Kamen. Frühlingszeit – Allergiezeit: So helfen hunderte Beobachter des Deutschen Wetterdienstes im Kampf gegen tränende Augen und laufende Nasen.

Morgen“, sagt Hans-Joachim Haupt und will wissen: „Wollen Sie hereinkommen oder sollen wir gleich los?“ Gleich los. „Gerne“, sagt Haupt und keine Minute später ist er in die Schuhe geschlüpft, hat die Jacke übergezogen, das Fernglas geschultert und ein kleines Notizbuch in die Tasche gesteckt. Der phänologische Beobachter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) für den Bereich Kamen-Zentrum ist startklar. „Wir können.“

Bevor der 70-Jährige körperlich und sprachlich Fahrt aufnimmt, muss nur noch der Begriff „Phänologischer Beobachter“ geklärt werden. Vereinfacht und sehr verkürzt gesagt befasst sich die Phänologie mit regelmäßig wiederkehrenden Wachstums- und Entwicklungsphasen der Pflanzen. Wann blüht wo was wie lange?

Moderne Technik kann Beobachtungen nicht ersetzen

Da der Verlauf der Pollensaison eng mit diesem Blühverhalten der Pflanzen verbunden ist, werden Phänologen gern auch Pollenbeobachter genannt. Das ist nicht falsch, greift nach Haupts Ansicht allerdings zu kurz. „Wir machen viel mehr.“ Aber, sagt er auch, „natürlich sind die Daten, die ich sammle, wichtig für Einschätzungen des DWD.“

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Nicht tagesaktuell. Das macht längst moderne Technik. Aber um die langfristigen Entwicklungen vor Ort zu erkennen, heißt es auch beim DWD, seien die menschlichen Beobachter auch heute noch unverzichtbar. Was sie täglich oder in bestimmten Abständen melden, fließt in den „Pollenflug-Gefahrenindex“ (www.dwd. de) ein und ist eine wichtige Hilfe für Allergiker.

„Ich liebe es, in der Natur zu sein“

Birkenpollen machen vielen Menschen derzeit wieder stark zu schaffen
Birkenpollen machen vielen Menschen derzeit wieder stark zu schaffen © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Für Familie und Freunde ist der Kamener ohnehin Informationsquelle Nummer eins. „Hans-Joachim“, fragen sie, „was blüht uns denn so?“ Weizen, Kiefer, Gräser, Hafer, Spitzwegerich kommen in den nächsten Wochen. Und die Birke ist schon da, weiß Haupt, der seine Frau seit Wochen niesen und schniefen hört. „Ein Luder“, sagt Haupt. Die Birke natürlich. Überall vertreten, robust, nicht hässlich, aber mit Pollen, die immer mehr Menschen quälen.

Rund 1500 Beobachter gibt es in Deutschland, 240 davon schauen auf die Flora in Nordrhein-Westfalen. Haupt ist einer der Dienstältesten. Seit 30 Jahren ist er für die Wetterfrösche auf Tour – in einem Fünf-Kilometer-Radius um sein Haus. Früher neben der Arbeit als Lehrer am benachbarten Gymnasium, heute als Rentner. Eine „kleine Aufwandsentschädigung“ gibt es, aber ums Geld geht es Haupt ohnehin nicht. „Ich liebe es einfach, in der Natur zu sein.“

Er kennt jeden Grashalm

Jeden Tag ist er unterwegs, egal wie das Wetter ist. „Nur nicht wenn hoch Schnee liegt.“ Fast jeder, der ihm entgegenkommt, grüßt: „Tag, Herr Haupt“ oder „Hallo, Hans-Joachim.“ Man kennt ihn hier in Kamen, und wahrscheinlich ist es kaum übertrieben, wenn man im Gegenzug sagt, er kennt auch fast jeden Grashalm in der Umgebung.

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Flott ist der Schritt des drahtigen 70-Jährigen, doch seinem aufmerksamen Blick entgeht nichts. Wie geht es der Kastanie? Was macht die Sommerlinde und gibt es schon Narzissen? Was er sieht, schreibt er in das kleine Tagebuch, das der DWD ihm geschickt hat. Quasi als Zugabe notiert er auch Ereignisse aus der Fauna. Den ersten Kranichzug, der erste Froschkonzert, der erste Zitronenfalter – „es passiert immer etwas anderes“.

Regeneration an der frischen Luft

„Sehen Sie mal, riechen Sie mal ...“, fordert er seine Begleiter auf. „Und hier ist auch noch etwas sehr Interessantes.“ Für jede Pflanze, die da am Wegesrand steht, hat er den richtigen Namen parat, und Vögel erkennt er schon am Gesang. Ein Lexikon auf zwei Beinen, das nicht mit seinem Wissen prahlt, sondern es gerne weitergeben möchte.

In ein spezielles Tagebuch des DWD trägt Haupt seine Beobachtungen ein.
In ein spezielles Tagebuch des DWD trägt Haupt seine Beobachtungen ein. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Den Schulgarten seines alten Gymnasiums betreut er weiterhin und auch rund um sein Haus gibt es ein großes Stück Natur, das Haupt in Schuss hält. „Es wird nie langweilig“, sagt er. Und ist auch gesund. „Gartenarbeit hält fit“, ist Haupt überzeugt und spricht von „Regeneration an der frischen Luft“.

Man spürt den Klimawandel

„Natürlich ist nicht alles eitel Sonnenschein im Wald und auf der Wiese. Ein Pilz hier, ein schädlicher Käfer dort. „Der Natur geht es nicht gut“, stellt der Phänologe immer wieder fest. Und auch den mehr als 15 Prozent der Bevölkerung in Deutschland, die Pollenallergiker sind, kann er die Sorge nicht nehmen. „Fast alles blüht immer früher, manches auch länger.“ Und anderes war früher gar nicht da, weil es zu kalt war im Revier. „Man spürt den Klimawandel.“

Ans Aufhören denkt der Vater von vier Jungen nicht. Macht ja immer noch Spaß. „Außerdem ist kein Nachfolger in Sicht.“ Und irgendjemand muss ja schließlich aufpassen auf die Birke, das alte Luder.