Köln. Ein Priester, der ins Gefängnis muss. Das hat es noch nie gekommen. Auch für die Kirche in Deutschland dürfte das Folgen haben.
Das Urteil steht fest: Zwölf Jahre muss der Priester Hans Bernhard U. wegen zahllosen Fällen von Missbrauch und schwerem sexuellen Missbrauch in Haft. Doch auch für das Erzbistum Köln, beziehungsweise für die katholische Kirche in Deutschland, dürfte dies Folgen haben.
Denn der gut drei Monate währenden Prozess vor der Zweiten Großen Strafkammer kann man mit Fug und Recht historisch nennen. Auch wenn er weitgehend hinter verschlossenen Türen stattfand. Zwar geschah dies auf Antrag der Verteidigung, indes kann es gut sein, dass nur in einem derart geschützten Raum so viele Aussagen möglich wurden, die noch weit mehr über die Untaten Us. enthüllt haben, als dies absehbar war, als vor drei Monaten Staatsanwalt Maurice Niehoff die Anklageschrift verlas und nunmehr 13 Jahre Haft für den 70-Jährigen forderte.
Während des Prozesses meldeten sich weitere Opfer
Denn während des Prozesses kamen so viele weitere Verdachtsmomente ans Licht, fanden sich weitere Zeuginnen, die bereit waren auszusagen, dass Niehoff zu dem ungewöhnlichen Mittel der Nachklageerhebung greifen musste – und sich damit zu den ursprünglich 31 Bernhard U vorgeworfenen Taten weitere 91 Delikte gesellten. U. hat sich das alles angehört, hat hinter verschlossenen Türen wohl umfassend ausgesagt, immerhin mit seinen Anwälten auch der Nachanklageerhebung zugestimmt, die ihm ein zweites Verfahren ersparen. Selbst die Verteidigung, die ein Strafmaß von höchstens acht Jahren gefordert hat, sieht also die Notwendigkeit, dass dieser Priester als Häftling und nicht als Seelsorger ins Gefängnis kommt.
Seit Januar sitzt er wegen Wiederholungsgefahr in Untersuchungshaft. Nach dem Urteil wird er auch weiterhin im Haft bleiben.
In den öffentlichen Sitzungen sitzt er mit gesenktem Kopf, regungslos, vom Publikum halb abgewandt. Vielleicht ein Bild der Scham - ob es eines der Reue ist?
In diesen drei Monaten zeichneten die Vorwürfe ein immer schärferes Bild eines notorischen Sexualstraftäters, der fast sein ganzes Leben lang seine Position als Geistlicher, als Priester der katholischen Kirche ausnutzte, um sich an jungen Mädchen, besser gesagt. Kindern weiblichen Geschlechts, zu vergehen. Und auch, wenn sie nicht auf der Anklagebank sitzen können, müssen sich die Leitungsgremien des Erzbistums Köln fragen lassen, wie es sein kann, dass ein solches Treiben lange Zeit nicht auffiel, nicht wahrgenommen wurde, nicht gesehen werden wollte oder konnte.
Vielleicht gab es wirklich eine Zeit, in der der Beruf des Priesters so sakrosankt erschien, dass man einem erwachsenen Mann wie Hans Bernhard U. bedenkenlos junge Mädchen als Pflegekinder anvertraute, so wie es hier geschehen war. Vielleicht gab es wirklich eine Zeit, in der Familien es als angemessen betrachtet haben, ihre Kinder übers Wochenende im Pfarrhaus übernachten zu lassen.
Statt um die Seelsorge ging es ihm um Sex mit Mädchen vor der Pubertät
Und doch steht die Frage im Raum, wie U. über eine so lange Zeit immer wieder die Gelegenheit bekam, sich der Betreuung von Kindern und Jugendlichen zu widmen. Wobei es ihm, auch das hat das Verfahren ans Licht gebracht, weniger das Seelenheil der Kinder und Jugendlichen ging als vielmehr um das Ausleben seiner krankhaften Neigung, sich sexuell Kindern weiblichen Geschlechts zu nähern, die oft nicht einmal zehn Jahre alt waren.
Das Schema war immer ähnlich: U. probiert aus, wie weit er gehen kann beim Ausleben seiner Neigung. Kann er die Kinder auf seinen Schoß nehmen? Auch, wenn er nur in Unterwäsche oder nackt ist? Erlauben sie ihm, gemeinsam zu duschen oder zu baden? Lassen sie sich eincremen? Berühren? Wie weit kann er gehen, ohne dass die Kinder sich so massiv wehren oder beschweren, dass die Eltern dem Treiben einhalt gebieten? U. ging soweit er konnte – so die jüngsten Vorwürfe – bis zum Geschlechtsverkehr mit einer Zwölfjährigen.
