Essen. Eine junge Frau mit Gitarre eroberte 1972 die Hitparaden. Der Song „Am Tag als Conny Kramer starb“ machte Juliane Werding über Nacht berühmt.
Sie ist 15, als Deutschland sie 1972 kennenlernt. Ein Mädchen mit langen, aschblonden Haaren, Mittelscheitel, vollen Lippen und ehe blassem Teint. Mit Hang zu dunkler Kleidung, einem dicken, goldenen Kreuz um den Hals und meist mit ihrer Gitarre über der Schulter. Das Saiteninstrument braucht sie auch, denn Juliane Werding aus dem Essener Stadtteil Rüttenscheid singt. Deutsch aber keinen Schlager. Sie will keinen Cowboy als Mann, fährt auch nicht in einem knallroten Gummiboot. Sie erzählt in ihrem Lied davon, was passiert ist, „Am Tag als Conny Kramer starb“. Das ändert viel in diesem Land.
Sie ist jung aber kein Neuling mehr, als der Erfolg kommt. Schon zwei Jahre zuvor ist Juliane mit dem Udo Jürgens-Song „Mein Weg“ im SWF-Talentschuppen aufgetreten. Der Auftritt beschert ihr zwar keinen Hit aber einer der Juroren wird auf den Teenager aufmerksam. Peter Meisel heißt der Mann, ist Musikverleger und bekannt dafür, ein gutes Näschen für Talente zu haben. Manuela („Prost, Onkel Albert“), Marianne Rosenberg oder Drafi Deutscher zählen zu seinen Entdeckungen. Auch Werding traut er viel zu. Aber was soll sie singen?
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Alle Experten waren skeptisch
Da erzählt Juliane ihm von ihren Erlebnissen als ihren Erlebnissen als Straßenmusikantin in der Essener Fußgängerzone, „Ich war mit ein paar Typen gut befreundet. Wenn die dann so langsam abkratzen, dann ist das was Entsetzliches.“ Für Meisel aber ist es auch eine Idee. Er nimmt die Melodie des US-Hits „The Night They Drove Old Dixie Down“ und lässt den bekannten Texter Hans-Ulrich Weigel einen neuen Text dazu schreiben. Aus „Lebe-Peter“, wie der offiziell erste Drogentote der Stadt Essen gerufen wurde, wird darin Kalle Kramer. Juliane aber tauscht den Vornamen gegen Conny aus – eine Erinnerung an ihren ersten Freund. Ein Lied über einen jungen Mann, der den Verlockungen von Hanfprodukten erliegt und später auch zu härteren Drogen greift - so etwas kennt man damals nicht zwischen Alpen und Nordsee. Wer deutsch singt, der erzählt von Mädchen, die Bianca heißen oder Trödlern namens Abraham. „Als die Aufnahme fertig war, waren wir drei – Peter, Juliane und ich – die einzigen, die daran glaubten“ hat sich Weigel später mal erinnert. „Alle anderen Experten im Haus sagten: ‚Das wird nie etwas. Das kriegen wir nirgends gespielt‘.“
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Zumindest nicht überall. Viele Radiosender boykottieren die Nummer. „Wir können zwischen Dash- und Omo-Werbung kein Lied mit solch ernstem Problem spielen“, sagt etwa Frank Elstner, damals Chefsprecher der werbefinanzierten fröhlichen Wellen von Radio Luxemburg. Doch dann tritt die Schülerin aus dem Ruhrgebiet am 19. Februar in Berlin in der 31. Ausgabe der ZDF-Hitparade auf. Und als dann auch noch bekannt wird, dass der Text quasi auf einer wahren Geschichte beruht, brechen alle Dämme.
Kritiker nennen das Lied zwar „Gesangsgruppenvorlage für Sozialpädagogen“ aber „Am Tag als Conny Kramer starb“ stürmt trotzdem an die Spitze der Verkaufscharts, bleibt drei Monate in den Top Ten und geht mehr als einen Millionen Mal über die Ladentheken. An der Friedjof-Nansen-Straße, wo Juliane zusammen mit Vater Jupp, Mama Ruth und Kater Purzel lebt, schleppt der Briefträger die Post in großen Waschkörben ins Haus. Und die Nonnen am katholischen „Beatae Mariae Virginis“-Gymnasium, fragen Juliane freundlich, ob sie nicht vielleicht die Schule wechseln könnte. Denn immer wieder stehen plötzlich Reporter im Klassenzimmer.
