Solingen. Fünf Kinder sind tot. Hinter der Tat steckt wohl ihre eigene Mutter. Die Polizei hat Hinweise, wie es zu dem Verbrechen kommen konnte.
„Fünf Kinder sind tot.“ So eröffnet Polizeisprecher Alexander Kresta die Pressekonferenz am Tag danach. Und das schrieb auch die 27-Jährige aus Solingen ihrer Mutter, in einer Nachricht via WhatsApp: „Die Kinder sind tot.“ Die Obduktion lässt darauf schließen: Sie wurden sediert und sind erstickt. Tatverdächtig ist ihre eigene Mutter, sie soll nach der Trennung von ihrem Mann laut Staatsanwalt „in einem Zustand emotionaler Überforderung gewesen“ sein.
„Ich kann nicht mehr“, schrieb die Frau in mehreren Nachrichten am Donnerstagmittag, es gehe ihr sehr schlecht. „Schick die Polizei in die Wohnung!“ Zuhause in der Hasselstraße lagen da die Kinder längst tot in ihren Betten. Wann sie starben, kann die Polizei nur vermuten: Irgendwann zwischen dem Abend des 2. und dem Morgen des 3. September. Ihren Ältesten holte die Frau mit einer Begründung aus der Schule, die Marcel Maierhofer als Leiter der Mordkommission einen „Vorwand“ nennt: Es gebe einen Todesfall in der Familie. Mit dem Elfjährigen, der morgens noch den gedeckten Frühstückstisch gesehen hatte, fuhr sie im Zug Richtung Düsseldorf, schickte den Jungen von dort allein weiter zur Oma nach Mönchengladbach. Sie selbst stieg aus und warf sich vor einen Zug.
Haftbefehl gegen die Mutter wegen fünffachen Mordes
Sie liegt nun schwer, aber nicht lebensgefährlich verletzt im Krankenhaus, ist noch nicht vernehmungsfähig. Am Freitagnachmittag erging Haftbefehl wegen des Verdachts des fünffachen Mordes. Was die Frau ihrem Sohn gesagt hat, ist laut Polizei noch offen. Aber auch das Kind schrieb in einen Gruppenchat der Schule: Seine Geschwister seien tot.
Drei Mädchen, eineinhalb, zwei, drei Jahre alt und zwei Jungen, sechs und acht. Die jüngsten vier stammen von dem vor einem Jahr ausgezogenen Ehemann, die älteren aus früheren Beziehungen. Auf „tragisch schreckliche Weise“ seien sie umgekommen, sagt Einsatzleiter Robert Gereci, Anzeichen für „scharfe oder stumpfe Gewalt“ gebe es aber nicht. Er liest die Namen der Opfer vor, allesamt solche, wie sie derzeit in Mode sind.
Menschen legen Blumen nieder und bringen Kerzen mit
Noch in der Nacht haben Bestatter die Kinder abgeholt. Am Tag danach kommen immer wieder Menschen, die meisten kannten die Familie gar nicht, sie legen Blumen nieder, setzen den blauen Briefkästen Kerzen und Teddybären zu Füßen. Eine Plüschgiraffe sitzt schon seit dem Vortag da. Alles ist nass vom Regen. Oben auf dem Balkon sind die Blumen in den neongelben Kästen vertrocknet.
Aus den Fenstern der Familie im zweiten Stock sind die Polizeibänder verschwunden, aber an der blau versiegelten Wohnungstür hängt ein Schild: „Tatort beschlagnahmt“. Davor ist ein Doppelkinderwagen abgestellt, auf dem Sitz noch Krümel von Salzstangen. Ein buntes Kinderfahrrad steht da und ein Schuhständer voller Kinderschuhe, darunter rosa Sandalen.
„Ich bin traurich“ - Kinder schreiben Briefe
An die Haustür hat die Quartiersmanagerin des Stadtteils, „den wir als lebendig kennen“, einen Brief gehängt: „Wir trauern mit unseren Nachbarn. Wir stehen unter Schock.“ Und man möge doch die jüngsten Nachbarn schonen, bitte „dringlichst darum, sensibel mit den Betroffenen umzugehen“. Direkt davor richten sich schon wieder Kameras auf ein kleines Mädchen. Vor der Tür liegt ein Stapel gemalter Kinderbilder. „Ich bin traurich“, steht auf einem. Am Samstag um 19 Uhr will sich die Hasselstraße draußen treffen, zu einer Schweigeminute mit Kerzen.
Die Menschen nebenan können nicht verstehen, warum die 27-Jährige ihre Familie mitnehmen wollte in den Tod, „warum die Kinder?“, fragt eine Frau. Und warum durfte der Elfjährige leben? Die Polizei sagt, sie sei schon zweimal gerufen worden in diesem Jahr: Nach einer Diebstahlsanzeige gegen den Ehemann und zu einem „Familienstreit“. Auch zwei Rettungseinsätze im Juni und im August habe es gegeben. Dem Jugendamt, teilt die Stadt Solingen mit, sei die Familie bekannt gewesen, sie habe „erforderliche Unterstützung“ erhalten. „Erkenntnisse zu einer potenziellen Gefährdung der Kinder gab es aber zu keinem Zeitpunkt.“
Am Freitag werden die Nachbarn befragt, die meisten haben tags zuvor von einer „ruhigen Familie“ gesprochen. Einsatzleiter Gereci dankt den Ermittlern, viele, sagt er, hätten „Betreuungsbedarf“, schon wegen der „besonderen Auffinde-Situation“. Das ist Polizeisprache, wie ein Satz zuvor, es habe sich „ein Tötungsdelikt ereignet“. Was Gereci meint ist: Seine Kollegen haben fünf tote Kinder gefunden.