Bochum. Seine Aussage hat Marvin gemacht. Nun aber verlangt die Verteidigung vom mutmaßlichen Missbrauchs-Opfer noch ein “Schnarch-Gutachten“.
Seit Juni steht in Bochum der Mann vor Gericht, der den Duisburger Jungen Marvin zweieinhalb Jahre in seiner Wohnung in Recklinghausen versteckt und an die 500-mal missbraucht haben soll. Seine eigene Aussage hat der 16-Jährige seit dieser Woche hinter sich, vier Termine hat es dafür gebraucht. Ein Urteil wird trotzdem auch Ende dieses Monats noch nicht fallen können: Die Verteidiger des Angeklagten wollen den Hauptbelastungszeugen nun noch in ein Schlaflabor schicken. Es geht um die Frage, ob es Marvin ist, der auf einem bei Lars H. gefundenen Video im Hintergrund schnarcht.
Zwar hat das mutmaßliche Opfer schon am Tag seiner ersten nicht-öffentlichen Vernehmung die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft "im Wesentlichen bestätigt", wie eine Gerichtssprecherin Anfang Dezember erklärte. Der wegen Kinderporno-Besitzes vorbestrafte Lars H. (45) soll den anfangs 13-jährigen Marvin in seiner Wohnung im Süden von Recklinghausen jahrelang fesgehalten, mit Geld und Zigaretten belohnt und regelmäßig sexuell missbraucht haben.
Verteidigung fordert ein "Schnarch-Gutachten" von Marvin
Nach vier Verhandlungstagen schloss die 8. Strafkammer die Aussage von Marvin selbst am Mittwoch ab. Nun aber will die Verteidigung widerlegen, dass auf einem der beschlagnahmten Videos tatsächlich Marvins Schlafgeräusche zu hören sind. Zwar ließen die Richter bereits erkennen, dass sie ein phonetisches Schnarch-Gutachten eher nicht für nötig halten, zumal es bereits eine andere Expertise dazu gibt, die das Film-Geräusch Marvin zuordnet. Entschieden ist das aber noch nicht. Der Zeuge selbst hat einem solchen Gutachten grundsätzlich zugestimmt.
Der eigentliche Plan, Ende Januar ein Urteil zu verkünden, ist damit erneut hinfällig, derzeit sind weitere Termine im Februar im Gespräch.
Ursprünglich hatte die Kammer lediglich zehn Verhandlungstage bis zum 25. Juni angesetzt. Aber schon im Sommer hatte sich der Prozess immer wieder durch weitere Anträge verzögert. Unter anderem hatte die Verteidigung beantragt, wegen der Corona-Gefahr die tägliche Verhandlungsdauer auf eine Stunde zu begrenzen. Im neuen Bochumer Gerichtsgebäude kann man die Fenster nicht öffnen, dafür gibt es aber eine Lüftungsanlage, die die Luft abführt, statt sie umzuwälzen. Der Antrag wurde abgelehnt, es folgten ein Befangenheitsantrag gegen die Richter und eine schwierige Terminsuche für die Aussage des Hauptbelastungszeugen.
Vier Tage dauerte Marvins Aussage vor dem Bochumer Landgericht
Direkt gegenübertreten musste Marvin seinem mutmaßlichen Peiniger schließlich nicht. Der Jugendliche habe „Angst“ vor einer Begegnung mit dem Mann, der ihn laut Anklage fast 1000 Tage bei sich versteckt hielt, erklärte seine Rechtsanwältin Marie Lingnau. Zwar hatte das Oberlandesgericht trotzdem entschieden, der Angeklagte brauche den Raum während der Aussage nicht zu verlassen. Eine Gutachterin aber bezeichnete eine Konfrontation im Gerichtssaal als „wissentliche Gefährdung des Kindeswohls“ – Marvin wurde deshalb aus einem Nebenraum des Bochumer Landgerichts per Video zugeschaltet.
Eine Psychologin stand dem Jugendlichen zur Seite, der Vorsitzende Richter Stefan Culemann war der Einzige, den Marvin auf dem Bildschirm sehen konnte. Insgesamt dauerte die Befragung, auch durch die Verteidigung, vier Prozesstage. Ursprünglich hatte die 8. Strafkammer aus Termingründen an zwei Samstagen im November tagen – was in der jüngeren Geschichte des Bochumer Landgerichts ein Novum gewesen wäre. Allerdings stand die Aussage des Jugendlichen terminlich lange unter einem schlechten Stern: Erst musste die Kammer nach der Covid-19-Erkrankung eines Schöffen in Quarantäne, später ging Marvin selbst nach einem Kontakt in freiwillige Isolation, seine Anwältin lehnte eine gemeinsame Verhandlung ab.
Polizei fand den vermissten Marvin im Dezember 2019 in einem Schrank
Marvin tritt im Prozess als Nebenkläger auf, wird dort durch seine Mutter vertreten . Die Duisburgerin hatte im Zeugenstand erklärt, dass ihr Sohn, der nach einem Aufenthalt in einer Jugendhilfeeinrichtung nun wieder bei der Familie lebt, sich kaum auf die Straße traue.
Die Polizei hatte im Dezember 2019 in der Mietwohnung in Recklinghausen kinderpornografisches Material gesucht und den seit langem in Duisburg und im Vest vermissten Jungen zufällig gefunden. Eine Beamtin entdeckte Marvin im Schrank , wo er sich versteckt hatte. Als Zeugin sagte die Polizistin aus, dass der Junge körperlich und emotional verwahrlost gewirkt habe. Er habe gesagt, dass er in den zweieinhalb Jahren in der Wohnung des Mannes nur dreimal kurz an der frischen Luft gewesen sei. Der Halbwaise war im Alter von 13 Jahren aus einer Jugendeinrichtung verschwunden.