Bochum. Das Planetarium Bochum zeigt einen Kunstfilm über den Strukturwandel im Revier. Die Rundum-Filmtechnik macht „Future Ruhr“ zum Erlebnis.

In Argentinien sind Töpfe der Marke „Essen“ beliebt. Durch alle ihre Umzüge von Buenos Aires nach London, zuerst für ein Praktikum und schließlich „für immer“ nach Essen, war so ein Topf Sofiá Mellinos treuer Begleiter. Und ist nicht die ganze Region, in die sie sich verliebt hat, „der Pott“, dachte sich die junge Experimentalfilmerin – „wie kann ich also einen Film über das Ruhrgebiet in einen Topf projizieren?“ … Nun, sie hat einen beeindruckenden Weg gefunden.

Im Planetarium Bochum, dem wohl größtmöglichen „Topf“ mit Kinoqualität, feiert ihr viertelstündiges Werk „Future Ruhr“ am 2. Juni Premiere (gezeigt werden auch ein Making-of und weitere Filme zur Region). Er soll dann auf Reisen gehen, zu Planetarien in aller Welt.

Von Kohle zur Haldenkunst

Sofía Mellino, Regisseurin aus Buenos Aires
Sofía Mellino, Regisseurin aus Buenos Aires © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

In emotionalen Bildern und Tönen illustriert der Film den Wandel der Region, von Kohle und Stahl zu Haldenkunst und Freizeitkultur. Das transportiert ein positives Image, ist jedoch weit davon entfernt, nur ein Imagefilm zu sein. Die Eindrücke sind so stark verfremdet und kreativ zusammenmontiert, dass dieser Eindruck nicht aufkommt. Eher wird man in einen Tunnel gezogen, auf eine Reise durch die Zeit mitgeschleift.

„Wir haben Kameras an Orte gebracht, wo man sonst nicht hinkommt“, sagt Produzent Peter Petersen, der den „Future Campus Ruhr“ leitet, ein Kreativ-Labor in Essen, das Künstler wie Sofía Mellino unterstützt und ihr auch eine Förderung der Bundeskulturstiftung der Länder vermittelt hat. Ein „Full Dome“-Film für die Kuppel eines Planetariums stellt besondere Anforderungen. Alle Aufnahmen sind mit zwei Fischaugen-Kameras entstanden, meist montiert an Drohnen, die zusammen 360 Grad abbilden, also eine komplette Kugel. Gebraucht wird davon nur die Hälfte, aber in der Nachbearbeitung kann man so fast unmögliche Kamerafahrten gestalten. Was das Team in einem Jahr Produktionszeit gelernt hat, soll nun in Workshops weitergegeben werden.

„Wir wollten zum Beispiel in der Bottroper Boye eine Aufnahme zum Teil unter Wasser machen. Dafür haben wir eine neue Kamerahalterung mit einer Plexiglaskugel entwickelt“, erklärt Kameramann Paul Schulte, der nach seinem Berufsleben als Fotograf der NRZ nun 3D-Druck an der Hochschule Ruhr West in Bottrop lehrt und als Künstler aktiv ist. Auch ein ferngesteuertes Spielzeugmotorrad haben sie zum Kamerawagen umfunktioniert; diese Aufnahmen wurden nicht verwendet, aber aus den 100 Stunden Rundum-Material soll ein weiterer Film entstehen, vielleicht für VR-Brillen.

Robert Reichert hat sich schon lange auf Drohnenaufnahmen spezialisiert. Aber auch für den Profi war es eine Herausforderung, durch die engen Gänge und durch die metallenen Stempel des Bergbaumuseums in Bochum zu fliegen, mit vielleicht fünf Zentimeter Platz zu jeder Seite. „Wegen der besonderen Kamera kann die Drohne nur auf der Hand oder einer Spezialvorrichtung landen. Eine Notlandung und 1000 Euro wären futsch gewesen.“

Das halbe Autobahnkreuz als Symbol für Unendlichkeit

Das Kernteam: Peter Petersen, Robert Reichert, Paul Schulte und Sofía Mellino. Am Film haben etwa zehn Personen gearbeitet.
Das Kernteam: Peter Petersen, Robert Reichert, Paul Schulte und Sofía Mellino. Am Film haben etwa zehn Personen gearbeitet. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

Die Aufnahmen über Orten, wo eine Drohne nicht fliegen kann oder darf, hat übrigens WAZ-Luftbildfotograf Hans Blossey beigesteuert: über Autobahnkreuze die wie das Technische Rathaus von Bochum einer 8 gleichen, liegend gesehen: das Unendlichkeitssymbol.

In der Enge unter Tage beginnt der Film, wir folgen der Kohle und dem Koks und den Brammen auf ihrem Weg, gedreht bei ArcelorMittal. Immer zu einem Soundtrack, der Geräusche aus der Arbeitswelt aufnimmt und über das spezielle Soundsystem des Planetariums sehr räumlich verteilt. Er war tatsächlich vor den Bildern da. Wer sich an das Konzept des Klassikers „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ erinnert fühlt, liegt nicht falsch. Nur hat Mellino die Bilder geschickt übereinander montiert, zigfach gespiegelt, lässt Kreisverkehre pulsieren, Schubleichter zippen, Hochöfen arrangieren sich zum Kaleidoskop, so dass man bisweilen rätseln kann, wo man sich befindet.

Der Flug durch den Tetraeder gleicht einem Aufatmen, oben wartet das neue Ruhrgebiet, mit Tänzern und Bikern auf Halden, mit den in Lichterketten gehüllten Skydivern, die doch nur zwei sind, aber wie viele wirken, die hier komplex gespiegelt ihr Ballet aufführen. Und durch die besondere Film- und Vorführtechnik ist man mittendrin.

„Future Ruhr“, Planetarium Bochum, 2. Juni, 17.30 und 19 Uhr. 10,25 Euro, ermäßigt 7,25 Euro, mit RuhrTopcard frei