Ruhrgebiet. Beim Online-Angebot der Stadtverwaltungen gibt es im Ruhrgebiet große Unterschiede. Was Bochum richtig macht und warum Mülheim hinterherhinkt.

Das Ruhrgebiet ist grün. Kein saftiges Grün, eher ein helles Mint. Nur Bochum ist eingefärbt in mattem Blau und auch Mülheim sticht durch seine blasse, gelbe Farbe hervor. Es sind die beiden Städte, die sich vom sonst einheitlichen Ruhrgebiet abheben. Die eine, weil sie Vorreiterin ist. Die andere, weil sie hinterherhinkt. Digitalisierung ist das Thema.

Wohnsitz ummelden, Elterngeld beantragen, Auto anmelden: Die Karte des NRW-Wirtschaftsministeriums zeigt, für wie viele und welche Dienstleistungen es in den Kommunen ein Online-Angebot gibt. So können sich Bürgerinnen und Bürger der Stadt Bochum in 159 Fällen den Gang zum Bürgeramt sparen und etwa den Bewohnerparkausweis online beantragen – Spitzenreiter im Revier. Das Schlusslicht bildet Mülheim mit 106 Online-Diensten.

Und auch im Smart-City-Ranking 2021 des Digital-Verbandes Bitkom kann Bochum glänzen: Unter allen 81 deutschen Großstädten belegt die Stadt Platz 7 und schafft es damit als einzige Stadt im Ruhrgebiet unter die Top Ten. Bewertet wurden unter anderem Online-Bürger-Services, Sharing-Angebote für Mobilität und intelligente Ampelanlagen sowie die Breitbandverfügbarkeit. Mülheim landet auf Rang 76 und klettert damit im Vergleich zum Vorjahr immerhin zwei Plätze nach oben. Was macht Bochum richtig? Und warum hängt Mülheim hinterher?

„Mülheim ist eine Stadt, die sehr verschuldet ist“

„Ich finde, wir sind digitaler als es die Tabelle darstellt“, sagt Matthias Lincke. Der Leiter des Amtes für Digitalisierung in Mülheim kritisiert die Kriterien, die bei dem Smart-City-Ranking berücksichtigt worden sind. So habe Mülheim als eine der ersten Revierstädte schon im Jahr 2015 360-Grad-Aufnahmen der Stadt aus Straßenperspektive erstellt, die unter anderem Vermessungszwecken dienen. „Das wurde nicht abgefragt.“ Die Stadt baue zudem in Kooperation mit dem Mülheimer Unternehmen Medl GmbH ein kommunales Glasfasernetz. „Ein Vorteil, der Mülheim in einigen Jahren ordentlich Punkte einbringen wird“, ist sich Lincke sicher.

Im Bereich Verwaltung schafft es Mülheim im Smart-City-Ranking sogar nur auf den viertletzten Platz. Interne Prozesse, Online-Dienstleistungen, die Internetseite und Social Media-Präsenz wurden laut Bitkom beurteilt. „Dass wir mit unserer Webseite keinen goldenen Bären gewinnen, ist klar“, gibt Matthias Lincke zu und begründet: „Mülheim ist eine Stadt, die sehr verschuldet ist.“ In den vergangenen Jahren habe das Budget, das man in die digitale Entwicklung hätte stecken müssen, schlichtweg nicht zur Verfügung gestanden. Das Ranking habe aber den Druck erhöht, den Fokus nunmehr auf die Digitalisierung zu legen. „Wir geben jetzt Vollgas!“

„Ich glaube, wir haben einen sehr guten, serviceorientierten Internet-Aufritt“

Die meisten Pluspunkte im Smart-City-Ranking sammelt die Stadt Bochum für ihr Bürgerserviceportal. „Ich glaube, wir haben einen sehr guten, serviceorientierten Internet-Aufritt“, sagt Denes Kücük, der als Chief Digital Officer die Digitalisierung der Stadtverwaltung voranbringen soll. Die Online-Terminvereinbarung erspare Bürgerinnen und Bürger stundenlanges Warten; so gut wie alle Formulare und Vordrucke könnten am Computer ausgefüllt, einige im Anschluss per E-Mail an die Stadtverwaltung geschickt werden. Mehr als 90 Prozent der Online-Zahlungen erfolgten über Paypal – einen Service, den die Stadt trotz Kritik anbiete, sagt Kücük. „Die Zahlen sprechen für sich.“

Seit Juni 2020 ist Denes Kücük (31) Digital Chief Officer in Bochum. Er bringt die Digitalisierung der Stadtverwaltung voran.
Seit Juni 2020 ist Denes Kücük (31) Digital Chief Officer in Bochum. Er bringt die Digitalisierung der Stadtverwaltung voran. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Aber auch in Bochum sei noch Luft nach oben: „Wir müssen mehr Dienstleistungen online anbieten“, sagt Denes Kücük. Im August 2017 ist das Onlinezugangsgesetz (OZG) in Kraft getreten. Es verpflichtet Bund, Länder und Kommunen bis Ende nächsten Jahres 575 Verwaltungsleistungen auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten, etwa Anträge auf BAföG, Wohn- oder Elterngeld. „Wir sind stark dabei, den Bereich Meldewesen zu digitalisieren“, sagt Denes Kücük. Es sei aber ein „offenes Geheimnis“, dass die Umsetzung bis Ende 2022 „schwierig“ werde. „Sanktionen“, so Niels Gründel vom Mülheimer Amt für Digitalisierung, „gibt es jedoch nicht.“

„Abgucken ist nur in der Schule verboten“

Aber werden die Online-Dienste überhaupt genutzt? „Nicht mehrheitlich“, sagt Denes Kücük. „Aber wir haben stark steigende Zahlen.“ In einigen Fällen sei es aber auch gut, der Person gegenüber zu sitzen, bei der Beantragung eines Personalausweises zum Beispiel. Und die Gewerbeanmeldung sei zwar online möglich. „Wir empfehlen aber dennoch, mal einen Termin zu machen und sich beraten zu lassen.“

Wlan in Bussen, Parken, ohne Münzgeld für den Automaten zusammenkratzen zu müssen: „Wir denken Digitalisierung ganzheitlich“, begründet Denes Kücük Bochums Vorreiterrolle. Für Mülheims Amtsleiter Matthias Lincke hat es auch Vorteile, dass andere Städte „ein bisschen weiter“ sind. „Abgucken ist nur in der Schule verboten“, sagt er. Im Ruhrgebiet könnten die Bürgerinnen und Bürger von einem einheitlichen System sogar profitieren. Und Mülheim sei doch „eine sehr schöne Stadt“, sagt Lincke. „Das muss uns erstmal jemand nachmachen.“

Weitere Informationen:

■ Bis Ende 2022 sollen laut dem Onlinezugangsgesetz 575 Verwaltungsleistungen online erledigt werden können. Bochum und Mülheim sind als kreisfreie Städte für die Umsetzung von 168 kommunalen Leistungsbündeln zuständig. Davon sind in Bochum bislang 81, in Mülheim 72 umgesetzt worden.

■ Ein Leistungsbündel besteht aus mehreren Einzelleistungen. So gibt es in Bochum für insgesamt 159 Einzelleistungen einen Online-Dienst, in Mülheim für 106. Darüber hinaus stehen den Bürgerinnen und Bürgern überregional verfügbare Dienste der Kreise, Regierungsbezirke, des Landes und des Bundes zur Verfügung.