Düsseldorf. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber spricht über die Corona-WarnApp, Digitalisierung in Asien und Grenzen der Bürger-Überwachung.
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber kämpft seit Monaten gegen Politiker, die den Datenschutz in Deutschland für Schwächen in der Corona-Bekämpfung verantwortlich machen. Tobias Blasius sprach mit dem 52-jährigen Informatiker.
Behindert der Datenschutz die Corona-Bekämpfung in Deutschland?
Die Antwort ist klar und belegbar: Nein. Wir Datenschützer drängen sogar zu einer stärkeren Digitalisierung überall dort, wo es bei der Kontaktnachverfolgung geeigneter ist als Papier, Faxe und Anrufe. Die Pandemie-Bekämpfung leidet vor allem unter Vollzugsdefiziten sowie jahrelanger Unterfinanzierung und nicht unter zu viel Datenschutz.
Ist der Datenschutz schuld an der wenig wirksamen Corona-WarnApp?
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Nein, aber die Geschichte hält sich hartnäckig. Die datenschutzfreundliche Ausgestaltung der Corona-WarnApp hat überhaupt erst zu Vertrauen in der Bevölkerung und zu hohen Nutzerzahlen geführt. Das ist für die Wirksamkeit entscheidend. Wenn wir die Zahl derjenigen, die sich die WarnApp aufs Handy laden, noch einmal verdoppeln könnten, wäre der Wert für den Infektionsschutz verzehnfacht. Die App sollte auch ständig weiterentwickelt werden und etwa die Erkennung von Infektionsclustern erleichtern. Selbst das lässt sich datenschutzfreundlich machen.
Handy-Überwachung als Generalverdacht? Nicht akzeptabel
Mit einer Handy-Überwachung zur Kontrolle von Bewegungsbeschränkungen haben Sie aber schon ein Problem?
Es gibt natürlich Vorschläge zur Pandemie-Bekämpfung, die dem Grundgesetz oder Datenschutz-Gesetzen widersprechen. Es wäre zum Beispiel nicht verhältnismäßig, ohne Anlass die Daten aller Bürgerinnen und Bürger zu sammeln, um zu überwachen, ob Einzelne ihren Wohnort mehr als 15 Kilometer verlassen. Ein solcher Generalverdacht und eine solche Sammlung von Bewegungsprofilen wären für mich nicht akzeptabel. Außerdem wäre eine solche Überwachung völlig ungeeignet. Mobilfunkzellen sind gerade in ländlichen Gegenden viel zu groß und deshalb ungenau, an GPS-Daten kommen die Behörden nicht so leicht. Außerdem könnte man die Erfassung leicht austricksen, in dem man sein Handy einfach zu Hause lässt.
Israel gilt als leuchtendes Beispiel der Corona-Krise. Ist dort technisch möglich, was bei uns der Datenschutz verhindert?
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Wir alle haben es bislang nur aus den Nachrichten gehört, dass Israel den Pharmaherstellern zu Forschungszwecken Daten von Geimpften überlässt, etwa deren Alter, Geschlecht oder Vorerkrankungen. Anonymisiert wäre das in Europa auch möglich. Die Debatte ist aber müßig, weil Israel als relativ kleines und gut organisiertes Land mit neun Millionen Einwohnern für Impfstoff-Hersteller einfach ganz andere Voraussetzungen bietet als die EU mit ihren 450 Millionen Einwohnern und 27 Mitgliedsstaaten. Wahr ist, dass die israelische Regierung öffentlich erklärt hat, in der Corona-Krise auch viel Überwachungstechnologie bis hin zu den Geheimdiensten einzusetzen. Die Infektionszahlen liegen dort dennoch prozentual betrachtet weit über denen in Deutschland. Für mich ist das also gerade kein Beleg, dass eine große Menge von Daten der Bürgerinnen und Bürger auch eine erfolgreiche Pandemie-Bekämpfung bedeutet.
In Singapur werden positiv Getestete gleich nach Hause gebracht
Einige asiatische Staaten sind mit modernster Digitaltechnik aber offenkundig schon erfolgreicher bei der Eindämmung von Infektionsherden als Deutschland…
Das ist aber keine Frage des Datenschutzes. Die geografische Lage dieser Länder spielt einerseits eine Rolle, andererseits auch die extrem gute technische Ausstattung der dortigen Gesundheitsbehörden, die voll digitalisiert sind. In Deutschland wurden die Gesundheitsämter leider über Jahre kaputtgespart. In manchen Kommunen müssen die Laborbefunde heute noch immer händisch und auf Papier, maximal in Excel-Listen verwaltet werden. Über kommunale Grenzen hinweg gibt es dann keinen Austausch. Während in Singapur positiv Getestete gleich von der Untersuchung mit Spezialfahrzeugen in die häusliche Quarantäne gebracht werden, kommt in Deutschland die Quarantäne-Anordnung bei Betroffenen manchmal erst drei Wochen später an. Das sind alles keine Datenschutzthemen.
Gibt es in Zeiten, in denen wir viele Informationen über uns jeden Tag frei Haus an Amazon, Facebook und Netflix liefern, noch ein Bewusstsein für Datenschutz?
Alle Umfragen zeigen, dass viele Bürgerinnen und Bürger ein hohes Interesse am Datenschutz und dem Schutz ihrer Privatsphäre haben. Obwohl ihnen seit Monaten eingebläut wird, er sei in der Pandemie-Bekämpfung hinderlich. Viele Menschen versuchen sehr bewusst, sich Daten-Kraken zu entziehen. Man darf auch nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. So wichtig der sorgsame Umgang mit Daten gegenüber großen Tech-Konzernen ist, so muss beim Staat mit seinem Durchsetzungsmonopol und seinen Schutzpflichten gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern ein anderer datenschutzrechtlicher Maßstab angelegt werden.