Bochum. Wer in Zeiten von Corona „auf Intensiv“ arbeitet, kämpft an der Front. Viele Pflegekräfte schaffen das nicht mehr, andere finden hier Erfüllung.

Rika Beckhöfers berufliches Traumziel ist der Ort, von dem viele ihrer Kollegen gerade fliehen. Die nicht enden wollende Belastung, die vielen Toten... Ungezählte Pflegekräfte auf Intensivstationen schmissen seit Beginn der Pandemie hin – die genaue Zahl wird statistisch nicht erfasst; elf Prozent von bundesweit 233 befragten Kliniken berichteten im Oktober über „deutlich mehr Abwanderungen, Kündigungen, interne Stellenwechsel“; die Hälfte musste infolge des „Pflexits“ , wegen Personalmangels, Intensivbetten abmelden. Doch genau dort, wo Corona sich von seiner furchtbarsten Seite zeigt, sieht Rika Beckhöfer ihre Zukunft. Im März wird die 25-Jährige ihr Examen als Gesundheits- und Krankenpflegerin machen. Und danach auf der Intensivstation des St. Elisabeth-Hospitals in Bochum anfangen. Es war ihr expliziter Wunsch.

Mit 16 machte die Noch-Pflegeschülerin Abitur. Sie galt als hochbegabt, wurde mit fünf eingeschult, übersprang eine Klasse. Nach der Schule entschied sich sich für eine Ausbildung zur Bankkauffrau. „Ich war ja noch so jung“, erklärt sie – und der schwer kranke Vater so glücklich mit ihrer Wahl. Beckhöfer selbst aber wurde es nicht, weder während ihrer Lehrzeit in Witten noch in den zweieinhalb Jahren danach bei der Sparkasse Bochum. „Mir fehlte das Menschliche“, erinnert sie sich.

Nach der ersten Schicht „auf Station“ wusste Rika Beckhöfer: Hier bin ich richtig

Im März macht Rika Beckhöfer Examen. Als Gesundheits- und Krankenpflegerin wird sie dann auf der Intensivstation des St. Elisabeth-Hospitals in Bochum anfangen. Es ist ihre Wunschstelle. Zur Zeit arbeitet sie auf einer der Privatstationen des St. Josef-Hospitals.
Im März macht Rika Beckhöfer Examen. Als Gesundheits- und Krankenpflegerin wird sie dann auf der Intensivstation des St. Elisabeth-Hospitals in Bochum anfangen. Es ist ihre Wunschstelle. Zur Zeit arbeitet sie auf einer der Privatstationen des St. Josef-Hospitals. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar

Pflegedienst und Hospiz, die kompetent und liebevoll ihren Vater betreuten, hatten ihr gezeigt, „welchen Unterschied das macht“. Sie kündigte bei der Bank, fing im April 2019 beim Katholischen Klinikum Bochum (KKB) die Pflege-Ausbildung an. „Schon in der Berufsschule habe ich gemerkt, wie mich die Thematik packt“. Und am Abend ihres ersten Tages „auf Station“ ging sie strahlend heim. Parkinson- und Korea-Huntington-Patienten galt es auf der dort zu betreuen, „man warf mich direkt ins kalte Wasser, gleich morgens hab ich die ersten gewaschen.“ Als ihre Schicht endete, wusste sie: „Hier bin ich richtig!“

Von Anfang an war ihr nie unangenehm, was andere peinlich nennen: dass eine Pflegekraft fremden Menschen beim Toilettengang behilflich ist, ihnen die Zähne putzt, das Essen reicht. „Die Patienten gerade dafür, dass man ihnen in solch intimen Situationen mit Respekt und Einfühlvermögen zu Seite steht, sehr, sehr dankbar“, erklärt die 25-Jährige. Sie durchlief verschiedene Stationen, mit jeder wuchs ihre Begeisterung. Auf der „Intermediate Care“ (IMC), der Intensivstation-ähnlichen Überwachungsstation des Hauses, „funkte“ es dann: „Es wimmelt da von Sonden und Ableitungen, es piept unentwegt, man muss auf so vieles achten – und man kann so viel falsch machen, total spannend.“ Nie zuvor etwa hatte sie einem Patienten „arteriell“ den Blutdruck messen müssen, „über einen Katheter in der Radialis“, erklärt sie heute ganz locker, einen Zugang im Unterarm. Die Schülerin erkannte schnell, wie groß im Intensivbereich die Verantwortung einer Pflegekraft ist: fürchtet sie aber nicht. „Ich bin stolz, dass man sie mir zutraut.

Das Sterben kann sie aushalten: „Der Tod gehört dazu“

Dass Menschen auf der Intensivstation sterben: kann sie aushalten. „Der Tod gehört dazu“, sagt die junge Frau. Auf der Kinderintensivstation arbeiten: könnte sie dennoch nicht. „Als ich dort sah, wie die ganz Kleinen um ihr Leben kämpften und manche doch von Woche zu Woche nur schlechter wurden…, da wusste ich, das schaffst du nicht., ich habe mit den Eltern zu sehr mitgelitten.“ Natürlich müsse man sich „abgrenzen“, von denen, die man betreue. „Aber jeder, der nicht emotional mit seinen Patienten verbunden ist, der ist falsch in diesem Job“, findet Beckhöfer.

Dass von der Intensivstation rasch verlegt wird, wem es halbwegs besser geht; sie also künftig Patienten nie lange begleiten kann: findet Beckhöfer „etwas schade“. Aber zu erleben, wie sich jener junge Mann erholte, der nach einer schweren Operation auf die IMC kam („der war wirklich fertig, musste gelagert werden, konnte weder essen, noch trinken“), dabei zu sein, wie er sich das erste Mal wieder allein im Bett bewegte – „das ist wirklich schön“!

