Essen. Wenn junge Menschen in Geldnot geraten, ist meist ihr teurer Lebensstil der Grund. „Buy now, pay later“-Angebot locken sie in die Schuldenfalle.
Shopping-Touren mit der besten Freundin, teure Handyverträge oder die neue Spielekonsole: Wenn junge Erwachsene in Zahlungsschwierigkeiten geraten, ist meist ihr ausschweifender Lebensstil der Grund. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ist eine „unwirtschaftliche Haushaltsführung“ der Hauptgrund, warum Menschen unter 25 Jahren Hilfe bei einer Schuldnerberatungsstelle suchen. Mehr als jeder Vierte gab an, dass dies der Hauptauslöser für die Überschuldung sei. Wo lauern Gefahren? Und wie kommt man aus der Schuldenfalle wieder raus?
„Zunächst einmal muss man sagen, dass nicht das Gros der Jugendlichen das Geld zum Fenster hinauswirft“, sagt Christoph Zerhusen von der Verbraucherzentrale NRW. In Deutschland wurden laut Schuldneratlas 2020 1,11 Millionen junge Menschen als überschuldet eingestuft. Das sind knapp zehn Prozent der unter 30-Jährigen. 25- bis 44-Jährige sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes besonders häufig von Überschuldung betroffen. Ihr Schuldenberg umfasst im Schnitt rund 22.230 Euro.
Lediglich 5,9 Prozent der Menschen in Deutschland, die im Jahr 2020 eine Schuldnerberatungsstelle aufgesucht haben, sind zwischen 20 und 25 Jahre alt. Ihre Schulden sind mit durchschnittlich 8395 Euro vergleichsweise gering. Nur 0,5 Prozent sind jünger als 20 Jahre.
„Buy now, pay later“: Schulden durch Onlineshopping
Hauptauslöser einer Überschuldung, also einer Zahlungsunfähigkeit über einen längeren Zeitraum, sind laut der Verbraucherzentrale NRW der Verlust des Arbeitsplatzes, längerfristiges Niedrigeinkommen sowie Krankheit oder Tod des Partners. In Ballungszentren wie dem Ruhrgebiet stiegen die Wohn- und Energiekosten zudem unverhältnismäßig stark im Vergleich zum Lohn. Zerhusen: „Wenn man einen Großteil des Einkommens für die Wohnung ausgibt, dann bleibt nicht mehr viel übrig vom Lohn.“
Ein „unwirtschaftliches Konsumverhalten“ könne jedoch auch Jugendliche zumindest in „finanzielle Belastungssituationen“ bringen, sagt Christoph Zerhusen und nennt mit „Powershoppern“ ein Beispiel. So lassen Nissin (20) und ihre 22-jährige Freundin beim Onlineshopping hin und wieder außer Acht, dass sie über ihre derzeitigen finanziellen Verhältnisse leben: „Ich leihe mir dann etwas von meiner Schwester“, sagt Nissin, die das meiste Geld für „Klamotten und Schmuck“ ausgebe. „Ich habe schon einmal das Konto überzogen“, gesteht ihre Freundin. Auch die Option, die Rechnung erst später zu bezahlen, habe die Essenerin schon genutzt. „Die Quittung kriegt man dann im nächsten Monat.“
Möglich macht das die Methode „Buy now, pay later“ („Jetzt kaufen, später zahlen“). Das Prinzip ist denkbar einfach: Ab in den Warenkorb, ums Bezahlen macht man sich später Gedanken. Viele Onlinehändler bieten diese Option gemeinsam mit Bezahldienstleistern wie Paypal oder Klarna an. Hintergrund: Die Zahlung so einfach wie möglich halten, damit Kundinnen und Kunden gar nicht lange überlegen müssen: Habe ich noch genug Geld auf meinem Konto?
Werbeindustrie setzt auf Influencer als Werbebotschafter
„Derartige Angebote machen es den Menschen schwierig, den Überblick über ihre finanziellen Ausgaben zu behalten“, sagt Christoph Zerhusen. Wie viel habe ich im Monat noch an Spielraum? „Je abstrakter Geld ist und je einfacher ich es ausgeben kann“, so der Experte, desto desto höher sei die Überschuldungsgefahr. Zerhusen sieht vor allem Ratenkredite unter 200 Euro ohne Bonitätsprüfung kritisch: „Es besteht die Gefahr, dass man sich übernimmt.“ Die Kredite könnten – je nach Zinskonditionen – auch sehr teuer sein.
Die Rechnung in ein paar Monaten zahlen? „Davon halte ich nichts“ sagt Nick Mahnke, der in Essen Volkswirtschaftslehre studiert. „Ich bin auch kein Freund von Abonnements“, so der 20-Jährige. „Ich möchte nicht in Abhängigkeit geraten.“ Kommilitone Leon Düngen stimmt zu: „Ich habe zwar einen Nebenjob“, sagt der angehende Wirtschaftsinformatiker. „Aber man weiß ja nie, was in ein paar Monaten ist.“ Stehe eine größere Anschaffung an, spare er das Geld. „Dann ist es auch direkt meins.“
Doch die Werbeindustrie macht es Jugendlichen nicht leicht: Insbesondere weibliche Teenager lassen sich beim Kauf im Netz von Youtubern und Influencerinnen beeinflussen. Laut der Postbank Jugend-Digitalstudie aus dem Jahr 2020 hat fast die Hälfte von ihnen schon einmal ein Produkt nach Empfehlung eines Social-Media-Stars bestellt. „Ich sehe das im Freundeskreis“, bestätigt Essenerin Sara Schröer. Sie selbst kaufe eher selten ein, sei nicht empfänglich für die Werbung in den sozialen Netzwerken, die viele Jugendliche als „Tipp einer guten Freundin“ empfinden. „Ich gehe meist nur in die Stadt, wenn ich etwas brauche“, so die 20-Jährige.
Offene Rechnung: Jugendliche werden im Familienkreis aufgefangen
Dass ausgiebiges Onlineshopping bei Jugendlichen zu einer Überschuldung führt, ist laut Christoph Zerhusen jedoch selten. „Diese Fälle gibt es“, stellt der Experte für Verbraucherinsolvenz klar. Jugendliche würden aber meist im Familien- und Bekanntenkreis aufgefangen. „Wenn eine 17-Jährige eine 400-Euro-Rechnung nicht bezahlen kann, führt das selten zur Überschuldung.“
Wer jeden Monat mit seinen finanziellen Verpflichtungen jongliert, dem rät Schuldnerberater Christoph Zerhusen, Hilfe in Anspruch zu nehmen. „Erfahrungsgemäß gehen viele Menschen zu spät zu einer Beratungsstelle.“ Die Führung eines Haushaltsbuches könne helfen, den Überblick über die Finanzen zu behalten. Die Vermittlung von Finanzwissen sollte aber auch Aufgabe der Bildungseinrichtungen sein. Zerhusen: „Wir fordern seit langem, dass Finanzkompetenz stärker in Schule und Ausbildung berücksichtigt wird.“