Ruhrgebiet. Keine Ligen, kleinere Teams: Bald ändert sich der Fußball in F- und E-Jugend. Die Kinder sollen mehr Spaß haben, doch die Reform ist umstritten.
Zwei Welten des Fußballs sind gerade zusammen auf einem Platz, dem des Spielvereins Westrich in Dortmund. Auf der rechten Hälfte tragen Zehn- und Elfjährige, die E-Jugendlichen, ein Freundschaftsspiel gegen Waltrop aus, und man sieht richtigen Fußball und hört es an den Rufen der Trainer: „Niklas, innen stehen.“ „Biete dich an, Jan. Auf den Ball zugehen.“
In einer Ecke der linken Hälfte trainieren die Minis, G-Jugend, fünf, sechs Jahre alt, mit zwei Trainern und wenigen Vorgaben. Das freundliche Prinzip: ein Kind, ein Ball, schießen, werfen; darüber hinaus machen sie mehr oder weniger das, was sie wollen; wer abschweift, um gedankenverloren in der Nase zu bohren, der darf auch das. Den zusammen rund 25 kickenden oder trainierenden Kindern gucken circa 60 Menschen zu. Betreuer, Eltern, Geschwister. Mittwochabends. Im Februar. Es ist die wunderbare Kraft des Fußballs.
DFB beschließt die Änderungen im März, viele Eltern sind noch ahnungslos
Allerdings ist den wenigsten Eltern klar, dass sich für den Nachwuchs bis einschließlich der E-Jugend vieles ändert. Das beschließt der DFB im März und nähert sich damit dem alten Straßenfußball an: keine Ligen und keine Tabellen mehr. Kleine Mannschaften von drei bis sieben Spielern kicken dann gegeneinander auf Kleinplätzen und auf kleine Tore.
Die Teams sollen möglichst so zusammengestellt sein, dass sie ungefähr gleich stark sind. Statt Spieltagen gibt es „Festivals und Spiele-Nachmittage“ mit mehreren kurzen Kicks für alle. Sieg und Niederlage würde es natürlich auch beim „Spiele-Nachmittag“ geben, aber das Wort klingt ein kleines bisschen nach Wattepusten und Topfschlagen.
Den Vereinen sollen weniger Kinder wieder verlorengehen
Der Hintergrund für die Änderungen: Sie sollen dazu führen, dass möglichst alle Kinder möglichst viel spielen, Erfolge und Spaß haben, weniger Druck empfinden, weniger Leid als ewige Ersatzspieler. Und der Hintergrund vom Hintergrund ist: Es sollen weniger Kinder, die einmal angemeldet sind, den Vereinen wieder abspringen.
Das Neue wird so kommen. Überall. Spätestens 2024. Spiele-Nachmittage für Mini-Kicker gibt es bereits im Fußballkreis Recklinghausen; Bochum und Herne fangen nach dem Sommer damit an. Hoch umstritten ist es dennoch. Es heißt, die Funktionäre seien überwiegend dafür und die Trainer überwiegend dagegen. Und wenn man sich dann unsystematisch umhört, dann scheint das zu stimmen.
„Die Besten tun sich zusammen, dann kommt der Mittelbau“
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Marcel Hoffmann etwa ist Trainer der E-Jugend beim Rumelner TV in Duisburg, „Ich finde den Ansatz im Training völlig richtig“, sagt der 40-Jährige: „Keiner steht herum, alle bespielen sich, das nutze ich auch.“ Dasselbe im Spielbetrieb anzuwenden, davon ist Hoffmann „nicht überzeugt“. Heute macht er aus seinen 21 Spielern zwei Mannschaften à sieben plus Ersatzspieler - dann hätte er vier Mannschaften à fünf.
Vor allem bezweifelt Hoffmann, dass die richtig guten Fußballer sich bewusst mit schwächeren aufstellen lassen: Wenn Straßenfußballer Mitspieler wählen, bleiben ja auch immer die schwächsten übrig. Hoffmanns Prognose für die Vereinsmannschaften: „Die Besten tun sich zusammen, dann kommt der Mittelbau und dann die, die noch nicht soweit sind.“ Auch würden viele Vereine das Gewinnen nicht aus den Augen verlieren wollen. Gewinnen bedeutet Attraktivität, Mitglieder, Beiträge.
„Jedes Kind bekommt mehr Spielzeit, man muss versuchen, alle mitzunehmen“
Telefonat mit Matthias Wolf. Der 51-Jährige Wittener steht für die Gegenposition, er ist im Fußballkreis Bochum stellvertretender Vorsitzender des Jugendausschusses. Er lässt das Argument nicht gelten. „Bei der Aufstellung ist der Trainer gefragt. In der Schule setzen die Lehrer auch nicht die Besten zusammen. Kinder entwickeln sich unterschiedlich, auch im Fußball.“
Auch die Rolle des Trainers werde sich ändern: Er ist dann mehr der Organisator des Spiele-Nachmittags. Bei vielen gleichzeitigen Kleinspielen müssen mehr Betreuer oder Eltern helfen. Im Mittelpunkt aber stünden die Kinder, sagt Wolf: „Jedes Kind bekommt mehr Spielzeit. Man muss versuchen, alle mitzunehmen.“
Seit 2009 immer weniger Jugendmannschaften, aber 2021 war anders
Der menschenfreundliche Ansatz hat aber auch einen Hintergrund aus Zahlen. Seit 2009 gibt es immer weniger Jugendmannschaften, auch dem wirkt entgegen, wenn man alle mitnimmt. Aber der Trend hat sich etwa in Westfalen gerade wieder umgekehrt: Von 2020 auf 2021 gab es einen Zuwachs um 152 Mannschaften auf jetzt 8627. In den besten Jahren um 2006 herum waren es allerdings auch mal 12.000.
Zurück nochmal zum SV Westrich. Rechts ärgert sich die E-Jugend über die Gegentore, links tollen die G-Kinder herum. Es sind zwei Welten des Fußballs. Das Plakat, mit dem sie hier Nachwuchs suchen, hält exakt die Waage: „Wir suchen dich!!! Spaß am Fußball? Neue Herausforderung? Dann seid ihr bei uns genau richtig!“ Und Daniel Teine, der beides ist, Jugendleiter und Trainer, der sagt zu den Neuerungen: „Ich tue mich schwer damit. Aber man kann es nicht schlecht finden, wenn man es nicht ausprobiert.“