Essen/Ratingen. Die Immobilienpreise steigen und steigen. Kann man bei einer Zwangsversteigerung noch ein Haus zum Schnäppchenpreis bekommen?
Schnäppchen? Bei einer Zwangsversteigerung? Experten lächeln bei diesen Fragen. Manche lachen auch. Walter Ruesch, Geschäftsführer der Argetra GmbH, die regelmäßig die Daten des Zwangsversteigerungsmarktes in Deutschland erfasst und dafür die Termine von allen fast 500 deutschen Amtsgerichten auswertet, tut nichts von beidem. „Schnäppchen gibt es nicht mehr“, sagt er nur und nennt das Verfahren lieber „alternative Erwerbsform“.
116 Quadratmeter Wohnfläche für 860.000 Euro
Selbst im Ruhrgebiet müssen Bieter mittlerweile tiefer in ihre Taschen greifen. Auf der sogenannten Rheinschiene müssen diese Taschen zudem noch sehr groß sein. Kurz vor Weihnachten erst wurde im Düsseldorfer Stadtteil Bilk ein Reihenmittelhaus aus den 1930ern zwangsversteigert. 116 Quadratmeter Wohnfläche, 264 Quadratmeter Grundstück, Renovierungsbedarf geschätzt irgendwo zwischen 200.000 und 300.000 Euro. Gestartet mit dem Verkehrswert von 570.000 Euro endete die Versteigerung bei 860.000 Euro. Was Makler wahlweise „Wahnsinn“, „völlig verrückt“ oder „nicht nachvollziehbar“ nennen.
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Das Beispiel aus Düsseldorf-Bilk mag ein Extremfall sein, liegt aber im Trend. Denn der Markt gibt es her. „An Käufern mangelt es nicht“, sagt Prof. Dr. Michael Voigtländer, Leiter des Kompetenzfelds Finanzmärkte und Immobilienmärkte am Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. „Es verkauft aber kaum jemand.“
Auch im Ruhrgebiet wird es teurer
Das führt nicht nur zu absurden Preisen in den „guten Gegenden“ entlang des Rheins, sondern lässt auch, die Preise im Ruhrgebiet steigen. Billiger aber ist es im Revier immer noch. Kostete der Quadratmeter in Köln Ende 2020 im Schnitt 4300 Euro, waren es in Dortmund nur 2100 Euro, in Gelsenkirchen sogar nur 1300 Euro.
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„In Köln oder Düsseldorf sind Immobilien für viele Menschen mittlerweile unerschwinglich“, weiß Erich Uwe Amaya, Verbandsdirektor von Haus & Grund RheinlandWestfalen. Nicht nur auf dem freien Markt, auch bei Zwangsversteigerungen.
Zahl der Zwangsversteigerungen ist gesunken
Wobei die Zahl der Zwangsversteigerungen weiter rückläufig ist. 2021 wurden, laut des am Donnerstag veröffentlichten Argetra-Berichts, bundesweit insgesamt 13.163 Immobilien mit einem Verkehrswert von 2,92 Milliarden Euro aufgerufen – meist Wohnimmobilien mit dem Löwenanteil bei Ein- und Zweifamilienhäusern, gefolgt von Eigentumswohnungen. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren war es noch rund 73.000 mit einem Verkehrswert von 11,6 Milliarden.
Zahlen aus dem Ruhrgebiet bestätigen diese Entwicklung. Beim Justizzentrum Bochum etwa ist die Zahl der Eintragungen seit 2017 um mehr als die Hälfte von 270 auf nur noch 121 im vergangenen Jahr gesunken. Auch an den meisten anderen Amtsgerichten im Ruhrgebiet sind die Zahlen 2021 – im zweiten Jahr der Pandemie – rückläufig gewesen.
Nur jedes zweite Verfahren landet vor Gericht
Corona habe sich auf die Zahl der Zwangsversteigerungen nicht ausgewirkt, sagt Argetra-Chef Ruesch. „Die vielen staatlichen Maßnahmen haben Wirkung gezeigt.“ Nun aber laufen viele dieser Maßnahmen aus, werden erste Rückzahlungen eingefordert, müssen Kredite wieder bedient werden. Zwangsversteigerungen, sagt Ruesch, könnten wieder zunehmen.
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Sicher aber ist das nicht. Denn so lange der Immobilienmarkt boomt, können Hausbesitzer sich oft auch so aus der finanziellen Klemme befreien. „Nur fünfzig Prozent der Zwangsversteigerungsverfahren landen auch im Gerichtssaal“, bestätigt Ruesch. Manchmal, heißt es auch bei den Amtsgerichten, werde ein Termin vor Gericht „in letzter Minute“ gecancelt.
Viele Schuldner verkaufen auf dem freien Markt
Und in vielen Fällen können die gerade noch klammen Schuldner sich bei einem Verkauf auf dem freien Markt über einen Gewinn freuen. Weil sie mehr für ihr Haus bekommen haben, als sie der Bank noch schulden.
Aber selbst wenn es zur Versteigerung kommt, wird es für die Käufer meist kein Sonderangebot. „Wenn Sie nur den mit Hilfe von Gutachten ermittelten Verkehrswert zahlen, dann sind Sie schon gut dabei“, sagt Ruesch.
Oft aber wird der Verkehrswert als Mindestpreis schnell überboten. Negativzinsen auf der Bank, kaum andere Anlagemöglichkeiten: „Da setzen viele lieber auf Betongold“, schließt Erich Uwe Amaya von Haus & Grund.
Die Preise könnten langsamer steigen
Kurzfristig wird sich die Lage auf dem Immobilienmarkt nach Einschätzung von Experten nicht ändern. Im Augenblick deute noch nichts auf eine „spekulative Blase“ hin, sagt Voigtländer. Der Experte rechnet höchstens damit, „dass die Preise langsamer steigen“.
Fein raus sind schon jetzt Menschen, die sich vor einigen Jahren ihre Immobilie gekauft haben. „Ich kenne viele Fälle“, sagt Amaya, „da hat sich der Wert mittlerweile mindestens verdoppelt.“