Ruhrgebiet. Bis zu 700.000 Neuinfektionen täglich, fürchten Politiker – und fordern zum Schutz der kritischen Infrastruktur eine Verkürzung der Quarantäne.
Die Geschichte ist nicht wahr, aber zu schön, als dass sie verloren gehen dürfte. Sie geht so: Eine Ärztin, die ein Bekannter meines Schwippschwagers kennt, hat in einem Einkaufszentrum einen Menschen gesehen, von dem sie wusste, dass er in Quarantäne sein müsste. Das Einkaufszentrum hat ihn dann per Durchsage aufgefordert, sich am Info-Schalter zu melden. Und denk’ nur: Nach und nach sind da 30 Leute erschienen.
Passiert sein soll das mal im Designer-Outlet Roermond, mal bei Kaufland in Neckarsulm, überhaupt in Zentren in ganz Deutschland. Mal erkennt eine Ärztin jemanden, mal ein Mann vom Gesundheitsamt, mal finden sich 30 Leute ein, mal fünf. Die Frage, was Quarantänebrecher veranlassen sollte, sich auf die Durchsage eines Kaufhauses hin (!) zu stellen, praktisch um Bußgeld zu betteln, bleibt unbeantwortet. Eine moderne Sage.
„Die Kontrolldichte nimmt in dem Maße ab, in dem die Zahl der Betroffenen steigt“
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Die Moral von der Geschichte? Wäre: Die Behörden sind schon jetzt überfordert, die Quarantäne-Regeln zu überwachen. Dem ist aber nicht so, sagen Gemeinden und Gemeindevertreter übereinstimmend. „Das erfolgt durch regelmäßige Anrufe oder stichprobenartig durch Besuche“, erklärt etwa Philipp Stempel vom „Städte- und Gemeindebund“: Aber es liege auf der Hand, „dass die Kontrolldichte in dem Maße abnimmt, in dem die Zahl der Betroffenen steigt“.
Und eben dieses befürchtet derzeit mancher: dass es wegen der sich rasant verbreitenden, hoch-infektiösen Omikron-Variante des Corona-Virus bald zu einer Explosion der Inzidenzen, zu einer Art „Massenquarantäne“ und in der Folge zum Ausfall auch von Polizeien und Feuerwehren, Krankenhäuser und Kraftwerke kommt. Omikron könnte zu 700.000 Neuinfektionen täglich führen, warnt etwa Sepp Müller (CDU), Vize-Vorsitzender der Unionsfraktion Bundestag.
„Wir können nicht das ganze Land in Quarantäne schicken“
Vorhersagen sind allerdings schwierig, wie man weiß, vor allem die Zukunft betreffend. Sicher ist: In Deutschland gilt bei einer Infektion mit der Omikron-Variante derzeit eine 14-tägige Quarantäne, ein Freitesten ist nicht möglich. Und was die Quarantäne-Zahlen in die Höhe katapultieren könnte: Auch Kontaktpersonen müssen sich solange isolieren!
Um Personalausfälle zu verhindern, so die Logik, müsste die Quarantäne-Zeit verkürzt werden. Bayerns Ministerpräsident forderte als erster eine Reduzierung der Isolations-Dauer. Man könne, sagte Markus Söder mit Blick auf die kritische Infrastruktur, „nicht das ganze Land in Quarantäne schicken“. Und Sparkassenkunden in Heiligenhaus müssen bereits heute sehen, wo sie ihre Bankgeschäfte erledigen: Die Kreissparkasse Düsseldorf schloss wegen der befürchteten Omikron-Folgen bereits kleine Filialen, konzentrierte ihr Personal in den großen...
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Aus medizinischer Sicht spricht indes wohl wenig gegen den Vorschlag. Er korrespondiert mit einer Empfehlung der CDC: Die amerikanische Gesundheitsbehörde hatte am Montag empfohlen, die Quarantäne-Dauer für positiv Getestete ohne Symptome von bislang zehn auf fünf Tage zu verkürzen. Über Weihnachten waren in den USA täglich 200.000 Neuinfektionen gemeldet worden. Hunderte Flüge müssten an den Feiertagen gestrichen werden, weil sich Crew-Mitglieder in Quarantäne befanden.
„In zwei, drei Wochen werden wir mehr sagen können“
Prof. Sebastian Voigt, Virologe an der Uniklinik Essen, hält den Vorstoß der US-Behörde für sinnvoll, er glaubt, auch in Deutschland müsse „zeitnah“ über einen solchen Schritt nachgedacht werden, „um die Aufrechterhaltung der kritischen Infrastruktur sicherzustellen“. Aktuell sei es aber noch zu früh, um die Eigenschaften der Omikron-Variante umfassend beurteilen zu können. „In zwei bis drei Wochen werden wir mehr sagen können.“ Bis dahin sei es sinnvoll, Vorsicht walten zu lassen, so Voigt.
Für den Städte- und Gemeindebund stellt sich die Frage nach einer Verkürzung der Quarantäne derzeit jedoch gar nicht. Die kommunalen Unternehmen seien sehr gut vorbereitet, heißt es, die Dienstpläne für die nächsten Wochen ausgearbeitet. Danach könnte selbst ein größerer Ausfall von Personal ausgeglichen werden.
Innenminister: „Wir sind vorbereitet“
Auch der Deutsche Feuerwehrverband sieht aktuell „keine Gefahr für die Einsatzfähigkeit“. Gleiches gilt für die Polizei: „Wir in Nordrhein-Westfalen sind vorbereitet für den Fall, dass viele Polizisten krank werden könnten“, erklärte Innenminister Herbert Reul (CDU) in der vergangenen Woche. Die Behörden im Land haben ebenfalls die Dienstpläne umgestellt, bis spätestens Jahresende soll, so ordnete es das Innenministerium an, jede Polizei feste Schicht-Teams bilden, um eine „Durchmischung“ des Personals zu vermeiden.
Selbst die Deutsche Bahn sieht keinen Anlass für eine Verkürzung der Quarantäne: „Der Schutz der Gesundheit unserer Mitarbeitenden hat für uns oberste Priorität“, heißt es auf WAZ-Anfrage. Man sei, so ein Sprecher, „vorbereitet, unseren Betrieb anzupassen und auf die jeweilige Situation (...) zu reagieren.“ Momentan laufe der „ruhig und weitgehend reibungslos“ – auch wenn man „etwas erhöhte Krankenstände“ beobachte. Die Personalsituation, ergänzt Holger Klein, Sprecher der ÖPNV-Kampagne „mobil.nrw“, sei im Winter „immer angespannt“. „Aber wir haben ein Auge drauf...“.