Ruhrgebiet. Die Weihnachtsmärkte in NRW bleiben vorerst geöffnet. Doch Schausteller haben Sorge: Eine Absage wäre nicht nur wirtschaftlich eine Katastrophe.

Es riecht nach gebrannten Mandeln und Reibekuchen. Lichterketten leuchten, Kinderaugen strahlen, der Glühwein wärmt die Hände. Nach dem Komplettausfall im vergangenen Jahr dürfen die Menschen in der Adventszeit wieder das besondere Flair auf dem Weihnachtsmarkt genießen. Für die Schaustellerinnen und Budenbetreiber dagegen ist es ein überlebenswichtiges Geschäft: „Wir sind auf die Tageskasse angewiesen, um unsere Familien zu ernähren“, sagt Albert Ritter, Gastronom und Präsident der Schausteller in Deutschland.

„Vollprofi-Schausteller“, wie er jene nennt, die hauptberuflich auf dem Platz stehen, stemmten sich daher mit aller Kraft gegen die Schließung der Weihnachtsmärkte. „Wir haben noch keinen Winterspeck anlegen können“, sagt der 68-Jährige und erinnert an die Winterpause von Januar bis März. „Wir brauchen die Einnahmen, damit wir über die Winterzeit kommen – egal, ob wir viel oder wenig verdienen.“

Weihnachtsmarkt: Händler haben sich mehr erhofft

Plexiglasscheiben, Einbahnstraßensysteme, Handdesinfektionsmittel – Die Schaustellerinnen und Schausteller hätten investiert, die Weihnachtsmärkte in NRW seien sicher, sagt Ritter, der eine Glühweinbude auf dem Kennedyplatz in Essen betreibt. Dennoch: Es ist nicht so richtig was los auf den Märkten im Ruhrgebiet. „Wir spüren, dass sich die Leute aufgrund der veröffentlichten Meinungen in Selbstquarantäne gesteckt haben“, bedauert Ritter. Insbesondere ältere Menschen kämen allenfalls am Vormittag. „Das kann man an den Reibekuchen-Ständen sehen. Die haben sehr wenig zu tun.“

Albert Ritter, Präsident des Deutschen Schaustellerbundes, vor einem seiner Glühweinstände auf dem Weihnachtsmarkt in Essen.
Albert Ritter, Präsident des Deutschen Schaustellerbundes, vor einem seiner Glühweinstände auf dem Weihnachtsmarkt in Essen. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar

Und auch in Witten hat sich der Betreiber eines Glühweinstandes mehr erhofft: Weil die örtliche Zwiebelkirmes im September „so gut lief“, habe er gedacht, „dass auch der Weihnachtsmarkt ein richtiger Erfolg wird“, sagt Thomas Grass, Vorsitzender der Wittener Schaustellervereinigung. Aber: „Wir merken schon, dass es ruhiger ist und die Leute vorsichtiger sind.“

Vor allem die Händler trifft die Zurückhaltung hart, sagt Patrick Arens, Vorsitzender des Dortmunder Schaustellervereins Rote Erde. „Was fehlt, ist das touristische Publikum.“ Kunsthandwerk, Weihnachtsdekoration, Spielzeug, handgemachte Kerzen und regionale Leckereien lockten für gewöhnlich zahlreiche Menschen aus den Nachbarländern. Die Händler hofften daher auf die Zeit vor dem Weihnachtsfest: „In den Tagen vor Heiligabend machen viele Menschen noch kurzfristige Käufe“, sagt Arens. Jede Ministerpräsidentenkonferenz werde daher „mit Bangen beobachtet“.

Vorzeitiger Abbruch: Nicht für alle Schausteller eine Katastrophe

Doch nicht alle Schausteller sind einer Meinung: Auf „80 Prozent, mindestens“ schätzt Günther Bonrath das Umsatzminus, das er mit seinem Süßwarenstand auf dem Bochumer Weihnachtsmarkt einfährt. Lockdown? Vorzeitiger Abbruch? „Für die meisten von uns wäre das inzwischen keine Katastrophe“, sagt der Schausteller. „Dann könnten wir wenigstens wieder die staatlichen Hilfen beantragen.“ So erhalten Schausteller, Marktleute und private Veranstalter, die von der Absage von Weihnachtsmärkten betroffen sind und in diesem Dezember mindestens die Hälfte ihres normalen Umsatzes verloren haben, im Rahmen der Überbrückungshilfe III Plus einen Eigenkapitalzuschuss in Höhe von 50 Prozent.

Die Überbrückungshilfe III Plus wird außerdem als Überbrückungshilfe IV bis Ende März 2022 fortgeführt. Aus Sicht des Präsidenten des Deutschen Schaustellerbundes „keine echte Hilfe“. So würden Unternehmern, Soloselbstständigen und Freiberuflern ausschließlich Fixkosten erstattet, „also tatsächlich entstandene Kosten“, erklärt Albert Ritter. Habe aber jemand eine Lagerhalle gekauft und dafür einen Kredit aufgenommen, „steht er nun mit kurzem Hemd da“. Ritter: „Aus unserer Sicht ist das eine Ungleichbehandlung.“

„Wir werden weitermachen, solange wir dürfen“

Auch in Dortmund ist man froh um das Geschäft auf dem Weihnachtsmarkt. Auf 30 bis 35 Prozent schätzt Veranstalter Patrick Arens die Einbußen. „Für die Zeit, die wir haben, sind die Umsätze in Ordnung“, sagt er. Eine Schließung hielte er für fatal: „Die Schausteller waren zwei Jahre zu Hause. Sie haben gerade wieder angefangen.“ Müssten sie jetzt wieder einpacken, wäre das nicht nur wirtschaftlich eine Katastrophe („Alle haben die Warenlager voll!“), sondern würde auch emotional einen erneuten Tiefpunkt bedeuten. Arens: „Wir werden weitermachen, solange wir dürfen.“

Der Weihnachtsbaum auf dem Hansaplatz in Dortmund besteht aus etwa 1000 Sauerländer Fichten.
Der Weihnachtsbaum auf dem Hansaplatz in Dortmund besteht aus etwa 1000 Sauerländer Fichten. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Besucherinnen und Besucher der Weihnachtsmärkte in NRW brauchen zwar einen Nachweis, dass sie geimpft oder genesen sind. Anders als in Niedersachsen etwa ist aber kein zusätzlicher Schnelltest erforderlich. „2G Plus wäre der endgültige Todesstoß für die Märkte“, ist Patrick Arens überzeugt. Und auch Albert Ritter ist froh, dass die zweifache Impfung ausreicht: „Die Menschen sind nicht bereit, für den spontanen Besuch auf dem Weihnachtsmarkt einen Test zu machen“, sagt er. „Ich halte das auch für das falsche Signal. Wir wollen ja, dass die Menschen sich impfen lassen“, so der 68-Jährige. „Wo bleibt da die Motivation?“

Die Nachricht, dass Karl Lauterbach (SPD) Gesundheitsminister wird, sei bei den Schaustellerinnen und Schaustellerin im Revier im Übrigen „ein Stimmungskiller“ gewesen, sagt Albert Ritter und erinnert an dessen Worte: „Jeder Weihnachtsmarkt, der nicht durchgeführt wird, ist ein guter Weihnachtsmarkt“. Ritter: „Wer weiß, ob es überhaupt noch Kirmes geben wird in unserem Land.“