Essen. Die Volkszählung sorgte 1983 für massive Proteste. 30 Jahre später bestätigen Snowden-Enthüllungen die Kritiker.
Schon vor den Enthüllungen von Edward Snowden ahnten manche, dass sich das Internet von einem Fortschrittsmotor in eine Überwachungsmaschine verwandeln könnte. Doch Snowdens Schilderungen im Sommer 2013 über eine automatisierte Spionagesoftware, mit deren Hilfe Geheimdienste und Konzerne massenhaft Telekommunikationsdaten aus aller Welt abgreifen, sammeln und auswerten, übertrafen alle Befürchtungen. Seitdem ist klar, dass jede Bewegung im Netz registriert werden kann – damit erreichte die Debatte die Privatsphäre eines jeden Nutzers.
Der Schrecken war riesig. „Während wir schliefen, haben Maschinen die Welt übernommen“, mahnten Datenschützer. Snowdens Enthüllungen hätten gezeigt, in welch ungeheurem Ausmaß jeder Einzelne überwacht werde. Am internationalen Tag der Menschenrechte veröffentlichten 562 Schriftsteller aus aller Welt im Dezember 2013 einen Aufruf gegen die unkontrollierte Überwachung. Darin hieß es: „Ein Mensch unter Beobachtung ist niemals frei; und eine Gesellschaft unter ständiger Beobachtung ist keine Demokratie mehr.“
Massive Proteste gegen die Volkszählung
Die Snowden-Affäre hatte ein Thema ins Scheinwerferlicht gestellt, das schon einmal die Republik erschüttert hatte: An der Volkszählung im Jahr 1987 entzündete sich erstmals ein heftiger Kampf um den Datenschutz. Im Vorfeld gab es massive Proteste, Gegner der Zählung riefen zum Boykott auf, sie befürchteten einen allwissenden Staat und klagten vor dem höchsten deutschen Gericht.
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Bei der Volkszählung, die der Bundestag 1983 beschlossen hatte, sollte nicht nur der aktuelle Bevölkerungsstand erhoben werden. Auch Fragen zur Staatsangehörigkeit, zum Beruf oder zu genutzten Verkehrsmitteln waren Teil des umfangreichen Katalogs. Die Daten sollten dem Staat auch Aufschluss darüber geben, wo Handlungsbedarf besteht, etwa beim Straßen-, Schul- oder Wohnungsbau.
Protestslogan: "Meine Daten gehören mir"
Doch anders als bei vorherigen Zählungen formierte sich jetzt massiver Widerstand. Dass zum Beispiel persönliche Daten mit Melderegistern abgeglichen und erstmals mit Hilfe von Computern ausgewertet und gespeichert werden sollten, schürte die Furcht vor dem „gläsernen Bürger“. Slogans wie „Politiker fragen – Bürger antworten nicht“ oder „Meine Daten gehören mir“ begleiteten die Boykottaufrufe.
Dennoch hielt die Bundesregierung an ihrem Vorhaben fest. Die Volkszählung sollte wie geplant am 27. April 1983 stattfinden. Nur zwei Wochen vor diesem Termin stoppt eine einstweilige Verfügung des Bundesverfassungsgerichts das Vorhaben.
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Wegweisendes Urteil der Verfassungsrichter
Am 15. Dezember 1983 fällten die Richter eine wegweisende Entscheidung, die als „Volkszählungsurteil“ in die Rechtsgeschichte einging. Die Verfassungsrichter formulierten darin erstmals das „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“. Dies leiteten sie aus den ersten beiden Artikeln des Grundgesetzes ab: der Menschenwürde sowie dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Die Bundesregierung musste darauf Teile der geplanten Volkszählung verändern, die schließlich erst 1987 stattfinden konnte.
Das Verfassungsgericht gewährte mit dem historischen Urteil jedem Menschen grundsätzlich das Recht, selbst darüber entscheiden zu dürfen, wer Daten von ihm erhebt, speichert, verwendet und weitergibt. Eingeschränkt werden darf es nur zu Gunsten eines „überwiegenden Allgemeininteresses“. Mit Edward Snowden wurde fast genau 30 Jahre später deutlich, wie verletzlich dieses Grundrecht ist.