Wuppertal. Im Prozess gegen die 28-jährige Mutter, die fünf ihrer Kinder getötet haben soll, präsentierte die Verteidigung am Dienstag eine neue Theorie.

Sie kommt, setzt sich hin und schweigt. Wie an den 15 Verhandlungstagen zuvor, sagt die 28-jährige Angeklagte auch am Montag kein Wort zu den Vorwürfen, sie habe am 3. September 2020 fünf ihrer sechs Kinder getötet – mit Schmerzmitteln schläfrig gemacht und dann in der Badewanne erstickt. Anschließend sprang sie in Düsseldorf vor einen Zug, um sich das Leben zu nehmen, wurde aber nur leicht verletzt.

Seit Mitte Juni steht die Angeklagte in Wuppertal vor Gericht.
Seit Mitte Juni steht die Angeklagte in Wuppertal vor Gericht. © dpa | Oliver Berg

Mehrfach ist sie begutachtet worden, untersucht und befragt worden. Zunächst im Auftrag der Staatsanwaltschaft vom Psychiater Prof. Dr. Pedro Faustmann. Aber mit dessen Gutachten war die Verteidigung nicht zufrieden. „Erhebliche handwerkliche Mängel“, moniert etwa Verteidiger Thomas Seifert und hält den Experten für „befangen“. Deshalb hat er ein eigenes Gutachten erstellen lassen – durch den forensischen Psychiater Dr. Thomas Schwarz aus München.

Racheakt am getrennt lebenden Ehemann?

Seit fast 40 Jahren erstellt der 66-jährige Mediziner Gutachten für die Justiz. Aber so etwas habe er in all dieser Zeit noch nicht erlebt, sagt er am Montag vor Gericht. „Wenn das mein erster Fall gewesen wäre, wäre es gleichzeitig mein letzter gewesen.“ Einen Racheakt am getrennt lebenden Ehemann – das „Medea-Syndrom“, bei dem Eltern ihre Kinder töten, um damit den Partner zu treffen, will Schwarz nicht ausschließen. „Aber der Suizidversuch passt da nicht zu.“ Sie sei aber auch - ein Jahr nach der Tat – bisher nicht in Depressionen verfallen – wie es bei einer Kindesmörderin zu erwarten gewesen wäre.

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Offenbar, so sie Einschätzung des Experten, sei am Tattag viel zusammengekommen. Ihr Mann habe ihr ein Foto seiner neuen Freundin aufs Handy geschickt. Das habe die heile Welt, die sie sich seit Jahren einredete und in der sich alles um die Familie drehte, zusammenstürzen lassen. Die Tat habe sie dann in einer Art „verlängertem Affekt“ begangen. Und ja, sie leide auch an einer krankhaften seelischen Störung, zeigt sich Schwarz am Dienstag überzeugt, ohne dass er genau sagen kann, um welche. Und anders als die Gutachter der Staatsanwaltschaft, hält er sie für vermindert schuldfähig.

„Ich werde dein Leben zerstören“

Hinter dieser Tür in einem Solinger Mietshaus ereigneten sich die Taten
Hinter dieser Tür in einem Solinger Mietshaus ereigneten sich die Taten © dpa | Marcel Kusch

Die Verteidigung hält es sogar für möglich, dass sie gar nicht die Täterin ist. Denn in dem mehrstündigen Gespräch mit Schwarz hat die Frau noch einmal präzisiert, was sie vor gut zwölf Monaten auch bei der Polizei ausgesagt hat und was in der Kurzfassung so geht: Ein unbekannter Mann sei in die Wohnung eingedrungen, habe angekündigt, er werde jetzt „ihr Leben zerstören“, sie erst in längere Gespräche verwickelt und ihr verschiedene Whats App-Nachrichten diktiert.

Dann habe er sie niedergeschlagen und die Kinder ermordet. „Sehr authentisch“, mit „detailreicher Aussagekonstanz“ und den „Emotionen am rechten Fleck“, habe sie ihm den Tatmorgen geschildert, so Schwarz. „Nach drei Stunden Begutachtung war ich von ihrer Unschuld überzeugt.“

Verteidigung will Konto des Vaters auf „größere Abhebungen“ überprüfen

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Deshalb hat Seifert nun gleich mehrere Anträge gestellt. Die Polizei müsse in alle Richtungen ermitteln, vor allem möglichen DNA-Spuren nachgehen, um einem bisher unbekannten Täter auf die Spur zu kommen. Das müsse ja nicht der Kindsvater sein. Obwohl der laut Seifert ja ein Motiv gehabt hätte. Bei dem Unterhalt für vier Kinder gehe es immerhin um rund 1400 Euro monatlich.

So eine Summe habe die gerade eingegangene neue Beziehung mit einer jungen Frau durchaus belasten können. „Das könnte ein Motiv für eine Anstiftung sein. Ich habe in meiner langen beruflichen Laufbahn schon Menschen für weniger Geld sterben sehen müssen sehen.“ In einem weiteren Antrag fordert der Anwalt deshalb, das Konto des Kindsvaters auf „größere Abhebungen“ zu überprüfen – Lohn für einen Auftragskiller.

Keine Fremd-DNA am Tatort gefunden

Während das Gericht über die Anträge entscheidet, ermittelt die Staatsanwaltschaft nun erst einmal wegen des Verdachts der Verleumdung und der falschen Verdächtigung gegen Thomas Seifert. Er hat sich selbst angezeigt. Er wolle klarstellen, sagt Seifert, dass man keine „Denkverbote in die Strafprozessordnung“ einführen dürfe.

Ansonsten hält der Anklagevertreter – vorsichtig ausdrückt – nur wenig von der Theorie. „Es ist keine Fremd-DNA gefunden worden“, sagt Staatsanwalt Heribert Kaune-Gebhardt. Und überhaupt handele ein gedungener Mörder, der sich so lange am Tatort aufhalte und dann auch noch ein Kind mehr töte, als vom vermeintlichen Auftraggeber gewünscht „völlig unprofessionell“. Außerdem koste so ein Killer mehr, als der Kindsvater in den nächsten Jahren an Unterhalt hätte zahlen müssen. „So etwas bekommen sie ja nicht für einen Appel und ein Ei."

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