Bochum. Ernährungsexperten kritisieren die Klimabilanz exotischer Samen, schließlich wächst Superfood auch vor der Haustür. Wie ein Bochumer damit kocht.
Superfood ist ja auch nur so ein Name, der vor allem, ja, super klingt. Nicht geschützt ist er jedenfalls, deshalb kann jeder von jedem Gemüse, Kräutchen, Nüsschen behaupten, dass es „super“ sei. Und es also teuer verkaufen. Aber sogar Florian Klar, der doch von „Superfood“ lebt im doppelten Sinne, räumt damit auf: „Nur weil man drei Chiasamen isst, wird man nicht zu Superman.“
In seinem Bistro „Nährstoff-Reich“ in Bochum ist Superfood, übersetzt ganz einfach „Super-Lebensmittel“, nämlich genau das: nährstoffreich. Der gelernte Betriebswirtschaftler kam drauf, weil er viel Sport trieb und Ernährung schon deshalb sein „Herzensthema“ war. Und weil er merkte, dass man es ihm nicht leicht machte damit: Es gab, sagt Klar, „eine eklatante Lücke bei gesunder Küche“, wenig Anlaufstellen, aber doch so viele vor allem junge Leute, die danach suchten. Also stieß er, der sich das Kochen selbst beigebracht hat, 2018 in die „Marktlücke“ vor.
Der Bochumer und seine Bowls: Schüsseln voller frischem Gemüse
In seinem Bistro will er gesunde Küche „aus der angestaubten Ecke“ holen, sie jünger, moderner, „mehr sexy“ machen: Bewusste Ernährung, bevor sie den Beinamen „Superfood“ bekam, habe ein Imageproblem gehabt, sagt der 33-Jährige, habe altbacken geklungen und nach Öko. Dabei stimme doch auch dies: „20 Schnittchen, und alle sind glücklich, so ist das nicht mehr.“ Auch das Essen sei divers geworden, Vegetarier, Veganer, Allergiker und anders Bewusste wollen bedient werden – Florian Klar macht jetzt auch in Catering.
Das Nährstoff-Reich bietet Smoothies, Riegel und vor allem Bowls – Schüsseln voller frischem Gemüse, nehmen wir mal die auch optisch schön bunte „California Bowl“: Süßkartoffel-Spaghetti, Kichererbsen, Spinat, Bohnenbällchen, Sonnenblumenkerne, Nüsse, Cranberries… Sandwiches gibt es auch, mit Humus aus Roter Bete oder Möhren, natürlich auf Vollkornbrot. Und dann das Obst zum Trinken: Himbeere, Kirsche, Apfel, Kokosmilch, Samen – dieses rosa Getränk heißt „Forever beautiful“, Für immer schön.
Ernährungswissenschaftler kritisieren Superfood aus Afrika und Fernost
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Ein Versprechen ist das nicht, das wäre nämlich nicht erlaubt. „Gesundheitsversprechen für Lebensmittel müssen zugelassen sein“, sagt Julia Sausmikat von der Verbraucherzentrale NRW. Ernährungswissenschaftler wie sie tun sich schwer mit dem angeblichen Superfood, das „lebensmittelrechtlich nicht definiert“ ist, „nur ein Marketing-Ding“, das so oft von weither kommt in der Welt. Die Transportwege lang, die Klimabilanz ergo schlecht, die Nährwerte in Pulverform gepresst „nicht mehr da“. Sausmikat erklärt es plastisch: Da würden Beeren getrocknet über Feuern aus brennenden Autoreifen...
Wie sie empfiehlt deshalb auch ihre Kollegin Dr. Katrin Sinningen, Expertin für Kinderernährung am Universitätskinderklinikum Bochum, das Exotische durch heimische Lebensmittel zu ersetzen: Walnüsse oder Leinsamen statt Chiasamen, weil die auch viel Omega-3-Fettsäuren haben. Hirse statt Quinoa, Sauerkraut statt Kimchi, außerdem viele Gemüse – und Haferflocken! Mit ihren B-Vitaminen, Eisen, Mineralien, den Ballaststoffen für den Darm. Das alles sei, sagt Sinningen, „genau so gut für die Gesundheit. Es gibt gute regionale und saisonale Alternativen“.
Florian Klar hat sie gefunden. Blumenkohl, Brokkoli, Buchweizen, und Quinoa doch tatsächlich bei einem Bauern im Rheinland. „Der Markt entwickelt sich mit.“ (Kaffee und Kakao, Avocado und Mango, die allerdings haben dann doch eine weite Reise hinter sich.) Seine Grundspeisekarte ist vegan, aber es gibt auch Ei und Hähnchen; der Chef will nur, „dass man sich bewusst entscheidet“. Weshalb er bei einer Cappuccino-Bestellung immer fragt: „Hafer oder Kuh?“ Wichtig ist für ihn, was drin ist in seinen Speisen, aber auch das, was nicht drin ist: kein Industriezucker, kein Weizenmehl, keine Aromastoffe, kein Geschmacksverstärker.
Bewusste Entscheidung: Vegan oder Fleisch, Hafer oder Kuh?
Die jungen Kunden, in der Mehrheit Frauen, freuen sich über den Unterschied: „Alle, die ihn kennengelernt haben, wollen nicht mehr zurück.“ Sie halten, sagt Klar aus eigener Erfahrung, „ihr Gewicht besser“, sie regenerierten schneller, seien leistungsfähiger. „Was wir essen, ist der Sprit, den wir tanken.“ Proteine, Fette, Kohlenhydrate, wenig tierische Produkte: „Der Körper kriegt, was er braucht“ und wird nach dem Mittagessen nicht müde. Das Suppenkoma fällt aus.
Aber auch die älteren Gäste sind angetan: Viele erkennen die alte Küche in neuem Mantel wieder, denn ob sie die Zutaten nun Superfood heißen oder gutes Lebensmittel – Rotkohl bleibt Rotkohl.