Essen/Bochum. Die Verzweiflung wird immer größer. Warum Textil-Einzelhändler ihre Läden schließen mussten, Discounter aber weiter Kleidung verkaufen dürfen.

Die Boutique-Besitzerin aus der Nähe von Bochum nimmt kein Blatt mehr vor den Mund. Deshalb will sie ihren Namen auch nicht in der Zeitung lesen. „Wir werden verarscht“, sagt sie. „Zwei Monate ist mein Laden jetzt zu und die Lebensmittel-Händler um mich herum haben Bekleidung bis zum Abwinken verkauft. Ich habe die Nase so was von voll, das kann sich niemand vorstellen.“

Marc Heistermann kann es. Denn der Geschäftsführer des Handelsverbandes Nordrhein-Westfalen-Ruhr bekommt täglich Anrufe von Händlern, die verärgert sind über Ungleichbehandlung im Lockdown – zumal Hygienekonzepte überall in den Schubladen liegen. „Die Verzweiflung wird immer größer, die Stimmung immer aggressiver“, hat Heistermann festgestellt. Natürlich wolle kein Händler zu einer dritten Corona-Welle beitragen. Dennoch nehme die Akzeptanz für die politischen Entscheidungen einem verheerenden Maß ab: „Vieles ist einfach nicht mehr nachvollziehbar.“

„Bei uns stapeln sich die Sachen in den Regalen“

Besonders groß ist die Verärgerung darüber, dass in Lebensmittelmärkten und Discountern das sogenannte Non-Food-Angebot, zu dem auch Textilien gehören, nicht abgedeckt und -gesperrt wird, sondern munter weiter verkauft wird. Ob Trainingsanzug, Frühlingsjacke, Arbeitshose oder Sommerpulli – Woche für Woche locken neue Angebote. „Und bei uns stapeln sich die Sachen in den Regalen“, ärgert sich die Boutique-Betreiberin, sie fürchtet, „vieles nur noch mit Verlust“ verkaufen zu können. Und: „Wenn wir vor Ostern nicht aufmachen, kann ich ganz zumachen.“

Doch es trifft nicht nur die Kleinen der Branche. Schon während des ersten Lockdowns im vergangenen Frühjahr sprachen auch die Chefs von großen Mode-Discountern wie Takko, Tedi oder Kik von einer „großen Ungerechtigkeit“. In einem gemeinsamen Schreiben an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier forderten sie unter anderem „Gleichbehandlung“. Vergeblich, wie die letzten Monate gezeigt haben.

Verkauf ist laut Corona-Schutzverordnung erlaubt

Wie hier in der Stadtgalerie in Witten ist der Einzelhandel immer noch geschlossen.
Wie hier in der Stadtgalerie in Witten ist der Einzelhandel immer noch geschlossen. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

„Ich wollte auch schon klagen“, sagt die Boutiquebesitzerin. „Aber was hätte das gebracht?“ Nicht viel wahrscheinlich. Denn was die Lebensmitteldiscounter machen, ist völlig legal. Das Zauberwort heißt „Positivliste“ und ermöglicht so genannten „Mischbetrieben“ auch den Verkauf von Textilien, „wenn der erlaubte Sortimentsanteil überwiegt“. Diese Betriebe sollen, heißt es, „alle Sortimente vertreiben können, die sie gewöhnlich auch verkaufen“.

„Wenn Lebensmittel nicht allein den Schwerpunkt des Sortiments bilden, sondern mit anderen Gegenständen des Einzelhandels gleichgewichtig sind, dann dürfen laut Corona-Schutzverordnung nur Lebensmittel verkauft werden“, erklärt Wolfram Schnurbusch, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht bei Runkel Rechtsanwälte in Wuppertal. „Bilden Lebensmittel aber den Schwerpunkt des Sortiments, dürfen auch Bekleidungsgegenstände veräußert werden.“ Deshalb könnten Textilhändler auch nicht auf eine Untersagung hinwirken.

Höherpreisige Artikel werden immer öfter Online verkauft

Ein Regelung, für die die Boutique-Chefin mittlerweile nur noch ein Wort übrig hat: „Lächerlich.“ Verbandschef Heistermann kann den Unmut verstehen, sieht aber auch eine leichte Entspannung. „Man hat den Eindruck, dass viele Märkte das Angebot an Textilien ein wenig zurückgefahren haben.“

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Dafür gibt es ein neues Problem. Bisher hätten vor allem Einzelhändler aus dem unteren oder mittleren Preissegment gelitten, weiß Heistermann. „Wer sonst nur Markenware trägt, kleidet sich ja jetzt nicht unbedingt beim Discounter ein.“ Muss er allerdings auch nicht. Mittlerweile, weiß der Geschäftsführer, würden die großen Online-Shops verstärkt auf exklusive Marken setzen. „Das macht den teuren Boutiquen langsam echte Sorgen.“

„Click & Collect ist nicht möglich oder ersetzt Umsätze nicht annähernd“

Alles dicht. Die Stimmung im Einzelhandel wird immer schlechter.
Alles dicht. Die Stimmung im Einzelhandel wird immer schlechter. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Jedenfalls wollen sie wieder öffnen, und zwar „so schnell wie möglich“. Auch weil das Click & Collect-Prinzip – also anrufen und bestellte Ware dann abholen – entweder nicht möglich sei oder normale Umsätze nicht annähernd ersetze. Und, weil die zugesagten Hilfen oft noch nicht angekommen sind: „Ich habe bisher keinen Cent gekriegt“, sagt die Boutique-Besitzerin. „Ich glaube auch nicht mehr daran.“

Immerhin, bald soll es Selbst-Schnelltests für jedermann geben. Ein Hoffnungsschimmer? „Mal sehen“, sagt die Einzelhändlerin. Preis und Verfügbarkeit, das sei ja alles noch ungeklärt.“ Die Branche, ist Verbandsvertreter Heistermann überzeugt, werde sich nicht gegen die neuen Testmöglichkeiten sperren. „Was immer hilft, zu öffnen, das werden die Händler annehmen.“