor 2016 starteten) und appelliert an die Bundesregierung, „die seit vielen Jahren überfällige Beseitigung der Engpässe im Wasserstraßennetz“ zu beschleunigen. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) habe versprochen, schneller zu planen und zu bauen. „Jetzt wird es höchste Zeit, dass danach gehandelt wird“, fordert Schwanen. „Absolut kontraproduktiv“ sei die von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) vorgesehene Senkung des Wasserstraßen-Etats um rund 360 Millionen Euro.

„Zu wenig Personal, zu wenig Geld“, erklärt Schwanen die Verzögerungen bei den Behörden. Anfangs fehlten Stellen, die seien zwar schließlich geschaffen worden, doch man schafft es offenbar nicht, sie zu besetzen. „Es fehlen Fachplanungsingenieure.“ „Wir kämpfen um jeden Zentimeter. Denn ein Zentimeter weniger Abladung bedeute für ein kleines Schiff rund zehn Tonnen weniger Fracht.

Das sagen IHK und „Bund“

Die Niederrheinische Industrie- und Handelskammer pflichtet bei: Bei den aktuellen Pegelständen fehlten 150 bis 200 Tonnen pro Schiff, erklärt Geschäftsführer Ocke Hamann. Das entspreche etwa zehn Lkw-Fahrten. Und übers Jahr passieren 100.000 Schiffe Emmerich. „Jeder Euro, der investiert wird, kommt doppelt wieder raus“ – oder genauer 2,1-mal, so steht’s im Bundesverkehrswegeplan.

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Bedenken haben freilich die Umweltverbände. „Man kann gegen den Klimawandel nicht anbaggern“, sagt Dirk Jansen, Chef des Bund NRW. Er räumt aber auch ein, dass es darauf ankomme, wie begrenzt die Maßnahmen ausfallen und ob sie Schutzgebiete berühren. Im Bundesverkehrswegeplan selbst wird darauf hingewiesen, dass es „erhebliche Beeinträchtigungen“ geben könne, etwa in den Rhein-Fischschutzzonen zwischen Emmerich und Bad Honnef. Sollte das Projekt gegen das Verschlechterungsverbot der EU-Wasserrahmenrichtlinie verstoßen oder gegen die FFH-Richtlinie (betreffend Schutzgebiete) würde der „Bund“ eine Klage erwägen. Die Weservertiefung konnte er so 2016 stoppen, vorerst.

„Wir müssen uns darauf einstellen, dass Niedrigwasserphasen länger andauern und sollten uns besser Gedanken machen, wie man andere Schiffstypen in den Markt bekommt“, sagt Jansen. Es gibt tatsächlich zahlreiche Pilotprojekte zu flachgängigeren Schiffen. „Die Technologie ist vorhanden, aber die Investitionszeiträume bei Binnenschiffen liegen bei 50 Jahren“, so Jansen. Die meisten Schiffer sind selbstständig und „die wenigsten haben die finanziellen Möglichkeiten, in ein neues Schiff zu investieren. Das geht nur mit entsprechenden Förderprogrammen.“ Hier allerdings trifft sich die Position des „Bund“ exakt mit der der Industrie- und Handelskammer