Bochum. Seit über 40 Jahren leistet die „Gesellschaft Bochum-Donezk“ humanitäre Hilfe in der Ostukraine. Im Moment geht fast nichts wegen der Spannungen.

Jutta Kreutz fährt vor, hält vor einer Halle, ihrer Halle irgendwie auch, macht die Heckklappe ihres Autos auf. Darin Säcke mit Kleidung, mit Schuhen. „Das sind Sachen aus meinem eigenen Zwischenlager. Garage“, sagt die 63-Jährige. Sie ist die Vorsitzende der „Gesellschaft Bochum-Donezk e.V.“, einer Hilfsorganisation - und spendet ihr sozusagen gerade selbst.

Es ist nicht leicht in diesen Tagen. Donezk, Millionenstadt in der Ostukraine, aber in der Hand russisch inspirierter, russisch unterstützter Separatisten. Eine eigene kleine, selbst ernannte „Volksrepublik Donezk“ seit 2014. Nah am aktuellen Aufmarschgebiet der russischen Armee. „Das letzte Mal, als ich dort anrufen wollte, hat es nicht geklappt.“ Zufall? Wetter? „Ich kann auch nicht behaupten, dass es politisch bedingte Störungen waren.“ Man weiß es nicht.

„Im Moment wird es von allen Seiten erschwert. Neue Regeln, neue Formulare“

In Hallen am Rande der Bochumer Innenstadt werden die Spenden zunächst gelagert.
In Hallen am Rande der Bochumer Innenstadt werden die Spenden zunächst gelagert. © FFS | Kai Kitschenberg

Im November, als die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine weiter wuchsen, im November 2021 hatte der letzte Hilfstransport gehen sollen. Nicht nach Donezk, da kommen Helfer aus Deutschland gar nicht mehr herein. Sondern in die Hauptstadt Kiew; von dort aus bringt eine einheimische Hilfsorganisation die Sachen normalerweise zu Flüchtlingen aus Donezk, die an der Grenze leben. Doch der Transport ist noch immer nicht gefahren. „Im Moment wird es von allen Seiten erschwert. Neue Regeln, neue Formulare.“

Weil der ukrainische Staat unter Stress steht? „Ich weiß es nicht.“ Sechs, sieben kleinere Hallen am Rand der Innenstadt füllt die „Gesellschaft Bochum/Donezk“ mühelos hinter Tor 13. Wenn der Laster weiter ausbleibt, wird sie keine Spenden mehr annehmen können. Es türmt sich ja so schon: Kinderwagen gefaltet, Krücken zuhauf, x Pakete mit Untersuchungshandschuhen. Bügelbretter, Kinderstühle, Teddybären, Hemden, Hüte, Stiefel, Schuhe, Spiele. „Medizinische Hilfsmittel“ steht auf Umzugskartons, daneben in kyrillischen Buchstaben dasselbe - darf man ja wohl annehmen. Gelbe Säcke, graue Tüten, Reisetaschen prallvoll.

An der Grenze der „Volksrepublik“ wird schon seit 2014 geschossen

Was noch hielt bis zuletzt, war der Kontakt zu einem Krankenhaus in Donezk. „Unsere Hilfe für das Krankenhaus musste über Russland laufen, weil von westlicher Seite nichts mehr hineinkam.“ Geld floss aus Bochum nach Moskau, wo die russische Hilfsorganisation „Doctor Lisa“ davon Medikamente kaufte und nach Donezk brachte. Aber auch das funktioniert nicht mehr.

„Jetzt wird ihnen mehr oder weniger verboten, ihre Lieferung dorthin zu bringen“, sagt Kreutz, eine kaufmännische Angestellte, wohnhaft in Hattingen. Eigentlich hatte sie Russisch studiert, aber keine Anstellung als Lehrerin gefunden. Zur Gesellschaft Bochum-Donezk ist sie gekommen, weil sie für Delegationen gedolmetscht hat. Als es noch solche Delegationen gab - die offizielle Städtepartnerschaft ruht, seit Donezk sich Volksrepublik nennt. An ihrer Grenze wird schon seit 2014 immer wieder geschossen, sterben Menschen, andere leben in zerschossenen Abbruchhäusern. Von außen betrachtet, ist es ein Klein-Krieg; von innen erlebt, eine große Katastrophe.

„Schön zu hören, dass irgendwo das Leben noch normal ist“

Jutta Kreutz war 1991 erstmals in der Ostukraine. Gut 20 Jahre später hatte sie den Eindruck, dass man die humanitäre Hilfe langsam herunterfahren könnte.
Jutta Kreutz war 1991 erstmals in der Ostukraine. Gut 20 Jahre später hatte sie den Eindruck, dass man die humanitäre Hilfe langsam herunterfahren könnte. © FFS | Kai Kitschenberg

Den aktuellen Aufmarsch nennt Jutta Kreutz „bedrohlich“, hat auch eine klare Meinung zum Thema, will die aber nicht öffentlich ausdrücken. „Wir sind eine unabhängige Gesellschaft.“ Die humanitäre Arbeit würde noch schwerer, vielleicht unmöglich, wenn sich eine der beteiligten Seiten angegriffen fühlt.

Solange niemand reisen kann, nicht an die gefährdete Grenze, bleiben diese Telefonate. „Die Menschen sagen oft, erzähl’ uns mehr davon, schick’ uns Fotos.“ Von ganz alltäglichen, normalen Sachen oder Abläufen. „Man hört auch oft, dass jemand sagt: Schön zu hören, dass irgendwo das Leben noch normal ist.“

2013 dachten sie, sie könnten die humanitäre Hilfe langsam zurückfahren

1991 war Jutta Kreutz zum ersten Mal in Donezk, landete damals nachts. Sie trat aus dem Flugzeug und dachte: „Das riecht wie früher bei uns. Schwerindustrie. Kohle.“ 2013 dann, mehr als 20 Jahre später, „haben wir zum ersten Mal gesagt: Jetzt können wir unsere humanitäre Hilfe langsam zurückfahren. Donezk entwickelte sich mehr und mehr zu einer europäischen Stadt.“ Es ist anders gekommen, ganz anders. Doch falls die Lage sich entspannt, wie auch immer, dann wird sie sofort fliegen: „Wir haben da Freunde.“

Wenn wenigstens schon mal der Laster fahren könnte. Die Helfer müssen vorab eine genaue Liste der Hilfsgüter nach Kiew schicken, ein Ministerium muss das genehmigen. Eine Mitarbeiterin tritt zu Jutta Kreutz: „Unsere Unterlagen sind dort nicht angekommen.“ Draußen fährt eine nächste Frau vor. Wieder Kinderkleidung, Kinderschuhe, Säcke voll.