Marl. In den Kleingärten pflanzen sie und gießen, machen und tun und bereiten die Gärten auf warme Monate vor. Es regiert die Lust an der Laube.

Der Spruch, der in der Laube der Kallenbachs am Kühlschrank hängt, führt entschlossen in die Irre: „Ist mir egal, ich lass das jetzt so“ steht auf dem Magneten. Aber tatsächlich hat Britta Kallenbach heute schon Unkraut gezogen, Pflanzen gegossen, Rhabarber geerntet und Kräuter - sie will nämlich nachher noch Kräuterbutter machen für den bevorstehenden Fahrradausflug des Vereins.

Ihr Mann Bernd ist vormittags auf der Kleingärtner-Delegiertenkonferenz gewesen, jetzt geht er herum und genießt einfach die Anlage. „Ich muss nichts regeln und irgendwas sagen, läuft alles von alleine“, sagt Kallenbach, Vorsitzender hier, aber „erst zehn Jahre“, wie er sagt.

„Ich habe schon viel gelernt, aber das hört nie auf“

Bernd Pötzsch baut ein Tomatengewächshaus zusammen.
Bernd Pötzsch baut ein Tomatengewächshaus zusammen. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Der Mai ist gekommen. Die Träume schlagen aus. Natürlich haben die Kleingärtner hier in der Anlage Brinkfortsheide in Marl schon im April die zwei warmen Wochen am Stück genutzt, um ihre Gärten aus dem Winterschlaf zu holen. Aber „jetzt soll es richtig warm werden“, sagt Sabrina Feldmann an diesem mittelkühlen Sonnentag und pflanzt Löwenmäulchen, Pfefferminz und Salbei. Sie erlebt ihr zweites Jahr im Schrebergarten: „Ich habe schon viel gelernt, aber das hört nie auf.“ Schnecken und Unkraut hat sie 2022 auch schon wieder begrüßen dürfen. Blöd, euch zu sehen.

Alle rund 1000 Kleingarten-Vereine im Ruhrgebiet haben gerade Schrebergartenfrühling. Die Menschen mähen und pflanzen, sie gießen und bohren, sie schleppen und bauen. Die Flaggen, monatelang eingeholt, flattern endlich wieder vor blauem Himmel: Vereins- und Fantasieflaggen, Bayern, Deutschland, Ruhrpott, Namibia. „Einige hängen jede Woche eine neue hin“, sagt Kallenbach. Es regiert die Lust auf Laube. Pflanz in den Mai.

Nach 40 Jahren sind noch vier Gründungsmitglieder dabei

Und so kommt alles zugleich. Dass Helga Haubner gerade den Rasen mäht: „Der muss jetzt dran glauben.“ Daniel Fuhrmann im Gemüsebeet Dünger ausbringt. Bernd Pötzsch auf seinem Rasen kniet und ein kleines Tomaten-Gewächshaus zusammensteckt: „Viel Arbeit, aber ich mache es ja gerne. Tomaten mögen kein Wasser von oben.“ Pötzschens Nachbar pflaumt ihn über den Gartenzaun an: „Hier nix aufbauen. Hier musst du Bier rüber reichen.“

Brinkfortsheide ist eine relativ junge Anlage. Von 1982. Die Stadt Marl suchte eine sinnvolle neue Nutzung für das Gelände, auf dem ein Wohnheim italienischer Gastarbeiter gestanden hatte - „Römerlager“ hieß das im Ort. Und zugleich war „die Nachfrage nach Gärten unheimlich groß“, erinnern sich Andrea und Hartmut Spurmann, zwei von vier verbliebenen Gründungsmitgliedern: „Am Haus haben wir nicht viel Garten.“

In einigen Kleingärten arbeiten jetzt auch schon Mähroboter

Andrea und Hartmut Spurmann sind Gründungsmitglieder der Kleingartenanlage Brinkfortsheide von 1982.
Andrea und Hartmut Spurmann sind Gründungsmitglieder der Kleingartenanlage Brinkfortsheide von 1982. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Das Rentner-Ehepaar hat gerade auf einer Gemeinschaftsfläche gearbeitet, die Wildblumenwiese angelegt. Jetzt steht da schon wieder Frank Kalusche und wässert sie mit dem Gartenschlauch, der an seinem privaten Hahn hängt. Kallenbach nennt den engagierten Frank Kalusche „die gute Seele“ und sagt nach einer kurzen Pause: „Wenn ich solche nicht hätte, würde ich untergehen. Lauter positiv Bekloppte.“ Abends wird Kalusche nochmals wässern.

Weiter. Andreas Kutzborski macht grad ein Päuschen, aber er hat ja Helferin und Helfer. Hinten auf den Gehwegplatten hockt seine Frau und entfernt Gras und Unkraut aus den Zwischenräumen; vorne auf dem Rasen schnurrt der Mähroboter. Mähroboter? Im Kleingarten? „Mich fasziniert die Technik und ich muss nicht mehr mähen“, sagt Kutzborski: „Er macht auch keinen Krach und kann mittags laufen.“ Wie sich zeigen wird, arbeiten in den 31 Gärten hier schon drei Mähroboter.

„Auf einmal hast du so viel Zeit. Da muss man was machen“

Für Joachim Filipiak wäre das nichts. Im Gegenteil. Der 67-Jährige spannt grad ein grünes, engmaschiges Netz über seine Erbsen, „damit die Vögel die nicht rausholen“. Dachdecker war er, hat zwei rechte Hände, doch dann kam die Rente: „Auf einmal hast du so viel Zeit. Da muss man was machen.“ Statt ein Dach zu decken, pflanzt er nun Kohlrabi, Erdbeeren, Salat.

Die bevorstehende Fahrradtour. Ab in die Hohe Mark. Kallenbach sagt: „Direkt in die Natur.“ Da sind sie ja auch sonst nie. Zwei Pausen sind vorgesehen, zu denen motorisierte Mitglieder Kaffee und Kuchen mit dem Auto bringen. Und nach der Rückkehr wird es ein gemeinsames Abendessen auch mit all denen geben, die nicht Fahrrad fahren wollen oder können. Bernd Pötzsch kocht dann für alle. Schichtfleisch, Erbsensuppe, Traditionsbockwurst. Viel Arbeit. Aber er macht es ja gerne.