Ruhrgebiet. Der Dortmunder Hauptbahnhof ist im Umbau, der Duisburger soll von 2022 an folgen. Zwei Großereignisse machen zusätzlich Zeitdruck.
Ob nun wirklich ein Zugbegleiter bei der Einfahrt in Duisburg den Hauptbahnhof als "Lost Place" angesagt hat - man weiß es nicht, es stand ja nur auf Twitter. Die kaputten Fenster, das undichte Dach und das gruselige Gefühl manch nächtlicher Besucher sprechen schon für ein solches Spukhaus, aber 120.000 Fahrgäste täglich beweisen vielleicht auch das Gegenteil. Doch ein riesiges, vernachlässigtes, fast 90-jähriges Gebäude vor allem mit Panzerklebeband stabil zusammenzuhalten, wie Spötter behaupten, ist tatsächlich nicht von dieser Welt.
Nun nimmt die Bahn den dritten Anlauf, das Gebäude zu erneuern, und erleichtert das Ausschreibungsverfahren. An dem ehrgeizigen Ziel hält sie fest, am langjähriger Arbeitstitel: die "Welle", wegen der (eventuellen) spektakulären Dachform. Doch auch nur von einem allergeringsten Aufschaukeln ist bisher nichts zu sehen. Falls aber die Arbeiten, wie erhofft, Ende 2022 beginnen, könnten sie im Sommer 2027 enden, vielleicht knapp noch rechtzeitig zur "Internationalen Gartenausstellung IGA".
"Zur Gartenausstellung 2027 wäre der Großteil der Bahnsteige und des Daches fertig"
Die soll etliche Besucher nach Duisburg ziehen, überhaupt ins Ruhrgebiet, und die möchten wahrscheinlich weniger gern in einem Gebäude aussteigen, in dem noch Geister umgehen. "Zur IGA 2027 wäre der Großteil der Bahnsteige und des Daches fertig", sagt ein Sprecher der Bahn. Die Voraussetzung für den fünfjährigen Kraftakt ist klar: Umbau im laufenden Betrieb, Zugausfälle, Umleitungen, weniger Verkehr, Baustellenatmosphäre. Zustände wie in Dortmund, möchte man schreiben.
Wie das genau aussieht, kann man nämlich derzeit dort besichtigen, 60 Kilometer östlich von Duisburg: Sie bauen einen großen Hauptbahnhof unter Verkehr um. Schon seit 2018, noch bis 2024. Die Bahnsteige werden neu gebaut, der Fußgängertunnel wird verbreitert, und barrierefrei soll der Bahnhof dann auch sein. Auch hier macht ein Großereignis Druck: die Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland, die auch in Dortmund ausgetragen wird. Das ist ein Mechanismus, der auch in der Vergangenheit schon öfter funktioniert hat: Essen verdankt die heutige Gestalt seines Hauptbahnhofes dem Kulturhauptstadt-Jahr 2010, und der Gelsenkirchener wurde (knapp) fertig vor der Fußball-WM 2006.
Rechts steigen die Fahrgäste ein und aus, links gähnt die Mondlandschaft der Baustelle
Und so kommt es, dass am bereits erneuerten Gleis 31 in Dortmund die RB51 gerade darauf wartet, dass es endlich 9.52 Uhr wird und sie abfahren kann über Lünen nach Enschede. Doch während rechts die Fahrgäste arglos ein- oder aussteigen, gähnt links vom Zug die Mondlandschaft: Bau, Steine, Erden, Bagger, Gruben, Zäune, Sichtblenden, Verbotsschilder - das volle Programm.
Die ausgelutschte Floskel "Zügig voran gehen die Bauarbeiten" kann man ja nicht mehr schreiben, lassen wir also Projektleiterin Nicole Becker das Wort führen: "Wir liegen voll im Plan", sagt sie. 2024 werde man "einen der meistbesuchten Hauptbahnhöfe Deutschlands bei laufendem Betrieb vollständig modernisiert haben". Das verführt natürlich schnell zu einem ganz grauenhaften Wortspiel: "Zugig voran gehen die Bauarbeiten."
Zunächst bekommt der Duisburger Hauptbahnhof einen zweiten Haupteingang
Wie das endet? Da hilft ein Blick auf Witten Hauptbahnhof. Kleine Stadt, kleiner Bahnhof, kein Vergleich, geschenkt! Und doch: Private Investoren haben das Empfangsgebäude erneuert, es sieht jetzt gut aus. Doch im Gleisbereich dahinter zeigt sich die dumpfe Wahrheit eines Satzes, der für alle großen Gebäude gilt: Nach dem Umbau ist vor dem Umbau. Die Bahn ist nämlich jetzt wieder dabei, das Dach zu erneuern.
An dieser Stelle nehmen wir all unseren Mut zusammen und kehren nochmals nach Duisburg zurück. In einem Randbereich des Hauptbahnhofes gibt es ja durchaus Bauarbeiten. Der bisherige Ostausgang soll den gedämpften Charme eines Hinterausgangs verlieren und aufgewertet werden zu einem zweiten Haupteingang. Zwei Haupteingänge würden dann in ein Gebäude führen, das die Bahn lange vernachlässigt hat. Manche nennen es ja ein, eben, Spukhaus. Da kann man nur sagen: die Geister, die sie rief.