Essen/Bottrop. Jahrelang missbrauchte der Priester Peter H. kleine Jungen. Ein geheimes Dekret zeigt, dass wohl auch der spätere Papst Benedikt Bescheid wusste.
Der Fall Peter H. steht für schweren Missbrauch und maximales kirchliches Versagen: Jahrzehntelang decken Kirchenobere den Priester, schieben ihn von einer zur anderen Gemeinde, im Ruhrgebiet wie in Bayern. Auf dem Höhepunkt des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche erregt der Fall H. im Jahr 2010 dann besondere Aufmerksamkeit: Denn als der Priester 1980 nach München kam, war dort Joseph Ratzinger Erzbischof. Ob der spätere Papst Benedikt XVI. eine Mitverantwortung im Fall H. hat, interessiert nun die Weltpresse. Doch lange sieht es aus, als würde sich diese Frage nie klären lassen.
Der emeritierte Papst sagt, er habe die Missbrauchsvorwürfe nicht gekannt
Der Münchner Erzbischof Reinhard Marx und Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck versuchen, Peter H. damals aus dem Priesteramt zu entfernen, sie scheitern indes am Veto des Vatikans. Overbeck versetzt den Priester im März 2010 aber in den Ruhestand.
Ab 2015 untersucht dann der Münchner Kirchengerichtschef, Offizial Lorenz Wolf, im Rahmen eines kirchlichen Verwaltungsstrafverfahrens den Fall und legt 2016 das damals geheime Dekret vor, das jetzt auf den 94-jährigen Benedikt weist: „Der damalige Erzbischof Joseph Kardinal Ratzinger [...] war in Kenntnis der Sachlage zur Aufnahme des Priesters H. bereit“, heißt es in dem Dekret, das der „Zeit“ vorliegt. Auf Anfrage der Wochenzeitung widerspricht Benedikts Privatsekretär Georg Gänswein: „Er hatte von den Vorwürfen sexueller Übergriffe keine Kenntnis.“ Das Dekret urteilt dagegen deutlich: Bischöfe und Generalvikare in München und Essen seien „der Verantwortung gegenüber den ihrer Hirtensorge anvertrauten Kindern und Jugendlichen nicht gerecht geworden“.
Als Zwölfjähriger wurde er von dem Priester missbraucht
Auch der Versuch von Overbeck und Marx, Peter H. 2010 aus dem Klerikerstand zu entlassen, wird heute neu bewertet. Das wäre für beide die „angenehmste Lösung“ gewesen, sagt der Bonner Kirchenrechtler Prof. Norbert Lüdecke im Interview mit „Christ und Welt“: „Sie hätten die ganze Angelegenheit damit [...] schnell und geräuschlos vom Tisch gehabt.“ Das Ruhrbistum bestreitet diese Lesart: „Für den Bischof hatte Vorrang, den Fall eines mehrfach überführten Missbrauchstäters sowie in vielen weiteren Fällen Beschuldigten kirchenrechtlich zügig und vollständig aufzuklären und entsprechende Sanktionen herbeizuführen. Bischof Overbeck wollte unbedingt erreichen, dass H. aus dem priesterlichen Dienst entlassen wird und von ihm keine weitere Gefahren ausgehen.“
Im Jahr 2020 kehrte H. in sein Heimatbistum zurück, er lebt nun wieder in Essen – unter kirchlicher Aufsicht. Bis zu viermal wöchentlich kommen Therapeuten und Betreuer zu dem 74-Jährigen, notiert die „Zeit“. Für Markus Elstner aus Bottrop, wo der Fall vor Jahrzehnten begann, ist das eine Provokation. Immer wieder machte der Priester den damals Zwölfjährigen betrunken und missbrauchte ihn schwer. Seit Jahren kämpft Elstner dafür, dass die Kirche sich zu ihrer Mitschuld bekennt und den Täter zur Verantwortung zieht: „Der wird bemuttert wie das verlorene Schaf. Wo bleiben seine Opfer? Wir haben lebenslänglich.“