Dortmund. Nach tödlichen Polizeischüssen in Dortmund: Polizeipräsident Gregor Lange nimmt Stellung zu Rassismusvorwürfen und zur Lage in der Nordstadt.

Nach dem Tod des 16-jährigen Mouhamed D. in Dortmund bei einem Einsatz, sieht sich die Polizei Rassismus-Vorwürfen ausgesetzt. Staatsanwaltschaft Dortmund und Polizei Recklinghausen ermitteln. Im Gespräch nimmt Polizeipräsident Gregor Lange Stellung zur angespannten Situation in der Nordstadt.

Wie geht es den Polizisten, die beim Einsatz dabei waren?

Lange: Im Haus, auch bei mir persönlich, hat diese Tragödie Bestürzung ausgelöst. Es gibt Kollegen, die brauchen Unterstützung. Es ist nicht so, dass Polizeibeamte täglich mit solchen Fällen zu tun haben. In meiner nun achtjährigen Amtszeit ist es das erste Mal, dass ein Polizeieinsatz zum Tod eines Menschen geführt hat. Aber es macht auch betroffen, dass man nun in Teilen der Öffentlichkeit so emotionalisiert damit umgeht, ohne Kenntnis von Einzelheiten, ohne das Ermittlungsverfahren abwarten zu wollen. Bei einer Demonstration vor der Wache Nord hat man „Mörder“ skandiert und den Namen des Polizeibeamten gefordert. Das erinnert mich an finsterste Kapitel.

Was erleben die Polizisten bei Einsätzen in der Nordstadt?

Mouhamed D. - sein Foto hängt am Ort seines Todes, wo auch Kerzen aufgestellt sind.
Mouhamed D. - sein Foto hängt am Ort seines Todes, wo auch Kerzen aufgestellt sind. © Funke Foto Services | Fotograf Ralf Rottmann Funke Foto Service

Die Polizeiwache Nord erlebt, dass die Menschen weiter auf sie zu kommen. Wir können glücklicherweise auf unser Netzwerk und viele Kontakte zu muslimischen Organisationen zurückgreifen. Antirassismusarbeit und Werteorientierung spielen bei uns eine große Rolle, mit Veranstaltungen und Fortbildungen. Deswegen würde ich nicht formulieren, dass uns gerade das Vertrauen wegbricht. Wir haben unsere Mitarbeiter aber darauf vorbereitet, dass die Situation noch eine Weile andauern wird. Es wird Demonstrationen und Berichterstattung geben und nicht alles ist vielleicht fair.

Aus vielen Ecken kommt die Forderung nach Einrichtung einer unabhängigen Stelle für Ermittlungen.

Ich möchte, dass ein rechtsstaatliches Verfahren akzeptiert wird. Das ist das, was den Polizeibeamten am Ende hilft. Was hier das richtige ist, dafür bin ich.

Verschwörungstheorien sind unterwegs, von Mord ist die Rede. Wäre es nicht besser gewesen, offener den Einsatzablauf zu kommunizieren?

Wir sollten das rechtsstaatliche Verfahren ernst nehmen, das wir erfunden haben für Situationen, in denen die Leute mit Mistgabeln vor das Haus eines anderen ziehen. Es ist gut, dass man eine möglichst akzeptierte Form hat, wie ermittelt wird. Und ich möchte gerade als betroffene Behörde nicht vorläufige Dinge bewerten, die man zwei Tage später revidieren muss. Ich muss auch an unsere langfristige Glaubwürdigkeit denken. Wenn wir anfangen würden, Fakten einzusortieren, würde es als Einflussnahme gewertet werden müssen. Aber es ist ja auch nicht so, dass wir sprachlos waren. Wir haben abgewogen, wann wir uns einschalten.

Oft haben wir bei Recherchen gehört: Der Ton macht die Musik. Er soll gegenüber dunkelhäutigen oder arabisch wirkenden Personen rauer sein.

