Dortmund. Möglichst keine Kita, weniger Kontakte: Was macht der Lockdown mit den Kindern? Und wie können Eltern das auffangen?
Der längere Lockdown bringt nicht nur Eltern in Betreuungsschwierigkeiten, selbst wenn sie die Kita meiden wollen. Vor allem die Kinder sind verwirrt und verlieren an Motivation. Christoph Müller leitet die Awo-Kita Nortkirchenstraße in Dortmund und berichtet aus der Praxis.
Was macht es mit Kindern, wenn sie nun nicht mehr die Kita besuchen dürfen und auch sonst viel weniger Kontakte haben?
Müller: Freundschaften und enge Spielkontakte, die es bei uns in der Kita gibt, fallen seit Wochen komplett weg für die Kinder, die zuhause bleiben. Manche Eltern können ihnen dort sicher eine ganz tolle Qualitätszeit anbieten, aber es gibt natürlich auch Situationen, wo man als Mama und Papa im Homeoffice wenig Zeit hat. Wir erleben Kinder, die uns zeitweise besuchen und fragen: Darf ich jetzt wieder öfter kommen? Und die, die uns weiter regelmäßig besuchen, müssen sich in den reduzierten Gruppen ständig neu anpassen. Für uns ist es sehr bedauerlich zu sehen, dass die Kinder manchmal auch gar nicht wissen, was sie machen sollen. Dass sie ein bisschen die Spielfreude verlieren und wieder stärker von uns begleitet werden müssen.
Wie viele Kinder kommen denn weiterhin und welche Entwicklung erwarten sie?
Von unseren 79 Kindern sind nach dem Appell im Dezember noch 25 bis 30 gekommen, die Eltern sind sehr variabel damit umgegangen. Aber viele Eltern haben schon angerufen und gesagt: Wir können nicht weiter die Kinder betreuen. Viele sind ja ohnehin in Vorquarantäne gegangen vor den Feiertagen. Aber nun sind vor allem die an den Grenzen, die kein Homeoffice machen können. Ich rechne damit, dass nun eher 45 Kinder kommen werden.
Sie sind kein Virologe, aber was bringt denn die Reduzierung um zehn Wochenstunden?
Von der Ansteckungsgefahr ist es wohl keine Entlastung. Ob die Kinder nun sieben Stunden am Tag da sind oder neun Stunden oder fünf oder sieben … Aber durch die Reduzierung sind einige Eltern nicht mehr in der Lage, die Kita zu nutzen und müssen sich Alternativen überlegen. Das ist wohl ein Stück weit der Plan gewesen, um die Auslastung zu reduzieren, vermute ich. Aber ich hoffe, dass wir Spielraum bekommen, um auf die Bedürfnisse der Eltern einzugehen.
Was sagen die Eltern dazu?
Wir haben noch keine O-Töne. Aber was ich zuletzt gehört habe, ist, dass viele Eltern versucht haben, sich gegenseitig in der Betreuung zu unterstützen. Diese Möglichkeit fällt ja jetzt auch weg, sofern mehr als ein befreundetes Kind aufgenommen wird.
Welche Tipps kann man Eltern geben?
Frische Luft ist immer gut. Ob man eine kleine Übungseinheit macht wie Hampelmänner oder sich Spaziergänge und Routen raussucht — vielleicht kann man es noch mit einer Schnitzeljagd verbinden, so dass man nicht nur stumm wandern geht. Man kann Kitarituale wie den Morgenkreis nach Hause holen oder Entspannungseinheiten in der Mittagszeit und Fantasiereisen, man kann das Mittagessen zusammen vorbereiten. Kinder sind unglaublich kreativ, da kann es mal sein, dass in der Küche die Kochutensilien umfunktioniert werden oder im Badezimmer umdekoriert wird. Man kann Bücher lesen und natürlich darf es auch mal eine digitale Geschichte sein. Man sollte die Kinder nur nicht den ganzen Tag vor den Fernseher oder irgendwelche Internetkanäle setzen, das wäre eine kognitive Verarmung.
Wie viel Medienkonsum ist denn noch okay?
Man kann es nicht verallgemeinern. Die Frage ist: Was kann mein Kind inhaltlich schon verarbeiten? Ich bin ein Freund davon, sich dazuzusetzen oder wenigstens zwischendurch mal dazuzukommen, wenn man zum Beispiel einen Kinderfilm schaut, der auch seine 75 Minuten haben kann. Hörbücher und -spiele sind eine schöne Alternative.
Haben Sie in den letzten Wochen schon Veränderungen an den Kindern bemerkt?
Wir erleben einerseits, dass die Kinder sehr dankbar sind, wenn sie wieder in die Kita gehen dürfen. Ein Junge sagte mir neulich: Danke, dass in der Kita kein Corona ist. Auf der anderen Seite haben sie kaum noch langfristige Pläne: Lass das bitte stehen für morgen, hört man nicht mehr, weil die Kinder in den Tag hinein leben. Viele wirken deutlich niedergeschlagener als sonst.
Vor welchen Herausforderungen stehen die ganz Kleinen?
Die U3-Kinder sind noch stärker verwirrt als die Größeren. Wir merken, dass es ihnen nicht gut tut, wenn sie ein oder zwei Wochen raus sind und dann auf einmal wiederkommen. Zum Teil sind sie noch in der Eingewöhnung. Das geht bei den Kleinen ganz viel über Körperkontakt und schöne Situationen, über Tragen und Behüten — etwa bei der Übergabe. Aber auch das Abholen und Bringen ist nicht möglich wie sonst. Die Eltern kommen nicht ins Haus und bekommen von unserer Arbeit nichts mit. Wir müssen viele Gespräche führen, um ihnen Vertrauen zu geben. Damit sie das Gefühl haben, es ist nicht nur ein Verwahren. Wir sind immer noch Orte der Bildung.