Ahlen. In einem Dorf bei Ahlen züchtet Ulrich Averbeck seit langem Schweine. Nun produziert er auch Algen. „Man trifft ja nicht mehr nur Fleischesser.“

Das Bild ist vielleicht ein kleines bisschen schief, beschreibt aber ziemlich genau, was dem Landwirt Ulrich Averberg widerfuhr, als er 2018 in einer Fortbildung saß über alternative Produkte. „Maden und Insekten fand ich eklig“, sagt der 46-Jährige: „Aber die Algen haben mich angesprungen.“ Und jetzt lassen sie nicht mehr los. Es ist eines jener Projekte, das Kreditberater freundlich als „interessant“ beurteilen, also eigentlich zutiefst ablehnen: „Regionale Algen.“ Was das jetzt wieder soll?

Doch seit dem Frühjahr steht nun auf dem roten, gut westfälischen Hof der Familie Averberg ein großes Gewächshaus. Ein Gebrauchtes. Aus Holland. Worin Jahrzehnte Tomaten reiften, da wachsen nun in zehn großen Wasserbecken Algen heran. Mikroalgen. Man sieht sie nicht, aber das Wasser ist tiefgrün, und hält Averberg die Hand hinein, ist sie in wenigen Zentimetern Tiefe schon nicht mehr zu sehen.

„Bananen und Kiwis standen vor 100 Jahren auch nicht auf dem Speisezettel“

Man kann die Mikroalgen mit dem Auge nicht sehen, aber das Wasser ist tiefgrün.
Man kann die Mikroalgen mit dem Auge nicht sehen, aber das Wasser ist tiefgrün. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Am Rande des Dorfes Ahlen-Vorhelm betreibt die Familie seit Generationen Schweinemast, aber das funktioniert vielleicht nicht mehr für alle Zeit. „Man trifft ja nicht mehr nur Fleischesser“, nein, selbst hier nicht, tief im Münsterland. Und so will er den Deutschen die Alge ans Herz legen. Ist das nicht sehr exotisch? „Bananen und Kiwis standen vor 100 Jahren auch nicht auf dem Speisezettel“, sagt Averberg: „Sogar die Kartoffel ist nicht heimisch.“

Die Alge sei „ein gesundes Naturprodukt, das macht für den Landwirt den Reiz aus“, sagt Averberg und zählt die Inhaltsstoffe auf: Eiweiß, Eisen, Vitamin K, Omega-3-Fettsäuren – alles Bestandteile, die momentan als gesund gelten. „Wir haben“, sagt sein Kollege Ulrich Wilms aus dem Vorstand der „Deutschen Algen-Genossenschaft (DAG)“, „die Herausforderung, eine wachsende Bevölkerung nährstoffreich zu ernähren und den Anforderungen von Umwelt und Klima gerecht zu werden“.

14 deutsche Landwirte haben diese Genossenschaft Mitte November eintragen lassen, sie soll die Produkte gemeinsam vermarkten (evergreen-food.de). Acht von ihnen bauen bereits Algen an. Ist halt alles noch recht neu: „Herr Averberg, sagt man bei Algen anbauen?“ „Weiß ich auch nicht. Produzieren?“ Averberg ist unter den 14 Kollegen der einzige, der aus Nordrhein-Westfalen kommt, ein weiterer aus Oelde bereitet sich vor; die anderen sind aus Niedersachsen, was ihren gemeinsamen Markennamen sofort erklärt: „Lüttge Spirulina“ – Kleine Alge.

Zum Wachsen braucht die Alge Wärme, Licht und Pflanzendünger

Die Algen-Trockenmasse (unten links) produziert Averberg selbst, in Niedersachsen wird sie weiterverarbeitet zu Nahrungszusätzen oder Vitaminkapseln.
Die Algen-Trockenmasse (unten links) produziert Averberg selbst, in Niedersachsen wird sie weiterverarbeitet zu Nahrungszusätzen oder Vitaminkapseln. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Drei Dosen Lüttge Spirulina stehen auf einem Beistelltisch, davor vier Probiertellerchen. Auf dem ersten liegt, was er hier produziert: Getrocknete Algenmasse, sie sieht aus wie kleine, tief grüne Kartoffelchips. Sogar lecker, leicht salzig, gar nicht fischig. Daneben die weiterverarbeiteten Produkte: Vitaminkapseln, Krümel und Pulver als Nahrungszusatz zu Joghurt, Kuchen, Müsli oder Smoothies. Hochwertig, aber auch nicht billig: 100 Gramm Krümel kosten beispielsweise 15,62 Euro. „Das können Sie schon mit Rinder-Filetsteak vergleichen.“

Im April hat er die ersten Algen aus Vechta geholt, Mitte Mai begann die Ernte. Unter dem Einfluss von Wärme, Licht und Pflanzendünger wachsen die Algen in ihren 30.000-Liter-Becken immer weiter und weiter und wurden bis in den Oktober hinein geerntet. Abgeschöpft, sozusagen: Denn es müssen ja immer Algen bleiben, die weiter wachsen können. „Wie Rasenmähen.“

Im Sommer konnte er täglich zehn Kilo Algen ernten

Eine Umwälzanlage sorgt dafür, dass Sauerstoff ins Wasser kommt und die Algen abwechselnd ans Licht; wo die Anlage nicht hinkommt, bewegt Ulrich Averbeck das Wasser mit dem Schrubber. Im Sommer kam eine Ernte von zehn Kilo pro Tag zusammen. „Da stehen Sie hier um 5 Uhr morgens. Wenn die Sonne hochkommt, ist man schnell gar.“

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Jetzt, im Spätherbst, ist es ruhiger: Die Sonnenstunden reichen nicht mehr fürs Algenwachstum, und künstliche Bestrahlung wäre unbezahlbar. Averberg, der Schweinemäster in Elternzeit, kommt dennoch täglich herein, kontrolliert die Wassertemperatur, guckt durchs Mikroskop, ob die Algen gesund sind und keine anderen Arten eingedrungen. Das Interesse von Kollegen an der Algenproduktion sei groß, sagt er. Eines aber unterscheidet ihn von allen anderen Landwirten weit und breit: Die wünschen sich mehr Regen – er wünscht sich mehr Sonne.