Dortmund/Essen. Erste Städte im Revier stoßen bei der Unterbringung von Ukraine-Flüchtlingen schon an die Grenzen ihrer Kapazität.
Videokonferenz folgt auf Videokonferenz, ein Anruf jagt den nächsten. Die steigende Zahl von Flüchtenden aus der Ukraine wird auch für die Städte im Ruhrgebiet zu einer immer größeren Herausforderung. Krisenstäbe tagen, Task Forces werden gegründet. Gesucht wird überall vor allem nach weiteren Notunterkünften. Aber auch sonst muss das Leben der Neuankömmlinge organisiert werden. Dabei ist Fantasie gefragt und Flexibilität Grundvoraussetzung.
Die Situation im Land, schätzt Christof Sommer, Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Nordrhein-Westfalen (StGB NRW), sei sehr unterschiedlich. Während in einigen Städten bisher kaum Flüchtende eingetroffen seien, würden andere Kommunen schon an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen.
„Angespannte Lage“ in Dortmund– „sehr angespannt“ in Essen
In Dortmund etwa spricht Oberbürgermeister Thomas Westphal von einer „angespannten Lage“. In Essen ist sie laut seines Amtskollegen Thomas Kufen sogar „sehr angespannt“. Bisher sind dort rund 3000 Menschen aus der Ukraine registriert – wie überall ganz überwiegend Frauen und Kinder. Etwa 2000 von ihnen, weiß der OB, seien privat bei Verwandten, Freunden oder hilfsbereiten Bürgern untergekommen. Dennoch sind vorhandenen Unterbringungsmöglichkeiten in Essen laut Kufen bereits ausgeschöpft.
Das Handball-Leistungszentrum in Frohnhausen, das frühere, mittlerweile geschlossene Priesterseminar Kardinal-Hengsbach-Haus und ein Wohncontainer-Standort in Kettwig sowie das leerstehende Marienhospital in Altenessen sollen dabei helfen, die Kapazitäten zu erweitern.
Eissporthalle in Gelsenkirchen wird umgebaut
Auch andernorts wird es eng. In Gelsenkirchen wird deshalb derzeit unter anderem eine zuvor als Impfzentrum genutzte Eissporthalle für die Unterbringung von Ukraine-Flüchtlingen umgebaut. Ab April sollen dort bis zu 250 Menschen Zuflucht finden können, sagt ein Stadtsprecher. In Mülheim, wo die Ausländerbehörde bereits zu Wochenbeginn 514 Flüchtende erfasst hatte, rüstet sich die Stadt mit dem Ausbau des sogenannten Saarner Flüchtlingsdorfs und mit Wohncontainern.
30 dieser Wohncontainer werden aus Österreich angeliefert und sollen bis zum Monatsende bezugsfertig und an die Versorgung angeschlossen sein, kündigt Stadtsprecher Volker Wiebels an. Bei Teilen der Innenausstattung wird es in Mülheim einfacher als in manch ander Stadt. „Wir haben noch 400 Stockbetten aus der Krise im Jahr 2015 auf Lager“, sagt Wiebels.
Jeden Tag rund 250 neue Flüchtlinge in Dortmund
In Dortmund kommen zu den bereits registrierten 4000 Geflüchteten derzeit täglich rund 250 weitere hinzu. Sofern sie nicht bei Freunden und Verwandten unterkommen, finden sie unter anderem in einem ehemaligen Hotel und einem leerstehenden Seniorenheim Platz.
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Aber Sozial- und Gesundheitsamtsdezernentin Birgit Zoerner weiß natürlich, dass das auf Dauer nicht reichen wird. „Wir gehen stark davon aus, dass wir noch mehr Geflüchtete aufnehmen werden.“ Deshalb seien Bezirksregierung und Land intensiv auf der Suche nach weiteren Unterkünften. Leerstand alleine reicht dabei nicht. Bedacht werden, so Zoerner, müssten zudem Faktoren wie Trinkwasser-Versorgung oder Brandschutz.
Preise für Inneneinrichtungen explodieren
Auch die Ausstattung ist schwieriger, weil teurer geworden. Die Preise für Betten oder Waschcontainer, heißt es beim Städte- und Gemeindebund, seien in die Höhe geschossen. So sei zum Beispiel die Sechs-Monats-Miete für einen Waschcontainer innerhalb einer Woche von 7000 Euro auf mehr als 30.000 Euro explodiert.
Nur mit Unterkünften ist es aber ohnehin nicht getan. Die Menschen müssen mit Lebensmitteln, manchmal auch mit Kleidung versorgt werden oder sich selber versorgen. Wer in Dortmund ankommt, kann sich deshalb zunächst beim Sozialamt melden. „Hier erhalten Sie erste finanzielle Mittel“, erklärt Zoerner. Bislang habe die Stadt etwa 1,3 Millionen Euro an Hilfen ausgezahlt.
Interesse an Corona-Impfungen ist groß
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Corona beschäftigt Stadt und Ankömmlinge ebenfalls. Laut Zoerner soll die Impfquote in der Ukraine bei 35 Prozent liegen. Im Impfbus der Stadt Dortmund seien seit Montag vergangener Woche 161 Geflüchtete geimpft worden. „Das Interesse ist groß.“
Genau wie beim Thema Schule. Aktuell würden viele Mütter mit ihren Kinder vorstellig, um ein Schulplatz zu erfragen, berichtet die Dortmunder Schuldezernentin Daniela Schneckenburger. „In der Kalenderwoche 11 hatten wir insgesamt 55 Neuanmeldungen im Dienstleistungszentrum Bildung, davon 44 aus der Ukraine.“ Die Warteliste stehe nun bei 217, davon seien 48 Kinder aus der Ukraine. Auch in anderen Städten des Reviers sind die Wartelisten länger geworden.
Über allen Maßnahmen schwebt das Sprachproblem. „Mit Englisch kommen Sie in den meisten Fällen nicht weiter“, hat nicht nur Anke Widow, Sprecherin der Stadt Dortmund, festgestellt. Glück hat, wer russisch sprechende Mitarbeiter an den richtigen Stellen der Verwaltung hat. „Das können die meisten Menschen in der Ukraine.“ Wo Übersetzer fehlen, reden Hände und Füße. „Irgendwie klappt das dann meist auch“, sagt Widow.