Recklinghausen. Im neuen Schuljahr erwartet Schülerinnen und Schüler im Ruhrgebiet wieder etwas mehr Normalität. Doch das C-Wort steht ständig im Raum.

Später wird Schulleiter Michael Rembiak noch erklären, warum es kein besseres Jahr gibt für die Einschulung hier; aber im Moment zeigt sich das noch von seiner schlechtesten Seite. Ein Vater hat ihn vor ein paar Minuten angesprochen, wie er denn stehe zur Impfung von Kindern; und jetzt kommt Rembiaks Stellvertreter herein mit einer ähnlichen Problemlage: "Da ist ein Vater, der hat keinen Test dabei." "So kann er nicht teilnehmen", sagt Rembiak: "Wir können ihm einen Schnelltest anbieten."

Corona ohne Ende. Aber Pragmatismus hilft. Und so kann die freundliche Begrüßung einer neuen 5. Klasse später vollzählig über die Bühne gehen. Früher ein Trubel mit 100 Kindern und einem gemeinsamen Gottesdienst des ganzen Jahrgangs - heute gibt es vier Begrüßungen der einzelnen Klassen. 8 bis 8.45 Uhr, dann Aula lüften, Aula putzen, 9.30 bis 10.15 Uhr, dann Aula lüften, Aula putzen, und so weiter, und so fort.

"Wir haben ja auch die Masken auf, obwohl wir es nicht mehr müssten"

Wie hier, am "Gymnasium Petrinum" in Recklinghausen, beginnt am Mittwoch das neue Schuljahr für rund 2,4 Millionen Kinder und Jugendliche in NRW; 166.000 I-Dötzchen haben noch einen Tag Schonfrist. Freilich kommen alle übrigen aus keinem Lockdown, sondern aus den Sommerferien; und die Regeln, die gelten, die waren schon seit Mai nahezu dieselben. Masken, Tests und Abstand; die offenen Fenster der Klassenräume, aus denen ein einziges Stimmengewirr auf die Straße plätschert: All das ist längst die alte Normalität.

Das sehen in der ersten großen Pause auch die größeren Jungs so, die in Grüppchen zusammenstehen. "Man hat sich jetzt daran gewöhnt", sagt einer aus der 9b, und die anderen nicken vom einen Ende ihres Halbkreises zum anderen. "Wir haben ja auch die Masken auf, obwohl wir es nicht mehr müssten."

Über 90 Prozent der Lehrer und 50 Prozent der älteren Schüler sind geimpft

Zwei junge Männer freilich sehen das anders, sie steuern schon in Richtung Abitur. "Die Fahrt des Leistungskurses fällt aus, und was mit dem Abiball ist, weiß man auch noch nicht", sagt der eine. Und der andere: "Schon komisch, jetzt so viele Leute wiederzusehen nach Corona."

Nun, ganz soweit ist es noch nicht. Es habe eine gewisse "Entspannung eingesetzt qua Routine", sagt Rembiak, der Schulleiter. Auch seien über 90 Prozent der Lehrer und mehr als die Hälfte der älteren Schüler geimpft. "Wir versuchen so viel Normalität wie möglich, das ist wichtig für die Kinder." Und so plant er bereits für Anfang September eine Klassenfahrt in eine Jugendherberge an der Nordsee für die 6. Klassen. "Die Kinder haben sich noch nie ins Gesichter gesehen."

In diesem Jahr begeht das Gymnasium sein 600-jähiges Bestehen

Vielleicht kann man auch gerade in dieser Schule ein solches Selbstbewusstsein zeigen. Das Petrinum an einer Straße namens Herzogswall inmitten von Recklinghausen: Das ist ein Bau von 1911, der auch in einer größeren Stadt ein imposantes altes Rathaus darstellen könnte. Davor weht eine Fahne: "Abitur seit 1829".

Was sich daraus ergibt? Diese Schule hat weit Schlimmeres schon durchstanden als Corona. Und 1829 ist nicht einmal die halbe Wahrheit: Das Gymnasium beruft sich auf die Abkunft von einer Lateinschule von 1421. 600 Jahre her, ein Jubiläum (was im übrigen jetzt endlich erklärt, warum es kein besseres Jahr für die Einschulung gibt).

"Ab morgen machen wir die Tests für euch"

Womit wir wieder in der Aula wären, bei einer der neuen fünften Klassen. In Dreiergruppen und auf Abstand voneinander sitzen die Menschen, Vater, Mutter, Kind, Vater, Mutter, Kind, manche sind nur Zweiergruppen, da sitzt der Ernst des Lebens mit am Tisch. "Guten Tag zusammen, wer ist aufgeregter, Eltern oder Kinder?", so eröffnet Rembiak. Der 40-Jährige informiert über Klassen-T-Shirts, Schließfächer, Schülerausweise - und dann steht wieder das C-Wort im Raum: "Ihr habt alle Tests eingesandt, ab morgen machen wir die für euch, dann müsst ihr nirgendwo anders mehr hin."

Von unten hört man jetzt die Lebenslust, die eine große Pause ausstrahlt. Und obwohl sie es im Freien nicht mehr müssten, tragen gefühlt 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler eine Maske. "Dass die Kinder das machen", sagt Rembiak, "das zeigt, dass sie die Schule offen halten wollen." Sich wiederzusehen, war am Mittwoch. Sich wieder zu sehen, dauert noch ein bisschen. Aber nichts vor dem Hintergrund von: 600 Jahren.