Ich will gar nicht ausschließen, dass man sich als Polizeibeamter in manchen Situationen die Frage stellt: Wie dringe ich durch? Es ist immer die Frage: Was war konkret? Warum hat man kontrolliert? Wir haben eine Beschwerdestelle.

Was passiert mit Beschwerden?

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Jede einzelne geht über meinen Schreibtisch. Jede Woche führe ich eine Personalbesprechung durch und wir überlegen, wie wir damit umgehen. In den allermeisten Fällen hören wir auch den Mitarbeiter dazu. Es gibt ein Spektrum. War es dem Stress einer Situation geschuldet, muss sensibilisiert werden. War es möglicherweise eine Verfehlung oder Dienstpflichtverletzung, dann wechseln wir über ins Disziplinarverfahren. Da gibt es auch wieder eine breite Palette von einer Missbilligung über Degradierung bis hin zur Entfernung aus dem Dienst. Das alles gibt es auch. Aber in den allermeisten Fällen findet man eine Einsatzsituation vor, wo man das Verhalten des Kollegen erläutern oder erklären kann. Fakt ist: Wenn einer eine Beschwerde hier abgibt, kann er sicher sein, dass wir uns damit ernsthaft beschäftigen.

Warum waren die Bodycams aus?

Die Bodycams dienen nach Polizeigesetz der Gefahrenabwehr und nicht der Strafverfolgung. Zu den Regeln gehört, dass höchstpersönliche Lebensbereiche ausgenommen sind. Wenn eine hilflose Person dort liegt, verbietet es sich, dass man sie filmt. Jemand der sich umbringen will, in einer vergleichbaren Lage ist. Meine Meinung ist, dass Bodycams kein geeignetes Mittel sind, um einen Menschen von seinem Suizid abzubringen oder einen psychisch kranken Menschen von seiner Aggression. Dann darf es auch nicht angewendet werden.

Immer wieder taucht nun dieses Idealbild vom freundlichen Schutzmann an der Ecke auf.

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Wir haben einen Bezirksdienst, wir haben die Jugendkontaktbeamten, wir haben viele Projekte mit Vereinen. Aber die Ressourcen sind begrenzt. Gegen organisierte Kriminalität, Banden und Intensivtäter müssen wir repressiv vorgehen. Wir müssen den Kontrolldruck erhöhen und zugleich die Kommunikationsfähigkeit haben. Das ist ein Spagat. Ich glaube, dass ist uns gut gelungen in den letzten Jahren.

Ist die Polizei bunt genug?

Die Polizei ist bunter, deutlich besser geworden. Auf der Nordwache haben rund ein Fünftel der Kollegen einen Migrationshintergrund. Aber es gibt noch weiter was zu tun. Wir machen gezielt Veranstaltungen für diese Zielgruppe und werben in vielen Sprachen.

Die Kriminalität in der Nordstadt ist ja stark zurückgegangen. Wird das ausreichend wahrgenommen?

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Auf jeden Fall wird es ausreichend kommuniziert. Wir haben sogar eine Kampagne dazu gemacht. In der Nordstadt haben wir es geschafft, die Kriminalität zurückzudrängen – mit vielen Partnern, mit vielen engagierten Gruppen. Auch Prävention spielt eine wichtige Rolle. Dort wohnen Familien mit Kindern, die Sorgen wegen der Kriminalität haben, auch im migrantischen Milieu. Es wäre ja Wahnsinn, wenn wir für die nicht alles tun würden, was möglich ist.

Was halten Sie vom Vorschlag der Rotation, damit Beamte nicht zu lange im Brennpunkt eingesetzt werden?

Ich bin offen für diese Diskussion. Wir haben es nicht automatisiert, aber Wechsel ist seit vielen Jahren Teil unserer Personalentwicklung: Seit einem Jahr haben wir einen neuen Wachleiter in Nord und zwei neue Dienstgruppenleiter. Ich finde es wichtig, dass Führungspersonen nicht Teil einer eingespielten Mannschaft sind. Es gilt: Dass Kollegen zehn, fünfzehn Jahre auf so einer einsatzintensiven Wache sind, gibt es heute nicht mehr.