Bochum. Marvin aus Duisburg soll in Recklinghausen versteckt und missbraucht worden sein. Ein halbes Jahr nach Prozessbeginn sagt er als Zeuge aus.
Seit Juni steht in Bochum der Mann vor Gericht, der den Duisburger Jungen Marvin zweieinhalb Jahre in seiner Wohnung in Recklinghausen versteckt und an die 500-mal missbraucht haben soll. Mehrere Termine für die Aussage des Hauptbelastungszeugen sind bereits geplatzt. Jetzt aber hat der 16-Jährige endlich damit begonnen, seine Geschichte zu erzählen.
Direkt gegenübertreten muss Marvin seinem mutmaßlichen Peiniger dabei nicht. Seine Rechtsanwältin Marie Lingnau hatte versucht, das zu verhindern: Der Jugendliche habe „Angst“ vor einer Begegnung mit dem Mann, der ihn laut Anklage fast 1000 Tage bei sich versteckt hielt. Das Oberlandesgericht entschied zwar, der Angeklagte brauche den Raum nicht zu verlassen. Die Gerichts-Gutachterin aber bezeichnete eine Konfrontation im Gerichtssaal als „wissentliche Gefährdung des Kindeswohls“ – nun wird Marvin aus einem Nebenraum des Bochumer Landgerichts per Video zugeschaltet.
Eine Psychologin stand dem Jugendlichen zur Seite, als er am Montag erstmals befragt wurde. Der Vorsitzende Richter Stefan Culemann war der Einzige, den Marvin auf dem Bildschirm sehen konnte. Knapp zwei Stunden dauerte die Zeugenvernehmung, ein weiterer Termin ist für den kommenden Montag angesetzt. Die Öffentlichkeit ist für die Dauer der Aussage ausgeschlossen. Bisher, bestätigt eine Gerichtssprecherin, habe Marvin „die Vorwürfe der Anklage im Wesentlichen bestätigt“.
Gericht plante die Vernehmung eigentlich an einem Samstag
Eigentlich wollte die 8. Strafkammer aus Termingründen an zwei Samstagen im November tagen – was in der jüngeren Geschichte des Bochumer Landgerichts ein Novum gewesen wäre. Allerdings stand die Aussage des Jugendlichen terminlich lange unter einem schlechten Stern: Ursprünglich war sie für den 7. November geplant, der Termin musste verschoben werden. Die gesamte Kammer musste nach der Covid-19-Erkrankung eines Schöffen in Quarantäne.
Einen weiteren Termin am 21. November ließ der Zeuge selbst platzen: Nachdem er mit einem später positiv getesteten Betreuer im Auto gesessen hatte, begab sich Marvin in freiwillige Quarantäne. Zwar hatte das den Richtern zunächst nicht als Grund für seine Absage gereicht, allerdings weigerte sich Anwältin Lingnau aus Vorsichtsgründen, mit ihrem Mandanten gemeinsam im Raum zu sitzen. Kurzfristig fanden sich nun zwei freie Termine, auch im Kalender der viel beschäftigten Gutachterin.
Marvin begab sich selbst in Quarantäne
Ursprünglich hatte die Kammer lediglich zehn Verhandlungstage bis zum 25. Juni angesetzt. Aber schon im Sommer hatte sich der Prozess immer wieder durch weitere Anträge verzögert. Zuletzt hatte die Verteidigung beantragt, wegen der Corona-Gefahr die tägliche Verhandlungsdauer auf eine Stunde zu begrenzen. Im neuen Gerichtsgebäude kann man die Fenster nicht öffnen, dafür gibt es aber eine Lüftungsanlage, die die Luft abführt, statt sie umzuwälzen. Der Antrag wurde abgelehnt, es folgte ein Befangenheitsantrag gegen die Richter.
Marvins Mutter sitzt im Gerichtssaal
Marvin tritt im Prozess als Nebenkläger auf , wird dort durch seine Mutter vertreten . Die Duisburgerin hatte im Zeugenstand erklärt, dass ihr Sohn, der nach einem Aufenthalt in einer Jugendhilfeeinrichtung nun wieder bei der Familie lebt, sich kaum auf die Straße traue. Ob er auch nach dem 7. Dezember noch einmal vor Gericht aussagen muss, ist noch offen. Theoretisch hat nach den übrigen Prozessbeteiligten auch der Angeklagte selbst das Recht, den Zeugen zu befragen. Das könnte der Vorsitzende ihm aber auch ersparen. Bis zu einem möglichen Urteil am 18. Dezember sind bislang noch fünf weitere Prozesstage vorgesehen.
Die Polizei hatte im Dezember 2019 in der Mietwohnung in Recklinghausen kinderpornografisches Material gesucht; der Mieter war einschlägig vorbestraft. Eine Beamtin fand Marvin im Schrank , wo er sich versteckt hatte. Als Zeugin sagte die Polizistin aus, dass der Junge körperlich und emotional verwahrlost gewirkt habe. Er habe gesagt, dass er in den zweieinhalb Jahren in der Wohnung des Mannes nur dreimal kurz an der frischen Luft gewesen sei. Der Halbwaise war im Alter von 13 Jahren aus einer Jugendeinrichtung verschwunden.