Ruhrgebiet. Erst Abgesang, dann Pandemie-Pause, doch nun ist der Day of Song zurück: 130 Chöre in 17 Revier-Städten stimmten ein. Doch nicht alle sangen mit.
Dass Singen gesund ist, ist bekannt, aber so! „Sing!“, der Day of Song, hat gar schon seinen zweiten Nahtod überlebt: Am Samstag sangen wieder Tausende zwischen Hamm und Hamminkeln. Doch bei aller puren Freude am Gesang: Nach erstem Abgesang 2015 und pandemiebedingtem Schweigen musste sich das Ruhrgebiet zu seinem fünften Chor-Konzert noch etwas mühsam wieder aufrappeln.
Ein Samstag im Sommer, 12.10 Uhr, für Chöre im Revier hat der Termin schon Tradition: Da singen sie seit dem Kulturhauptstadtjahr 2010 quer durch die Region das „Steigerlied“, oder, wie es auf manchen Programmzetteln heißt, „Glück auf, Glück auf“. Nur suchen die Fotografen seit der letzten Schicht auf Zeche vergeblich das typische Bild dazu: Bergmanns-Chöre sind im Jahr 2022 nicht mehr dabei, nicht in Oer-Erkenschwick und nicht in Voerde, in Oberhausen stimmt ein Frauenchor die inoffizielle Hymne an (und lässt der Herren Lieblings-Strophe mit Schnaps und Arschleder weg).
Oh Happy Day: das Lied zum Tag des Singens
Ohnehin sind die Männerchöre seltener geworden: MGV Bleibtreu (Hamminkeln) und MGV Harmonie (Hamm) singen diesmal mit, aber der klassische Männergesangverein verabschiedet sich schon aus Altersgründen seit Jahren von den Bühnen. Auch die Unternehmens-Chöre seien weniger geworden, heißt es beim Chorverband Dortmund: Mit den Stahlwerken, den Zechen, den Brauereien schwanden auch ihre Musik-Ensembles.
130 Chöre aber sollen es trotzdem sein, die zum Tag des Liedes ihre Stimmen erheben, sie werden unterstützt von so vielen, die gern dazukommen zum Offenen Singen. „Chöre“ wird da angestimmt und „Always Look on the Bright Side of Life“ oder „Oh Happy Day“ – all’ diese frohen Lieder, die zu einem Singe-Tag passen – dem ersten seit vier Jahren zumal. 19 Lieder stehen dafür im eigens gedruckten Songbook, nur ist das eben, samt seiner Grußworte, schon alt. 2020 fiel der „Day of Song“ wegen des noch neuen Corona-Virus’ aus, man plante für 2021 (von „Erleichterung“ und „Befreiung“ war noch die Rede), doch die „pandemische Pause“, wie Dortmunds Kulturdezernent Jörg Stüdemann am Samstag sagt, ließ die Chöre noch länger verstummen.
Corona legt sich den Chören immer noch auf die Stimme
Und sie liegt ihnen noch immer auf der Stimme: Viele wagen es bis heute nicht zu proben oder haben eben erst wieder begonnen; gerade ältere Chöre haben sich gar ganz aufgelöst. Die Organisation sei „mühsam“ gewesen, ist von der Ruhr-Touristik zu hören, die das Ereignis seit Jahren stemmt, die Resonanz „sehr gering“. Die Anmeldefristen für Gesangsensembles wurden mehrfach verlängert, manche mussten kurz vor dem Auftakt „personalgeschwächt“ doch noch absagen.
Day of Song - Hurra, das Revier singt wieder!
Recklinghausen, Bottrop oder Dorsten, sonst engagiert dabei, singen in diesem Jahr gar nicht mit. In Mülheim, Hagen oder Essen gibt es immerhin kleine, privat organisierte Konzerte. Manche Städte, etwa Herne, betten den Gesang in ihre Stadtfeste ein. In Dortmund, das sein Fest der Chöre im Rahmes des Festivals „Klangvokal“ wieder mit dem Day of Song zusammenlegt, wirkt das Programm auf sieben Bühnen prall – und doch sind diesmal „nur“ 80 von sonst fast doppelt so vielen Chören dabei. Das Offene Singen, geplant in einem Innenraum, wird kurzfristig gestrichen: Die Infektionszahlen sind zuletzt zu stark gestiegen. Besonders viele Schulchöre müssen passen: Gerade die Kinder haben lange nicht gemeinsam singen dürfen, erklärt eine Sprecherin von Klangvokal. Wer trotzdem auftritt am Samstag, hat in Turnhallen oder auf Schulhöfen und hinter Masken geprobt.
Wiederbelebung nach langer Pause
Zum Steigerlied am Mittag sind vom angekündigten „gesamten Ruhrgebiet“ mit seinen 53 Städten immerhin 14 dabei. Das ist mehr als 2018, als gar nur elf mittaten, eingebettet in die „Extraschicht“. Schon damals wurde „Sing!“ nach vierjähriger Pause zum ersten Mal „wieder zum Leben erweckt“, nach stimmgewaltigem Sänger-Protest: Es fehle die „überregionale Ausstrahlung“, argumentierte die Ruhr-Touristik, und auch das Geld. Seither stiegen Sponsoren ein, aber eine Lücke bleibt: Die öffentlichen Mittel aus der Nachhaltigkeits-Vereinbarung der Kulturhauptstadt muss sich der Day of Song im Zweijahres-Rhythmus teilen mit dem Tag der Trinkhallen und dem Kulturprogramm der Ruhrgames.
Aber, das sagte ja schon Schiller: „Es schwinden jedes Kummers Falten, so lang des Liedes Zauber walten“. Weshalb die Sänger und Sängerinnen vom Samstag umso inbrünstiger musizieren: Man hört ja fast ihre Erleichterung, dass sie es endlich wieder dürfen! Es singen also „Cantabile“, „Harmony Sisters“ oder „Joyful Voices“, es singen Jazzchor, Sprechchor und Hömma, der Ruhrgebiets-Chor, Kirchenchöre, Projekt-Chöre, Shanty-Chöre, Pop-Chöre und Gospelchöre.
Die Zukunft des Day of Song ist noch offen
Und ob da in der Zukunft jemand abwinkt, der gar kein Dirigent ist – bleibt offen. Oberhausens Kulturdezernent Apostolos Tsalastras jedenfalls sagt unter brennender Sonne etwas, das zwar nicht ganz stimmt, aber gut klingt (und Musik ist in den Ohren der Revier-Sänger): Der Day of Song sei „eines der wenigen Dinge aus der Kulturhauptstadt, die bis heute funktionieren“.