Essen. Sie sind von ihren Partnern schwer verletzt worden - und leiden, weil diese bestraft werden sollen. Zwei aktuelle Fälle vor Gericht.

Opfer sind sie, zweifelsfrei. Dem 30-jährigen Essener hat die Lebensgefährtin mehrfach ein Messer in den Leib gerammt. Und der 29-Jährigen aus Castrop-Rauxel hat der Essener Geliebte übel mitgespielt, hat ihren Kopf vor die Wand geschlagen und mehrfach brutal auf sie eingeprügelt. Jetzt stehen die mutmaßlichen Täter vor Strafkammern des Essener Landgerichtes – und genau das bereitet ihren Opfern großes Leid. Denn sie möchten ihre Peiniger offenbar nicht bestraft sehen.

Eigentlich ist immer ein anderes Klischee zu hören: Dass die Richter Opfer von Straftaten aus dem privaten Bereich zu hart befragen, dass diese vor Gericht erneut Opfer werden, weil die Richter ihnen nicht glauben. Opfer, die Probleme haben, dass die Gerichte ihr Leid anerkennen.

Das Opfer "liebt" den Täter immer noch

Dabei gibt es immer wieder auch die anderen Fälle. Opfer, die ihre Täter immer noch „lieben“. Zufall ist, dass zwei solcher Fälle aktuell parallel vor dem Essener Landgericht stattfinden.

Die XXV. Strafkammer verhandelt seit dem 14. Januar über die Anklage gegen den 34 Jahre alten Essener Abdullah Y., der Probleme mit Crystal Meth und Kokain haben soll. Im Sommer vergangenen Jahres entwickelte er laut Anklage die Vorstellung, seine Freundin verberge Drogen vor ihm. Und das scheint ihn zu bestärken, brutal gegen sie vorzugehen.

Plötzlich sind sie verlobt

Ein prozessuales Problem: Über seinen Verteidiger Volker Schröder lässt Abdullah Y. zwar mitteilen, dass ihm alles leid tue. Vor allem betont er aber, dass er mit der 29-Jährigen verlobt sei. Falls die Richter das anerkennen, dürfte sie vor Gericht schweigen. Richter Markus Dörlemanns Fragen lassen ahnen, dass er an dem Verlöbnis zweifelt.

Doch auch die 29-Jährige bestätigt es: "Wir sind verlobt, seit eineinhalb Jahren.“ Dörlemann erinnert sie daran, dass sie die Frage nach der Verlobung in der polizeilichen Vernehmung am 10. Juli 2020 ausdrücklich verneint hatte. „Ich dachte, dass das nicht so wichtig ist“, sagt sie und betont spontan, wie eng die Beziehung sei: „Ich liebe ihn, und ich möchte ihn nie mehr anzeigen.“

Attacken auf Video aufgezeichnet

Das Gericht verzichtet erst einmal auf die weitere Vernehmung der Zeugin, zieht andere Beweismittel vor. Videos sind es, aus Überwachungskameras. Sie zeigen in HD-Qualität, wie offenbar der Angeklagte die ihm körperlich weit unterlegene Frau an den Haaren aus einer Spielhalle im Essener Stadtteil Karnap zerrt. Wie er ihren Kopf am Ausgang mehrfach gegen die Wand schlägt.

Dann gibt es Bilder vom Hinterhof ihres Hauses in Castrop-Rauxel. Dort soll er mit einem Golfschläger auf sie eingeschlagen haben. Es ist nicht alles von der Kamera erfasst, die Tonaufnahmen geben aber die Schreie der Frau wieder.

Mit Messer auf den Freund eingestochen

Einen Tag zuvor hatte es beim Schwurgericht einen weiteren Tag in einem Prozess um versuchten Totschlag gegeben. Angeklagt ist die Essenerin Anna-Lena U., die im vergangenen Sommer mehrfach und an verschiedenen Tagen mit einem Messer auf ihren Lebensgefährten eingestochen haben soll.

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Auch hier trennt die blutige Tat die Liebenden keineswegs. Er sei der tollste Mann, den sie je kennengelernt habe, sagt die 25-Jährige. Und der 30-Jährige, seit Jahren beruflich in der Justiz tätig, teilt der Kammer mit, er wolle an dieser Beziehung festhalten. Mit seiner Aussage will er sie entlasten: „Ich bin mir sicher, dass sie mich nicht töten wollte.“

Kehrtwende der Opferzeugin

In dem anderen Prozess gegen Abdullah Y. denkt die Opferzeugin allein im Foyer über ihr Aussageverhalten nach. Als sie wieder in den Saal gerufen wird, überrascht sie mit einer Kehrtwende. Jetzt will sie doch aussagen, bestätigt die körperlichen Attacken so, wie sie es auch bei der Polizei gesagt hatte.

Ist das Gericht zum Prozessalltag zurückgekehrt, stimmen die Rollen wieder? Nicht ganz. Sie wolle nicht, dass er dafür bestraft wird, sagt die 29-Jährige. Sie liebe ihn immer noch. Und lieber würde sie an seiner Stelle ins Gefängnis gehen.

Beide Verfahren werden fortgesetzt.