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„Wenn du denkst du denkst...“
Es ist einfach das richtige Lied zur richtigen Zeit. Denn es ist die Zeit, in der die Menschen auch im Ruhrgebiet merken, dass man sich nicht nur mit Pils und Korn berauschen kann. Und dass es nicht mehr ausschließlich die paar Tausend Hippies im Land sind, die sich regelmäßig einen Joint zwischen die Lippen schieben. Da stört es keinen, dass Werding mehr fragende, klagende junge Frau ist als fröhlicher Teenager. Gleichaltrige fühlen sich von ihr verstanden, Eltern sind in Sorge. Im ganzen Land blicken sie – alarmiert von immer neuen Artikeln und TV-Reportagen - in Kinderzimmerschubladen, schauen in Sporttaschen des Nachwuchses. „Hast du schon mal…?“ „Kennst du welche, die…?“
Das Lied wird für Werdings Karriere ein Siebenmeilenstiefel, ist anfangs aber eher ein Hemmschuh. Denn mit „schwerer Kost“, –mit „zeitkritischen und nachdenklichen Liedern“ also, soll es nach dem Willen ihrer Plattenfirma weitergehen. Doch das funktioniert nicht. Erst 1975, im „Internationalen Jahr der Frau“, schreibt ihr ausgerechnet Frauenversteher Gunter Gabriel den Schlager „Wenn du denkst du denkst…“, in dem Werding erzählt, wie sie eine Runde Macho-Männer beim Skat-Spielen in einer Kneipe abzockt: „Ich gewann das Spiel – das war zu viel“. Das Lied beschert ihr nicht nur endlich wieder einen Top-Fünf-Hit, sie darf auch – was heute gerne vergessen wird - live in der ZDF Hitparade gegen den späteren Skatweltmeister Will Knack aus Dortmund antreten. Und gewinnt.
Mehr als 30 Jahre lang taucht Werding von da an immer wieder in den Charts auf – wenn auch meist nur kurz und nie mehr ganz oben. Eine Zeit lang singt sie mit kurzen und malvenfarbigen Haaren von Natur und vom Frieden, später tourt mit Maggie Reilly und Victor Lazlo. Sie widmet sich der Esoterik, beschäftigt sich ausgiebig mit Reinkarnation. In München steht sie nach absolvierter Schauspielausbildung in dem Theaterstück „Die Vagina-Monologe“ auf der Bühne, mit dem evangelischen Theologen Uwe Birnstein, zwischenzeitlich ihr Mann, veröffentlicht das Interviewbuch „Sagen Sie mal, Herr Jesus.“ Beides mit – sagen wir mal – überschaubarem Erfolg.
Sängerin hat sich zurückgezogen
Schon 1982 lernt sie PR-Frau, drei Jahre später beginnt sie eine Ausbildung zur Heilpraktikerin. 2008 hängt sie die Gitarre an den Nagel, stellt das Mikro in die Ecke und eröffnet eine Praxis am Starnberger See. Seitdem hat man nichts mehr gehört von Werding. Interviews gibt sie schon lange nicht mehr, seit kurzem sind auch E-Mail-Adresse und Homepage abgeschaltet.
Was bleibt ist die Erinnerung an Conny Kramer, an dieses Lied, das die Rauschgiftproblematik vor 50 Jahren ins Licht der Öffentlichkeit holte. Ein Lied, dass Werding nach eigener Aussage nie leid wurde zu singen. Den meisten Süchtigen, hat sie 1972 einmal gesagt, könne sie mit dem Song natürlich nicht helfen. „Aber wenn nur einer auf mich hört, hat es sich schon gelohnt.“
Und räumen wir an dieser Stelle mit zwei weit verbreiteten Irrtümern auf. „The Night They Drove Old Dixie Down“, der Song den Juliane Werding mit „Am Tag als Conny Kramer starb“ coverte, stammt im Original nicht von Joan Baez. Und er hat auch nichts mit Drogen zu tun. Das Lied stammt ist ein Song der kanadisch-amerikanischen Rockgruppe „The Band“, eine zwischen 1969 und 1977 vor allem in den USA sehr populäre Band. Geschrieben von Robbie Robertson, erschien das Stück im September 1969 auf dem Album The Band und wurde zwei Monate später als B-Seite der „Up on Cripple Creek“ veröffentlicht. Wirklich bekannt aber wurde es – völlig neu arrangiert – zwei Jahre später durch Joan Baez.
Dixie ist kein Mensch sondern eine in den USA gebräuchliche und populäre Bezeichnung für jene Südstaaten, die im amerikanischen Bürgerkrieg die sogenannte Konföderation bildeten. Deren Untergang und die Sinnlosigkeit des Krieges aus Sicht des Konföderierten-Offiziers Virgil Cane ist die Geschichte, die das Lied erzählt.
Joan Baez ist übrigens nicht die einzige, die die Nummer gecovert hat. Auch die Country-Größen Johnny Cash und John Denver oder die Black Crowes haben es nachgesungen. In Deutschland sorgten allerdings 1986 „Die Goldenen Zitronen“ für mehr Aufregung, als sie den Song unter dem Titel „Am Tag, als Thomas Anders starb“ aufnahmen.
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