U. entwickelte offenbar über die Jahre hinweg ein Talent dafür, sich die „richtigen“ Familien oder Eltern zu suchen. Zunächst in der eigenen Verwandtschaft, es waren die eigenen Nichten, die die Taten ans Licht und den Prozess ins Rollen brachten. Dann fand er sich bei der Seelsorge: Überforderte, therapiebedürftige, notleidende Eltern mit jungen Töchtern. U. gab dann den einfühlsamen Seelsorger, der sie entlastete von der Verpflichtung, sich um den Nachwuchs zu kümmern. So trieb er es in Gummersbach, so ging es weiter in Wuppertal und später auch in Zülpich.
Das Bild vom braven Hirten und seinen Schäfchen ist verbrannt
Das ging soweit, dass er zum Ziehvater, zum Patenonkel wurde. So geschehen in Gummersbach, wo dann erstmals Vorwürfe gegen ihn laut zwischen 1991 und 1997. Wo die Staatsanwaltschaft ab 2010 ermittelte, diese Ermittlungen aber einstellte, weil die Opfer, mittlerweile erwachsen, ihre Aussagen wieder zurückzogen. Weil es noch immer katholische Familien auseinanderreißt, wenn in ihren Reihen jemand einen Priester, einen heiligen Mann beschuldigt.
Das, und dafür ist der Prozess ein Beleg, hat sich gewandelt. Das Bild vom Hirten und den Schafen, von dem auch Hans U. über Jahrzehnte profitiert hat, es taugt nicht mehr. Dafür haben in diesem Prozess selbst die Oberhirten ein zu klägliches Bild abgegeben. „Brüder im Nebel“ hat Joachim Kardinal Meißner die Akten genannt, in denen er Untaten der vom rechten Weg abgekommenen Priester sammelte. Sein Vorgänger Joseph Kardinal Höffner, hat Pfarrer U. die Erlaubnis zu Pflegekindern gegeben – Ehelosigkeit muss sein, Kinder aber durfte der Priester haben?
Und Rainer Maria Kardinal Woelki, dem man immerhin zu gute halten könnte, dass unter seiner Leitung die Ermittlungen wieder aufgenommen wurden, als die Opfer aus den 90er Jahren den Mut fanden, ihre Vorwürfe erneut zu erheben, beteuert immer wieder, nicht nur von diesen Missbrauchsvorwürfen nichts gewusst zu haben. Darauf kann sich dann auch der damalige Personalchef und heutige Erzbischof von Hamburg, Stephan Heße, berufen - und tat dies auch vor Gericht im Zeugenstand.
Dass er einen Zettel abzeichnet, auf dem steht, dass man sicherheitshalber kein Protokoll fertige, weil derlei ja der Staatsanwaltschaft in die Hände fallen könnte, okay. Aber das muss ja nicht heißen, dass man ihn auch gelesen hat... So gutgläubig können eigentlich nicht einmal Schafe sein. Wie so viele in den Führungsetagen der katholischen Kirche zeigte sich ein wahrer Meister im Weggucken und Nichtwahrhabenwollen, das soweit ging, dass die direkten Vorgesetzten von U. nicht einmal auf Nachfrage auf die zumindest mutmaßlichen Neigungen von U. hingewiesen, die immerhin zu diesem Zeitpunkt schon mal Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen waren.
Brüder im Nebel, Oberhirten im Nebel
Wie tief im Nebel müssen auch Oberhirten sich verlaufen, die einerseits sich für jeden außerehelichen Sex einer ihrer Beschäftigten und gar auch der Gläubigen interessieren und dies notfalls auch sanktionieren, die aber andererseits nicht einmal beim Verdacht der schwersten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern und Jugendlichen genauer nachfragen, akribisch recherchieren, durchgreifend reagieren? Weggucken, vertuschen, versetzen, hoffen, dass keiner was merkt. Oder zumindest es nicht wagt, die im Glaubensbekenntnis zu rühmende Heilige Katholische Kirche und ihre Amtsträger zu hinterfragen.
Nach den Erschütterungen durch die jüngsten Missbrauchsgutachten unter anderem von Köln und München, das einen ehemaligen Papst der Lüge überführte, wird sich nach diesem Urteil muss sich der Machtapparat der Kirche durchgreifend reformieren müssen. Oder er wird seine Macht, die nur aus dem Glauben ihrer Mitglieder entstehen kann, komplett verlieren, weil sie komplett unglaubwürdig geworden ist.