Wuppertal. Noch sind Menschen auf Abstand bedacht. Das ändert sich nach Corona, sagt Stauforscher Professor Armin Seyfried: Das Gedränge kehrt zurück.
Test-Drängler haben sie damals gesucht und Menschen, denen es nichts ausmacht, wenn sie anderen auf den Füßen stehen - oder war es umgekehrt? Im März 2020 sollte in den Düsseldorfer Messehallen ein mehrtägiges Experiment mit tausenden Teilnehmern stattfinden zu der Frage, wie sich Menschenmassen in zu engen Bahnhöfen bewegen. Dann kam Corona. Gedränge aller Art sind seitdem abgesagt.
Doch sie kehren wieder - danach. Das glaubt Professor Armin Seyfried, Gedränge- und Stauforscher an der Universität Wuppertal und dem Forschungszentrum Jülich. Unabhängig von menschlichem Verhalten, sprechen schon die äußeren Umstände dafür: „Städte verdichten sich mehr und mehr, zu viele Menschen auf engem Raum, Bahnhöfe sind völlig überlastet - das wird alles zurückkehren.“
Charakter, Alter, Geschlecht, Größe, Wetter spielen eine Rolle bei Gedränge
Die wissenschaftliche Beobachtung eines Bahnhofs in der Schweiz unter wechselnden Corona-Regeln habe zwar gezeigt, dass die Menschen während der Pandemie beim Ein- und Aussteigen größere Abstände einhielten. „Aber diese Tendenz ist nicht stabil und wird wieder von anderen Faktoren überlagert. Ferienbeginn . . .“
Seyfried kommt aus der Physik und stellt eher die Fragen, wie viel Platz ein Fußgänger braucht oder welches Tempo er geht. Aber aus der Zusammenarbeit mit Sozialpsychologen der Ruhr-Universität Bochum weiß er, dass auch viele andere Punkte im Gedränge eine Rolle spielen: Charakter, Alter, Geschlecht, Größe. Regen oder Sonnenschein? Oder vor Veranstaltungshallen: Fan oder nicht Fan?
„Großes Bedürfnis vieler Menschen, wieder an Veranstaltungen teilzunehmen“
Seyfried erwartet für die Zeit nach der Pandemie „ein großes Bedürfnis vieler Menschen, wieder an Veranstaltungen teilzunehmen“. Wo die Zahl der Teilnehmer nicht festgelegt ist, würden wahrscheinlich „mehr kommen als erwartet“. So sei es ja auch Ende April bei dem Pilgerfest in Israel gewesen, dass mit einer Massenpanik und vielen Toten endete.
„Ich bin mir sicher, dass das ein Gedanke ist, der unter Veranstaltern sehr präsent ist.“ Eine andere Frage sei, ob Menschen besonders aufgeregt seien, wenn sie wieder zu Großveranstaltungen gehen dürfen.
Risiken etwa an Bahnhöfen sind nicht kleiner geworden
Wissenschaftlich sei das Feld noch immer kaum bearbeitet. „Es gibt tolle Crowd-Manager, die viel praktisches Wissen haben. Aber einen wissenschaftlichen Hintergrund gibt es nicht.“ So kämen Studien zu dem Schluss, Stillstand trete ein bei 4,8 Menschen auf einem Quadratmeter. Andere Studien sagen: zehn auf einem Quadratmeter. Solch große Widersprüche machen die Aussagen vollkommen nutzlos.
Doch kehren wir zurück zu den überfüllten Bahnhöfen in nicht-pandemischen Zeiten. Wer sich etwa den engen Dortmunder Hauptbahnhof vorstellt, wo Fußwege tausender Reisender sich kreuzen, dem könnte bange werden. Dortmund Hauptbahnhof wird gerade umgebaut, doch einige Jahre dauert das noch.
Für normale Zeiten also malen Forscher an überfüllten Bahnhöfen wieder die alten Risiken aus: dass sie dem Andrang nicht gewachsen seien, „gefährliche Gedränge auf den Bahnsteigen“ entstehen können oder „Stürze ins Gleisbett“ geschehen. Klingt utopisch? War die Pandemie vor 15 Monaten auch noch. Dann kam sie doch.
Geplatztes Experiment ist jetzt für Oktober vorgesehen
Ganz losgelöst vom freien Willen, kann man auch auf Bahnsteigen Menschen lenken, damit sie sich entzerren, nicht alle an den Aufgängen stehen und nicht alle in der Mitte des Zuges einsteigen. „Attraktive Warteflächen weg von Ballungspunkten“ fallen dem Wuppertaler Seyfried dazu ein. Fahrpläne und andere Informationen abseits von Wartezonen aufzuhängen. Oder dort, wo viele stehen, keine Mülleimer aufzustellen.
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Nicht völlig überraschend, ist Gedrängeforschung schwer, wenn Abstandsregeln gelten. Sie findet dennoch statt, „unter Schutzmaßnahmen und mit Schnelltests. Doktoranden wollen auch mal fertig werden.“ Und das große Experiment von Düsseldorf? Ist neu angesetzt. Für Oktober 2021. Professor Seyfried, da sind Sie auf der sicheren Seite der Pandemie, oder? „Das hoffen wir. Das hofft die ganze Welt.“