Essen. Supramolekulare Chemie: Wissenschaftlern der UDE gelang es jetzt erstmals, das sogenannte Überlebensprotein von Krebszellen auszuschalten.
Sie nennen es das Überlebensprotein, doch es tötet: Denn Survivin hilft vor allem Krebszellen zu überleben, zu wachsen, sich schnell und oft zu teilen. „Ein hoher Survivin-Spiegel bei einem Tumor-Patienten bedeutet, die Prognose ist schlecht“, erklärt die Molekularbiologin Dr. Lydia Didt, wissenschaftliche Koordinatorin des Sonderforschungsbereich (SFB) 1093 der Uni Duisburg-Essen. Dessen interdisziplinärem Spezialisten-Team ist es nun erstmals gelungen, einen Weg zu finden, Survivin auszuschalten. Im Kampf gegen den Krebs könnte das ein bahnbrechender Durchbruch sein, glauben die Forscher.
Proteine (Eiweiße) steuern alle wichtigen Prozesse im Körper, bilden dafür komplexe Netzwerke. Sind zu wenige oder zu viele vorhanden oder funktionieren sie nicht richtig, kann das krank machen. Survivin ist im gesunden, erwachsenen Organismus kaum aktiv, hauptsächlich in sich teilenden Zellen wie auch in der Embryonalentwicklung spielt es eine Rolle. Krebszellen aber aktivieren das Eiweiß (unter anderem über ein anderes Eiweiß namens CRM1). „Deshalb ist Survivin so interessant für die Biomedizin“, sagt Didt. Und deshalb versuchen Forscher seit Jahren, die krankmachende Hochregulierung des Survivins zu verhindern, oder eine Methode zu finden, das Andocken des CRM1 zu blockieren. Bislang ohne Erfolg.
Die herkömmliche Wirkstoffsuche stößt da an ihre Grenzen
Denn Proteine sind winzig, aber jedes hat eine einzigartige, bewegliche und dreidimensionale Struktur mit zerklüfteten Oberflächen, Schleifen und Nischen. Welches Molekül zu welchem Ziel-Protein „passt“ und wo es genau bindet, ist schwer herauszufinden Die Suche nach dem „richtigen“ ist sehr aufwendig. „Eine in der pharmazeutischen Industrie hierbei oft verwendete Methode ist das Durchsuchen und Ausprobieren riesiger Substanzbibliotheken, die Hunderttausende von verschiedenen Molekülen enthalten können“, erklärt Didt. Und manchmal gebe es gar keine Treffer.“ „Die herkömmliche Wirkstoffsuche“, sagt die Expertin, „stößt da an ihre Grenzen.“ Für eine Vielzahl an Proteinen konnten daher noch keine Wirkstoffe gefunden werden.
Der Sonderforschungsbereich 1093 der UDE widmet sich dem Problem, der Supramolekularen Chemie an Proteinen, einem noch jungen Kapitel dieser Naturwissenschaft. Seit 2014 arbeiten dort an die 90 Spitzen-Wissenschaftler in 18 verschiedenen Arbeitsgruppen an der Aufgabe, kleine, außergewöhnliche Moleküle zu bauen, die die Interaktion der Proteine beeinflussen, indem sie passgenau an deren Oberfläche binden können: sogenannte supramolekulare Liganden. Maßarbeit aus dem Labor. Sitzt ein solcher Ligand erst einmal da, wo etwa CRM1 gern andocken würde, um Survivin zu aktivieren, ist der Platz besetzt -- das Survivin bleibt untätig.
Die entscheidende Schnittstelle liegt „auf geordneten, etwas dynamischen Schleife“
Diesen Ansatz nennt Didt selbstbewusst: „genial“; dass er für das Protein Survivin funktioniert, sei ein weiterer „Proof of Concept“: „Wir können künstliche Liganden bauen und dort binden lassen, wo wir sie haben wollen.“
Die Forschergruppe um Prof. Thomas Schrader (Inhaber des Lehrstuhls für Organische Chemie und Sprecher des SFB 1093) sowie die beiden jungen Professorinnen Shirley Knauer (Molekularbiologin) und Elsa Sanchez-Garcia (Bioinformatikerin) „berechnete“ zunächst am Computer, wie und wo mögliche Liganden an die Oberfläche von Survivin binden könnten. Hierbei wurden auch vorhandene Strukturdaten aus der Röntgenstrukturanalyse und der Kernspinresonanz-Spektroskopie ausgewertet. Die entscheidende Schnittstelle für die Interaktion mit CRM1 befindet sich beim Survivin „auf einer geordneten, aber etwas dynamischen Schleife“, erzählt Didt.
1000-mal dünner als ein menschliches Haar
Im nächsten Schritt bauten die Chemiker anhand der gewonnenen Daten im Labor ein maßgeschneidertes, künstliches Molekül, den supramolekularen Liganden. Etwa 1000-mal dünner als ein menschliches Haar ist er, seine „Pinzette“ misst keinen Nanometer: nicht einmal einen Millionstel Millimeter.
Bis Krebspatienten von solcher Grundlagenforschung profitieren, werden Jahre vergehen. Zehn bis 20 mindestens, sagt Didt. Es gäbe so viele Unwägbarkeiten noch, etwa: „Wie bekommt man den Liganden in ausreichender Menge in die Krebszelle?“ Wenn es irgendwann aber tatsächlich gelänge, die Funktion von Survivin nicht nur im Labor, sondern bei tatsächlich erkrankten Patienten auszuschalten, würde so viele Tumorarten bekämpft werden können. Der Mechanismus wirkt nicht bei nur bei bestimmten Karzinomen.
Grundlagenforschung sei ein langer Prozess, oft frustrierend, begleitet von vielen Fehlschlägen, erklärt die Molekularbiologin. Aber wenn man dann an den Punkt komme, wo feststehe, die Hypothese war richtig, dann sei „alles gut“. „Ohne Grundlagenforschung, wie wir sie machen“, ergänzt Didt, „gäbe es heute beispielsweise auch keinen Corona-Impfstoff.“
>>> INFO: Supramolekulare Chemie
Das renommierte Fachmagazin „Nature Communications“ veröffentlichte die Forschungsergebnisse jüngst.
Der SFB 1093 bereitet gerade den Antrag für eine Verlängerung der Förderung durch die Deutsche Forschungsgesellschaft um weitere vier Jahre vor. Bislang flossen 18 Millionen Euro.
Die maßgeschneiderten, supramolekularen Liganden können im Übrigen nicht nur Prozesse stoppen, sondern sie auch verstärken. Denn sie können auch so konzipiert werden, dass sie wie ein „Klebstoff“ für schwache Verbindungen zwischen Biomolekülen wirken können. Ein solches an der UDE in Zusammenarbeit mit der Uni Eindhoven entworfenes, stabilisierendes Klebemolekül für das Protein 14-3-3 könnte etwa bei der Behandlung von neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson helfen. US-Investoren stecken gerade Millionensummen in die Weiterentwicklung.