„Man kann soviel falsch machen...“

Nach ihrem Zeit als Pflegeschülerin in der Notaufnahme des Elisabeth-Hospitals, einer Tochterklinik des KKB, stand endgültig fest: Auf der Intensivstation im „Elli“ wollte sie arbeiten nach dem Examen. „Es erfüllt mich, besonders vulnerablen Patienten zu helfen.“ Dass gerade sie es sei, die das könne… „Es kommt so viel zurück“, sagt sie. Und: „Ich habe so viel in den Gesprächen mit meinen Patienten gelernt, nicht nur für meinen Beruf, sondern fürs Leben“. Von jenem krebskranken Mann etwa, der ihr erzählte, wie er nach der Diagnose neuen Lebensmut fand, „dass es nur darauf ankäme was man selber möchte, nicht die anderen“.

Vor drei Tagen erst, sprudelt es aus Rika Beckhöfer heraus, habe sich eine Krebs-Patientin weinend, mit sehr lieben Worten von ihr verabschiedet. Drei Wochen lang hatte sie sie betreut. „Die Frau war so dankbar, dass es ihr wieder besser ging, dass wir uns Zeit für sie genommen hatten. Ich war so gerührt, hatte richtig Gänsehaut.“ Die 25-Jährige sagt, solche Erlebnisse „machen glücklich“.

Rika Beckhöfer weiß, dass sie in einem anderen Job ein leichteres Leben hätte – auch wenn sie in der Pflege sogar mehr verdiene als in der Sparkasse. Es gebe körperlich weniger anstrengende Berufe, welche ohne Schicht-, Nacht-, Wochenend- und Feiertagsdienste, Familien-freundlichere. Sie unterschätze die Belastung „auf Intensiv“ auch nicht, habe viel geredet mit Kollegen, die dort schon lange arbeiten – über ihren Stress, Frust und die schwierige Personalsituation, gerade jetzt, in der Pandemie. „Es wird eine Herausforderung, ja“, räumt Rika Beckhöfer ein.

Aber sie wird sie meistern. „Ich liebe Herausforderungen“, sagt sie.

Anna Muschalski will mehr wissen: Weiterbildung zur Intensivfachpflegekraft

Anna Muschalski am Bett eines Patienten auf der Intensivstation des Josef-Hospitals. Seit drei Jahren arbeitet sie hier, nun begann sie eine fachspezifische  Weiterbildung. „Ich will mehr wissen“, erklärt sie.
Anna Muschalski am Bett eines Patienten auf der Intensivstation des Josef-Hospitals. Seit drei Jahren arbeitet sie hier, nun begann sie eine fachspezifische Weiterbildung. „Ich will mehr wissen“, erklärt sie. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar

Auch für Anna Muschalski ist Intensivpflege ein „Traumberuf“. Seit drei Jahren ist die 33-Jährige bereits examinierte Pflegekraft, arbeitet auf der Intensivstation des Bochumer St. Josef-Hospital. Doch sie will mehr: Im November hat Muschalski mit der zweijährigen Weiterbildung zur Intensivfachpflegerin begonnen. Nicht, weil sie als solche um die 400 Euro (brutto) im Monat mehr verdienen wird – „Ich möchte einfach mehr wissen, mehr über die Hintergründe erfahren, über die verschiedenen Beatmungsformen und Krankheitsbilder etwa“, erklärt sie. Die Weiterbildung findet parallel zum Job statt; sie weiß, dass anstrengende Monate vor ihr liegen; und freut sich sehr darauf.

Auf einer „Normalstation“ zu arbeiten, wäre für die junge Frau „keine Option“. „Intensivpflege ist eine große Herausforderung, ja. Aber da ist jeder Tag anders und der Zusammenhalt auf der Station, im Team ein ganz besonderer“. Gerade während der Corona-Wellen sei ihr erneut bewusst geworden, wie sehr man sich in diesen schweren Zeiten auf die Kollegen verlassen könnte. Auch wenn es wirklich mehr Kollegen und Kolleginnen sein könnten... „Der Personalmangel“, berichtet Muschalski, „ist für uns alle das Schlimmste.“

Dass es eine weltweite Pandemie geben würde, dass sich auch in Bochum so viele Menschen infizieren würden (25.000 bisher) und so viele schwer Erkrankte in ihrer Klinik versorgt werden müssten, dass man dort sogar Corona-Patienten aus dem Ausland und anderen Bundesländern aufnehmen würde – all das, konnte Anna Muschalski nicht ahnen, als sie sich für die Intensivpflege entschied. „Hätte ich es gewusst“, sagt sie heute, „ich hätte es trotzdem getan.“

>>> INFO: Keine Einzelfälle

Tatsächlich sind Rika Beckhöfer und Anna Muschalski mit ihrer Begeisterung für die Intensivpflege keine Einzelfälle, jedenfalls nicht am Katholischen Klinikum Bochum.

Nach Angaben der Universitätsklinik haben sieben junge Pflegekräfte, die in diesem Oktober Examen machten, auf einer Intensivstation angefangen. In Rikas Kurs interessierten sich von den 13 Schülerinnen, die in die Krankenpflege wollten, fünf für die Intensivstation und drei weitere für intensivnahe Bereiche (Akutstation, Stroke Unit).

Sieben examinierte Pflegekräfte aus Erwachsenen-Intensivstationen befänden sich derzeit in der Weiterbildung zur Intensivfachpflege.