Bochum. Der ukrainische Offizier Aleksandr (21) wurde bei einem russischen Luftangriff schwer verletzt. Ärzte in Bochum versuchen, sein Bein zu retten.

Aleksandr hat das Geschoss nicht kommen hören, der Krieg war zu laut. So nah schlug es ein, dass die Splitter in seine Beine spritzten, nicht bis hinauf in seinen Oberkörper, er sagt: „Ich hatte Glück.“ Es war der 44. Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine, der kleine Ort Rubischne gleich neben dem bis heute schwer umkämpften Sjewjerodonezk im Osten des Landes. Rubischne, sagt Aleksandr, gibt es nicht mehr, „nur noch den Namen“, und der junge Offizier liegt jetzt in Bochum im Krankenhaus.

Seine Narben zählt der 21-Jährige nicht, dafür „sind es zu viele“, lauter frisch verheilte Löcher in seinen dünnen Unterschenkeln – er zählt die Operationen: Zwölf sind es gewesen seit dem 8. April. Die Ärzte in Lwiw haben die zerrissene Arterie geflickt, mehrfach mehr als 20 Zentimeter genäht, das rechte Bein wollten sie amputieren, aber das wollte Alexandr nicht. Sie hätten noch mehr tun können für den Soldaten, aber sie schickten ihn nach Deutschland, weil sie die Betten brauchen für immer neue akute, noch schlimmere Kriegsverletzungen, es sind so viele. Im Katholischen Klinikum Bochum untersuchen die Unfallchirurgen nun die Sehne, vielleicht müssen sie transplantieren: Das Knie, sagt Aleksandr, spürt er wieder, aber das Gefühl wird nach unten weniger, der Fuß ist immer noch taub.

Ankunft in Bochum: Die deutsche Luftwaffe holte Aleksandr aus Polen, danach brachte ihn ein Hattinger Rettungsdienst vom Flughafen Köln/Bonn ins Katholische Klinikum Bochum.
Ankunft in Bochum: Die deutsche Luftwaffe holte Aleksandr aus Polen, danach brachte ihn ein Hattinger Rettungsdienst vom Flughafen Köln/Bonn ins Katholische Klinikum Bochum. © WAZ Bochum | KKB Bochum

Offizier aus der Ost-Ukraine hat viel Schlimmes gesehen

Was soll er sagen auf die Frage, wie es ihm geht, „es könnte besser sein, aber bitte nicht schlechter“. Aleksandr, dieser lange, schmale Kerl, lacht, er lacht häufig, auch als er erzählt, wie er ankam an der Front. Frisch entlassen aus dem letzten Semester an der Militärakademie, nach vierjähriger Ausbildung, die schon in der neunten Klassen begann – so brachen sie aus Charkiw auf, kletterten in Rubischne auf ein Dach und sahen: „Wir sind in der Hölle.“ Das ist nicht lustig, das Lachen ein verkrampftes, Aleksandr bebt dabei am ganzen Körper. Die „Hölle“ sah im Donbass so aus: Alle Gebäude kaputt, Häuser in Flammen, Rauch über den Straßen, „es ist russische Taktik, alles zu zerstören“. Der Offizier hat davon ein Video auf seinem Handy, „so schrecklich“, Rubischne wackelt, weil seine Hand zittert.

Er hat noch andere Dinge gesehen, „genug“, sagt er knapp. Nach seiner Ankunft im St. Josef Hospital hat er erfahren, dass ein guter Freund gefallen sei, er spricht nicht darüber. Auch nicht über seinen Vater, der auch Offizier ist. Das Dorf, das sie verteidigen sollten, gehöre jetzt zu Russland, seine alte Stellung „existiert nicht mehr“, der Kontakt zu den Kameraden funktioniert oft tagelang nicht. Im Krieg, sagt der 21-Jährige, stehe es immer 50:50, „Glück oder Unglück“.

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Ukrainischer Soldat beherrscht die Angst mit seiner Wut

Die Menschen in Rubischne, alte und kranke, konnten sie nicht mehr evakuieren: „Zu gefährlich.“ Sie schliefen in Kellern, wenn sie denn schliefen, und natürlich hatten sie Angst. „Aber die Angst muss beherrscht werden“, wenn man Soldat ist, so hat Aleksandr es gelernt, und er beherrschte seine Angst „mit Wut“. So wütend, dass in Putins „Spezialoperation“ – er spuckt das Wort verächtlich vor seinen Rollstuhl – schon mehrere Hundert Kinder starben, so wütend, dass so viel zerstört wird, so wütend, dass Russland so junge Männer in den Krieg schickt: Bei einem toten Soldaten fand er dessen Pass. 17 Jahre alt, „ein Kind“! Nicht so gut ausgebildet wie er, Aleksandr, der wusste, dass er eines Tages in den Krieg ziehen müsste, der für ihn schon seit 2014 dauert.

Aleksandr kann sich im Moment nur im Rollstuhl fortbewegen, aber das macht er am liebsten allein.
Aleksandr kann sich im Moment nur im Rollstuhl fortbewegen, aber das macht er am liebsten allein. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Der Tag, an dem die Bombe kam, sei ein „normaler“ Tag gewesen, er kümmerte sich draußen um die Artillerie, das war sein Job, und eigentlich weiß er, wie Bomben klingen. Aber da war dieser Krach, überall wurde geschossen, „zu laut“, sagt er. Er hat drei Liter Blut verloren, die Kameraden haben ihn gerettet, Aleksandr aber, noch geschockt, hatte „keine Zweifel, dass ich es schaffe“. Er ist dankbar für alles und immer noch ein bisschen erstaunt, dass die Luftwaffe ihn nach Deutschland gebracht hat und der Krankenwagen nach Bochum, gleich neben Dortmund, wo er großer Fan der Borussia ist. Wer weiß, vielleicht kann er eines Tages auch wieder Handball spielen.

Soldaten kämpfen „nicht nur für uns“

Auch seine Familie ist froh, dass er jetzt in Bochum ist, und doch: Sie haben Sorge, dass die deutschen Ärzte ihren Jungen so gut behandeln, dass er zurückkehrt an die Front. Aleksandr sagt, er hat das „noch nicht entschieden“. Aber er hat dieses Gefühl, gebraucht zu werden. Nicht nur von den Kameraden, die sich von der Front zurückziehen mussten, von ganz Europa. Er wolle bewusst machen, erklärt der Oberarzt, der für ihn übersetzt: „Hätten wir nicht so gekämpft, wären die Russen vielleicht schon hier. Wir tun das nicht nur für uns.“

Und die Ukraine wird gewinnen, das hofft Aleksandr nicht nur, „ich weiß, dass wir das schaffen“. Wir. Der Soldat dreht ein wenig seinen tauben Fuß, als wolle er testen, ob er nicht schon auftreten kann. Und darauf laufen zurück in den Krieg. Das war doch noch nicht entschieden? Es klang, sagt der Übersetzer, „eher nach Ja“.