Ruhrgebiet. Ein Spaziergänger findet an der Emscher einen toten Biber. Der suchte wohl nach einem neuen Revier. Am renaturierten Fluss können Biber leben.

Irgendwo hier wird der Biber sich vermutlich entlanggeschleppt haben eines Nachts. Aus dem Rhein-Herne-Kanal in Hochlage die steile Böschung hinunter, dann weiter in die sehr nahe, sehr tief liegende Emscher in ihrem steilen und steinernen Bett. Wie lange er hier gelebt hat, niemand weiß es; aber einige hundert Meter entfernt von der mutmaßlichen Einstiegsstelle ist der Biber gestorben. Das ist traurig. Doch dass er überhaupt herkam: ist ein sehr gutes Zeichen.

Auf dem Weg zum Fundort, die Emscher entlang. „Sie sehen, dass das biologische Leben schon nach fünf Monaten Abwasserfreiheit zurückkehrt“, sagt der Landschaftsökologe Gunnar Jacobs (52) begeistert und deutet in den Fluss. Das Wasser ist klar in diesem Abschnitt in Castrop-Rauxel, und in seiner Strömung wiegt sich die Unterwasser-Vegetation hellgrün und dunkelgrün: Wasserstern, Laichkraut, kennt doch jeder ;) - undenkbar vor einem halben Jahr.

„Wir freuen uns auf den Biber, weil er hierhin gehört“

Der Landschaftsökologe Gunnar Jacobs sitzt an einem Abschnitt der Emscher, wo sie noch nicht renaturiert ist. In der Nähe fand ein Spaziergänger den toten Biber.
Der Landschaftsökologe Gunnar Jacobs sitzt an einem Abschnitt der Emscher, wo sie noch nicht renaturiert ist. In der Nähe fand ein Spaziergänger den toten Biber. © FUNKE Foto Services | RALF ROTTMANN

Doch an diesem Tag geht es nicht um das Grünzeug. Sondern um den Biber. Der Pionier ist verreckt, gestorben an Erschöpfung oder Unterernährung. Weil er, wahrscheinlich aus der Biberkolonie an der Lippe in Hamm stammend, viele Kilometer zurückgelegt hat. Im Kanal wahrscheinlich, aber über Land wäre ihm das auch möglich gewesen. Jedenfalls traf er auf die Emscher an einer Stelle, wo sie nicht renaturiert ist, wenig Biber-Nahrung bereitstellt, keinen Lebensraum. Noch.

Denn in den renaturierten Abschnitten, den sogenannten „Ersatz-Auen“, würden Biber überleben. Diese Abschnitte wachsen, etwas vereinfacht gesagt, durch das Dortmunder Stadtgebiet hindurch immer weiter nach Westen. „Wir freuen uns auf den Biber, auch, weil er hierhin gehört. Er gehörte zum natürlichen Artenspektrum der früheren Emscher-Auen“, sagt Jacobs, selbst beschäftigt bei der Emschergenossenschaft. Willkommen zurück also mitten im Ruhrgebiet. Biber waren zuletzt hier, da gab es noch keinen Begriff vom Ruhrgebiet: Die letzten freien in der Region sollen 1826 getötet worden sein.

Die Stadt Hamm hat inzwischen eigens eine Biber-Beauftragte

Ein Spaziergänger mit Hund und Dreikantschlüssel, womit er die Schutztore oberhalb der Emscher öffnen konnte, hat das tote Tier von Castrop-Rauxel gefunden. Und erkannte glücklicherweise an dem breiten Schwanz: Eine Nutria ist das nicht. Nutrias sind etwas mehr verbreitet im Ruhrgebiet, aber ursprünglich nicht heimisch; und wegen ihres rattigen Schwanzes sind sie auch nicht solche Sympathieträger wie, sagen wir, Biber.

Deren Rückkehr mitten ins Revier hat sich lange angekündigt. In Wesel am Rhein wurden sie in den 1990er-Jahren angesiedelt, haben sich dann längs der Lippe flussaufwärts breitgemacht. Vor sechs bis acht Jahren sind sie wohl in Hamm angekommen und vor kurzem auch in Bergkamen und Datteln (sowie auf anderen Wegen wohl in den Ruhr-Auen von Mülheim). In Hamm gibt es den Biber-Beweis aus einer Fotofalle, seitdem ist die Stadt die einzige in der Region mit einer eigenen „Biber-Beauftragten“; und in Datteln gibt es den Beweis durch eine Reihe von Baumstümpfen am Ufer der Lippe. Das Tier hat ja Biss.

Biber verlassen als Halbwüchsige ihre Familie und suchen ein eigenes Revier

Wenige hundert Meter weiter verläuft die umgebaute Emscher deutlich anders.
Wenige hundert Meter weiter verläuft die umgebaute Emscher deutlich anders. © FUNKE Foto Services | RALF ROTTMANN

Das Handlungsmuster ähnelt dabei den nicht ganz so beliebten Wölfen: Als Halbwüchsige von zwei oder drei Jahren verlassen Biber ihre Familie und suchen ein eigenes Revier. Mit Wasseranschluss. Dass der Biber von Castrop-Rauxel auf einer solchen Wanderung war, legen seine Maße nahe: mit 90 Zentimetern längst nicht ausgewachsen, mit 20 Kilogramm weit entfernt vom Höchstgewicht. Aber natürlich würden sie nie eine offene Kloake besiedeln, wie die Emscher früher eine war.

Völlig konfliktfrei muss die Rückkehr nicht verlaufen. Biber können auch große Bäume fällen, wenn ihnen nach den jungen, köstlichen Zweigen ganz oben ist. Auch stauen sie Wasser durch Dämme, bauen ihre eigene Lebenswelt, wenn sie keine Unterwasser-Höhlen oder -Röhren finden. Und: Wenn für Biber-Maßstäbe das Wasser zu hoch steht, können sie den Damm auch wieder öffnen.

„Einzigartig, die Neubesiedlung eines Fluss-Systems beobachten zu können“

Solche Konflikte kennt die besagte Biber-Beauftragte, Jessica Dieckmann in Hamm: „Sie entstehen, wenn der Biber durch Bauen oder Fällen Flächen beeinflusst.“ Manchmal erhalte sie Meldungen, dass „Biber Bäume ,beschädigt’ hätten“. „Dann kläre ich auf, wieso der Biber das macht.“ Große Auseinandersetzungen Mensch-Biber gab es bei ihr noch nicht, anders als in Holland, wo sie von vielen als Plage empfunden und bejagt werden.

Es sei „einzigartig, die Neubesiedlung eines Fluss-Systems beobachten zu können“, sagt Jacobs, der Landschaftsökologe. Wenn die Emscher-Mündung 2022 fischgerecht an den Rhein angeschlossen ist, „werden weitere Tiere einwandern. Wer kommt zurück? Wie verändert sich das?“ Oberhalb der Wasserkante ist beispielsweise mit Eisvogel und Gebirgsstelze zu rechnen.

Auf dem Rückweg vom Fundort geht Jacobs einige Meter vor, als ein Schmetterling an ihm vorbeiflattert. Jacobs wendet sich um und ruft: „Sehen Sie den Schmetterling? Ein Schwalbenschwanz. Der ist sehr, sehr selten!“ Der wunderbare Falter zählt in NRW zu den bedrohten Tierarten und wird als gefährdet geführt. Aber das muss ja nicht so bleiben.