Essen. Kaum ein Land hat einen schärferen Datenschutz als Deutschland. Behindert das den Kampf gegen Corona?
Ausgangssperren, Versammlungsverbote, Geschäftsschließungen: In der Corona-Pandemie gibt es seit Monaten massive Einschränkungen vieler Rechte. Nur am Datenschutz in Deutschland wird kaum gerüttelt.
Vor allem die Corona-Warn-App sorgt für Diskussionen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), nennt sie einen „zahnlosen Tiger“, weil weil sie kaum warnende Wirkung habe. Das kann sie auch nicht, so wie sie – aus Datenschutzgründen – programmiert ist. „Stärkeren Datenschutz in der Umsetzung gibt es kaum“, räumt auch Alena Buy, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, in einem ZDF-Interview ein. „Und da muss man so langsam wirklich fragen – und da bin ich nicht die Einzige –, wir schränken so viele Grundrechte ein und den Datenschutz so gar nicht?“
Mehrheit der Deutschen hängt angeblich nicht am Schutz ihrer Daten
Es sei „unverhältnismäßig, ein Grundrecht, das so nicht einmal in der Verfassung steht, so wichtig es ist – nämlich die informationelle Selbstbestimmung – absolut zu setzen“, findet auch der Philosoph und ehemalige Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin. Zumal eine Mehrheit der Deutschen nicht so sehr an ihren Daten zu hängen scheint. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage aus den Anfängen der Pandemie hervor, die die Marktforscher Innofact im Auftrag des Datenschutz-Start-ups Usercentrics durchgeführt haben.
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Insgesamt gaben schon damals knapp zwei Drittel der Menschen an, auf den Schutz ihrer persönlichen Daten verzichten zu wollen, wenn sie sich dadurch selbst schützen oder das Leben anderer retten können. Und sieben von zehn Befragten würden für den Kampf gegen die Ausbreitung des Virus ihre „Gesundheitsdaten wie Körpertemperatur, Bewegungsprofil oder soziale Kontaktpunkte öffentlichen Institutionen wie z.B. dem Robert-Koch-Institut bereitstellen“.
Änderungen der App lösen Problem nicht
Genutzt haben solche Erkenntnisse und Diskussionen bisher wenig. Zwar wird das Programm der App erweitert, aber ein paar neue Informationen über das Infektionsgeschehens in Deutschland ändern wenig an den Fähigkeiten der App.
Noch immer ist die deutsche Version das, was Experten eine Tracing-App nennen. Sie erfasst Kontakte, aber nicht Standort- oder persönliche Daten. Genau das machen Tracking-Apps (englisch für verfolgen), wie sie etwa in Südkorea genutzt werden – und die Datenschützer gerne „Alptraum“ nennen. Ihre Installation ist dort – in Deutschland kaum vorstellbar – Pflicht.
Kontrolle der Quarantäne
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So lassen sich Bewegungs- und Kontaktprofile der Nutzer erstellen. Anders als oft behauptet, werden sie in Asien weniger für das Aufspüren von Infektionsketten eingesetzt, sondern vor allem, um zu kontrollieren, ob Menschen ihre Quarantäne-Auflagen einhalten. Eine Aufgabe, an der deutsche Ämter in den letzten Monaten gescheitert sind.
Immerhin, das mit den Faxgeräten ist erledigt. Positive Corona-Testergebnisse müssen seit Anfang des Jahres, und somit ganze neun Monate nach Beginn der Pandemie, digital von den Laboren an die Gesundheitsämter gemeldet werden. Bis dahin wurden die Ergebnisse per Fax übermittelt und per Hand in Listen übertragen. „Eine effektive Kontaktnachverfolgung ist vielfach nicht mehr möglich“, warnte die Nationalakademie Leopoldina frühzeitig, aber vergeblich. E-Mails, behaupteten die Ämter stets, seien aus Datenschutzgründen für die Übermittlung verboten.
Auch Distanzunterricht wird durch Datenschutz erschwert
Und der Datenschutz schränkt auch die Schulen ein. Während die Systeme der Länder für den Distanzunterricht nach den Weihnachtsferien reihenweise in die Knie gingen, meldeten alle, die auf Microsoft Teams setzten, „keine Probleme“. „Wir haben viele Programme getestet“, heißt es aus einem Gymnasium in Essen, das Teams schon länger nutzt. „Alles andere hat unseren Ansprüchen nicht genügt.“ Teams allerdings genügt vielen Datenschützern nicht. Sie warnen vor Mithörmöglichkeiten und der Weitergabe der von Microsoft gesammelten Daten zu Werbezwecken.
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Grundsätzlich ist der Einsatz der Microsoft-Software erlaubt. „Die Schulen sind in dieser Entscheidung frei“, sagt eine Sprecherin der Stadt Dortmund. Das sei richtig, bestätigt der Leiter eines Düsseldorfer Gymnasiums. Er kenne aber die Bedenken vieler Kollegen. Denn das Ministerium verweise auf eine Seite des Landesdatenschutzbeauftragten. Dort heißt es, dass die Schulleitung „in der Verantwortung für die Beachtung der Datenschutzbestimmungen“ steht. „Mit anderen Worten, wir müssen den Kopf hinhalten, wenn mal was schief läuft.“ Der Düsseldorfer Direktor macht das. „Im Augenblick ist ein störungsfreies System wichtiger als mögliche Verstöße gegen den Datenschutz.“