Ruhrgebiet. Eine Familie in Bochum geht seit Jahren kleine Schritte in Richtung Nachhaltigkeit. Inzwischen sind sie damit weit gekommen. Aber eines tut weh.

Am Anfang war die Seife. Seife statt Duschgel. Seife rein pflanzlich ohne Farbstoffe und Aromen. „Vorher hat man unter der Dusche in einer Moschus-Wolke gestanden und sich wie ein Klippenspringer gefühlt. Und dann so eine muffige Seife“, sagt Tobias Terpoorten. Das ist jetzt ein paar Jahre her, und die Welt hat sich gedreht: Inzwischen stört ihn, wenn er etwa nach dem Sport mit anderen duscht - jene Moschus-Wolke.

Tobias Terpoorten, verheiratet, drei Töchter. Vor vier, fünf Jahren hat das Ehepaar Terpoorten beschlossen, erste kleine Schritte in Richtung Nachhaltigkeit zu gehen. Inzwischen sind es sehr viele kleine Schritte, und damit kommt man dann auch schon weit. „Wir leben nicht nachhaltig und klimafreundlich, aber nachhaltiger und klimafreundlicher als vor ein paar Jahren“, sagt der 46-Jährige. Ein früher Otto Normalvermeider.

Glas statt Plastik, Stofftaschentücher, lokales Bier mit Bügelverschluss

Tobias Terpoorten
Tobias Terpoorten © Privat | Privat

Ganz gelegentlich hält er Vorträge zu dem Thema an Volkshochschulen im Ruhrgebiet - aus Spaß am Vortrag („Ich bin selbst gespannt, was ich dann sage“). Sympathischer Typ, kein Fanatiker, man hört es gleich. Dass nicht alle Berufspendler das Auto stehen lassen können - klar. Dass ältere Leute irgendwann nicht mehr das Fahrrad nutzen können - geschenkt. Dass es gute hygienische Gründe für Verpackungen geben kann - logisch. Doch die kleinen Schritte füllen eine lange Liste.

Nur ein kleiner Ausschnitt. Mechanischer statt elektrischer Rasenmäher. Unverpackt einkaufen, wo es geht. Lokales Bier mit Bügelverschluss statt Kronkorken („Überall liegen Kronkorken, überall“). Glas- statt Plastikflaschen. Wasser aus der Leitung. Taschentücher aus Stoff, solange nicht jemand krank ist. Wenn die Familie in einer Pommesbude auftaucht, hat sie eigenes Besteck dabei; und für das Abholen der Pizza ein Blech, statt einen Pappkarton zu beanspruchen. Folgerichtig werfen die Bäckerei-Verkäuferinnen ihnen die Brötchen in ein immer wieder verwendbares Brötchen-Säckchen.

„Wir haben Alltagsroutinen hinterfragt und geändert“

Manche Schritte waren auch größer und verlangten, dass man sich gut einarbeitet. Welcher Anbieter liefert wirklich Ökostrom? Bank, Krankenkasse, Telekommunikation haben sie umgestellt auf nachhaltige Anbieter, die beispielsweise selbst Öko-Strom für ihre Firmengebäude nutzen. „Man kann genauso weiter telefonieren, und die Unterschiede zwischen den Krankenkassen sind marginal.“ Sie kaufen auch fast nichts mehr neu. Sie lesen Kleinanzeigen. „Da gibt es alles: Doppelt geschenkt. Einmal ausprobiert . . .“

Es ist wie ein Sog. Sagt er ja selbst. „Wir haben Alltagsroutinen hinterfragt und geändert“, sagt der Bochumer: „Es ist wie ein Sog und es macht richtig Spaß. Auch den Kindern.“ Ja, die Mädchen haben lange Gesichter gemacht, als das Auto im Oktober 2020 kaputtging und nicht erneuert wurde. Inzwischen sind sie begeisterte Fahrrad-Fahrerinnen geworden. Auch im Winter. Kinder halt: je matschiger, desto gern.

Mit dem Alter und den Kindern begann das Umdenken

Kein Problem: der Einkauf mit dem Fahrradanhänger.
Kein Problem: der Einkauf mit dem Fahrradanhänger. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

An einer Stelle tut es doch weh: Wenn die Eltern Terpoorten morgens um . . ., also, jedenfalls extrem früh aufstehen, weil die Grundschullehrerin Terpoorten aus dem Bochumer Norden mit Bus und Bahn zu ihrer Grundschule in Witten fährt. Die Lösung heißt nicht etwa: Wir kaufen doch ein Auto. Die Lösung heißt: ab und an einen Leihwagen.

Er selbst, Schulentwicklungsplaner in Duisburg, erreicht seinen Arbeitsplatz mit dem Zug. Früher hat er ja anders gelebt. Witze über hutzelige vegetarische Ecken in der Mensa gemacht. Fernreisen. Australien, Island, Südafrika. Als Familie dann zwei Autos vor der Tür und volle gelbe Tonnen. Aber mit dem Alter und den Kindern begann das Umdenken.

Der Vater ist in die Rolle des Reste-Vegetariers gerutscht

„Man merkt plötzlich, dass man eine Verantwortung hat. Alles, was man macht, machen sie nach.“ Naja, nicht alles: Zwei Kinder essen weiter gerne Fleisch, das ist auch okay, Stichwort kein Fanatiker; und ihr Vater ist darüber in die Rolle des „Reste-Vegetariers“ gerutscht, isst Fleisch, das bei ihnen übrig bleibt und sonst weggeworfen würde.

Die volle gelbe Tonne wird bei der Familie nur noch zu einem Viertel voll, bis die Müllabfuhr wieder kommt. Das ist jetzt eine der Stellen, an der Tobias Terpoortens Denken vom Einzelfall weg geht und systemisch wird. „Wenn das alle machen würden, müsste auch der Wagen der Müllabfuhr nur noch alle acht Wochen kommen statt alle zwei Wochen.“

Der Router im Haus geht jetzt nachts aus. Wegen des Stromverbrauchs. Dazu haben sie eigens eine Funksteckdose angeschafft. „Das lohnt sich kaum.“ Aber der Router ist aus. Der Strom unverbraucht. Es ist wie ein Sog.