Bochum. Nach langer Pause geht am Landgericht Bochum der Missbrauchs-Prozess um Marvin aus Duisburg weiter. Am Montag will der Angeklagte aussagen.

Zehn Verhandlungstage, das war der Plan. Nun aber sind es schon über 40. Mehr als ein Jahr liegt der Tag zurück, da in Bochum erstmals der Mann vor dem Landgericht stand, der den Duisburger Jungen Marvin zweieinhalb Jahre in seiner Wohnung in Recklinghausen versteckt und an die 500-mal missbraucht haben soll. Nach zwei Unterbrechungen und bald vier Monaten Pause ging der Prozess am Donnerstag endlich weiter. Doch nach einer guten halben Stunde war schon wieder Schluss.

Vier weitere Anträge der Verteidigung, von denen es schon so viele gab im vergangenen Jahr, wies die 8. Strafkammer zurück. Vorrangig ging es darin um den Alkoholkonsum des Angeklagten. Gegenüber einer Gutachterin hatte der Mann erklärt, vor allem nachts regelmäßig getrunken zu haben.

Der Prozess dauert schon mehr als ein Jahr

Dann war Zeit für die mit Spannung erwartete Einlassung des 46-jährigen Angeklagten. Die hatten seine Anwälte schon vor Monaten angekündigt, lange bevor der Prozess in seine Pause ging: Eine Richterin verabschiedete sich in den Mutterschutz, danach meldete sich ein Schöffe krank. Doch auch diesmal wurde die Aussage des Angeklagten wieder verschoben. Es habe nicht genug Zeit für ein Gespräch gegeben, einer der Verteidiger begründete das mit seiner Corona-Impfung.

In diesem Haus an der Hochstraße in Recklinghausen wurde Marvin im Dezember 2019 eher zufällig gefunden.
In diesem Haus an der Hochstraße in Recklinghausen wurde Marvin im Dezember 2019 eher zufällig gefunden. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Seine eigene Aussage hat Marvin längst gemacht. Vier Termine im Herbst 2020 hat es dafür gebraucht und eine nicht-öffentliche Video-Vernehmung aus einem benachbarten Raum: Der Jugendliche hatte „Angst“ vor einer Begegnung mit dem Mann, der ihn laut Anklage fast 1000 Tage bei sich versteckt hielt, so seine Rechtsanwältin Marie Lingnau. Eine Gutachterin hatte eine Konfrontation im Gerichtssaal zudem als „wissentliche Gefährdung des Kindeswohls“ bezeichnet.

Marvin habe die Vorwürfe schließlich „im Wesentlichen bestätigt“, wie eine Gerichtssprecherin sagt: Der wegen Kinderporno-Besitzes vorbestrafte Lars H. (45) soll den anfangs 13-jährigen Marvin in seiner Wohnung im Süden von Recklinghausen jahrelang festgehalten, mit Geld und Zigaretten belohnt und regelmäßig sexuell missbraucht haben.

Einlassung ist nun für nächste Woche angekündigt

Nach der Einlassung des Hauptbelastungszeugen aber hatte die Verteidigung vom mutmaßlichen Missbrauchs-Opfer unter anderem noch ein „Schnarch-Gutachten“ verlangt: In einem Schlaflabor sollte geklärt werden, ob es Marvin ist, der auf einem beim Angeklagten gefundenen Video im Hintergrund schnarcht – was eine Expertise eigentlich bereits bestätigt hatte. Die Richter wiesen den Antrag zurück, aber die nächsten Beweisanträge lagen schon bereit. Erst kurz vor der Prozesspause hatten die Verteidiger des 46-Jährigen überraschend angekündigt, dass ihr Mandant, der zunächst geschwiegen hat, nun doch aussagen wolle. In einer ersten, vom Rechtsanwalt verlesenen Erklärung zum Lebenslauf war Mitte März von Schlägen der Mutter die Rede gewesen, von Problemen in der Schule und einer Psychotherapie.

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Wegen des Mutterschutzes der Richterin war der Prozess zunächst bis Ende Mai vorläufig unterbrochen worden, nachdem er schon zuvor auch durch die Corona-Pandemie immer wieder verzögert worden war. Nach der Erkrankung eines Schöffen geht es jetzt weiter, möglicherweise bis in den Juli. Weitere neun Termine sind noch anberaumt. Für den kommenden Montag, 28. Juni, ist nun die Einlassung des Angeklagten vorgesehen. Rückfragen der Kammer, das ließ der Mann im grünen T-Shirt, der im Saal ununterbrochen seine OP-Maske knetete, vorsorglich mitteilen, würden aber nicht zugelassen.

Zeugen berichten: Der Junge sei verwahrlost gewesen

Marvin selbst ist Nebenkläger im Prozess, wird dort durch seine Mutter vertreten. Die Duisburgerin hatte im Zeugenstand erklärt, dass ihr Sohn, der nach einem Aufenthalt in einer Jugendhilfeeinrichtung nun wieder bei der Familie lebt, sich kaum auf die Straße traue. Die Polizei hatte im Dezember 2019 in der Mietwohnung in Recklinghausen kinderpornografisches Material gesucht und den seit langem in Duisburg und im Vest vermissten Jungen zufällig gefunden.

Eine Beamtin entdeckte Marvin im Schrank , wo er sich versteckt hatte. Als Zeugin sagte die Polizistin aus, dass der Junge körperlich und emotional verwahrlost gewirkt habe. Er habe gesagt, dass er in den zweieinhalb Jahren in der Wohnung des Mannes nur dreimal kurz an der frischen Luft gewesen sei. Der Halbwaise war im Alter von 13 Jahren aus einer Jugendeinrichtung verschwunden.