Essen. Sie helfen Senioren durch die Zettelflut oder spenden Mut vor dem Piks: 150 Helfer sorgen für einen reibungslosen Ablauf im Essener Impfzentrum.
Lange Schlangen bilden sich am Vormittag vor der Messehalle 4 am Grugapark in Essen. „Das gefällt mir überhaupt nicht“, sagt Jörg Spors, Leiter des örtlichen Impfzentrums. Das Stehen falle den 80-Jährigen nicht leicht, maximal ein paar Minuten könnten sie sich auf einem der Stühle ausruhen, bis es wieder vorwärts geht. Immerhin die 400-Meter-Strecke vom Parkplatz bis zum Impfzentrum müssen sie nicht gehen. Die Rikscha-Fahrer, die bei Wind und Wetter in die Pedale treten, gehören zu den rund 150 Helfern, die sich täglich um einen reibungslosen Ablauf bemühen.
Sicherheitsmitarbeiter sorgen dafür, dass es am Eingang nicht zu wuselig wird – und halten jedem die Tür auf. Drinnen heißt es erst einmal Hände desinfizieren und Fieber messen. Einmal in der Woche, immer donnerstags, begrüßt Marian Sojka, einer der vielen Ehrenamtlichen, die Impflinge mit dem Fieberthermometer in der Hand. „Ich finde es einfach toll, dass ich etwas beitragen kann“, sagt der Elektrotechnikingenieur im Ruhestand.
„Wir sind die ersten, bei denen sie ihren Ärger ablassen können“
Habe ich alle Zettel dabei? Wo ist mein Impfausweis? Und was ist mit meinem Buchungscode? – ein paar Meter weiter sitzt Sophie Peters an der Anmeldung und bekommt all die Aufregung, all den Unmut, der sich in den vergangenen Warteminuten angestaut hat, zu spüren. „Schlecht organisiert“ oder „Warum dauert das so lange?“, heißt es dann manchmal statt einem freundlichen „Guten Tag“. „Wir sind die ersten, bei denen sie ihren Ärger ablassen können.“
Senioren, die aus den verschiedensten Gründen doch nicht geimpft werden können, sind sauer, „sehr sauer“, wie die 19-Jährige sagt. „Vorhin war ein Ehepaar da, das behauptet hat, für heute einen Impftermin vereinbart zu haben“, so die Essenerin. „In unserem Buchungssystem stand der Termin aber erst für morgen drin. Was soll ich da machen?“ Bei allem Verständnis für den Ärger und den Aufwand, den das ältere Paar betrieben habe, habe Sophie Peters sie wieder nach Hause schicken müssen. „Der Impfstoff ist eben begrenzt.“
Helfer wünschen sich ein schnelles Ende der Pandemie
Anschließend heißt es Zettel ausfüllen, insgesamt 16 Seiten. Vorerkrankungen, Medikamente und Allergien können ein Ausschlusskriterium für die Impfung sein. Auch Personen, die im vergangenen halben Jahr mit Corona infiziert waren, würden wieder weggeschickt, sagt Impfzentrumsleiter Jörg Spors. Nicht weil es gefährlich sei, sondern weil sie „wahrscheinlich noch Antikörper haben und der Impfstoff daher zunächst für andere Personen eingesetzt wird“. Zwölf Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche ist der 52-jährige Feuerwehrmann vor Ort. Pausen kennt er nicht. „Es ist sehr anstrengend, aber es lohnt sich“, sagt Spors und denkt an die etwa 92.000 Menschen, die schon mindestens einmal da waren.
Sind alle Blätter ausgefüllt, heißt es Nummerziehen und Warten. Wer an der Reihe ist, wird von zwei ehrenamtlichen Helferinnen zur Impfkabine gebracht. Impfarzt Dr. Hager Nakli hat jahrelang im Krupp-Krankenhaus gearbeitet, seit einigen Monaten ist er (eigentlich) Rentner. Er möchte „mitwirken“ und wie sein Kollege Cedric Lessing dabei helfen, „dass der Lockdown so schnell wie möglich ein Ende nimmt“. Der 22-Jährige arbeitet normalerweise als Rettungssanitäter, heute aber ist er „der Mann mit der Spritze“. Sobald Nakli die Formulare durchgesehen, Stempel und Unterschrift gesetzt und damit sein „Go“ gegeben hat, injiziert Lessing den Impfstoff.
„Viele sagen, sie haben Angst und hätten lieber Biontech“
Doch es gibt auch Patienten, die noch im Impfzentrum an ihrer Entscheidung zweifeln, weiß einer der vier ärztlichen Leiter, Dr. Ludwig Schlömann. Seine Hauptaufgabe: Sorgen und Ängste abfangen. Vor allem der Impfstoff von Astrazeneca werfe immer wieder Fragen auf. „Viele sagen, sie haben Angst und hätten lieber Biontech“, so Schlömann. Doch gegen die Angst gebe es keine Argumente. Er könne nur an die Vernunft der Leute appellieren: „Das Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf ist viel höher als für schwerwiegende Nebenwirkungen.“
Und so gehen die „Spritzenläuferinnen“ Theresa Nagenborg und Skrollan Heuser bis zu 20 Kilometer am Tag. Sobald die Ampel an einer der Impfkabinen von Grün auf Rot springt, wissen sie: Die Ärzte haben weniger als fünf Spritzen und benötigen Nachschub. Im hinteren Teil der Halle sitzen Pharmazeutisch-technische Assistenten mit Kittel, Haube und Maske und mischen den Impfstoff von Biontech mit Kochsalzlösung, drehen das kleine Fläschen immer wieder auf den Kopf und zurück. „Jeden Morgen um sechs Uhr kommt frischer Impfstoff“, erklärt Dr. Nicole Horst, pharmazeutische Leiterin im Impfzentrum. Etwa 2500 Spitzen würden an „einem guten Tag“ benötigt.
DRK-Mitarbeiter haben ein Auge auf die Impflinge
Am Ende der Reise haben Manfred Brodersen und Sonja Kochem, zwei Mitarbeiter des DRK, ein Auge auf die frisch Geimpften. 30 Minuten können und sollen sich die Patienten hier ausruhen. „Wir halten Blickkontakt, schauen, ob jemand im Stuhl zusammensackt“, erzählt Brodersen. Er weiß aber auch: Oft ist die Anspannung, die nun abfällt, der Grund dafür, dass jemand für ein paar Sekunden die Augen zumacht.
Wie viele der Helfer möchte auch Kollegin Sonja Kochem „etwas bewegen“. Die 36-jährige Marketing Managerin hat in der Corona-Krise ihren Job verloren. Nun zaubern ihr die Impflinge ein Lächeln ins Gesicht, wenn sie sich mit einem herzlichen „Dankeschön“ verabschieden. „Die allermeisten sind richtig dankbar, dass sie nun endlich geimpft sind.“
Auch Mechthild Nowak macht sich auf den Weg nach Hause. „Ich weiß, dass es mir nach einer Impfung immer ein, zwei Tage etwas schlecht geht“, so die 61-Jährige. Doch das gemütliche Sofa und die vorgekochte Hühnersuppe warteten bereits. Und: „Alles ist besser als eine Corona-Infektion.“