Ruhrgebiet. Schüler und Kitakinder sollen zuhause bleiben. Doch die Notgruppen werden wachsen, und Lehrer verschicken weiter kopierte Buchseiten.
„Mir ist ein bisschen schlecht.“ — „Sie machen so viele schöne Sachen, das will ich meinem Kind nicht nehmen.“ — „Ihre Frau ist doch zuhause. - Ja, aber die muss die Baustellenaufsicht machen, wir renovieren gerade.“
Absurde Begründungen hat die Erzieherin Jennifer L. (Name geändert) viele gehört, als es vor Weihnachten darum ging, wer sein Kind noch abgeben durfte. Oder besser: Es durften ja alle, es gab nur einen Appell an die Eltern, ihre Kinder zuhause zu betreuen. Diesen weichen Ansatz hat die Landesregierung nun verlängert, ergänzt um eine Einschränkung der Betreuungszeiten. Nach Einschätzung von L. hat er mäßig funktioniert.
Die Notgruppen werden sich bald füllen
„Zunächst hatten wir über die Hälfte der Kinder hier“, sagt L., die in einer Essener Kita arbeitet, „aber mit Elternbrief und vielen Gesprächen konnten wir es auf etwa ein Viertel drücken.“ Sie erwartet, dass der Anteil sich wieder verdoppeln wird — allein wegen der Dauer des Lockdowns.
„Gestern haben schon einige Eltern angerufen. Einige Tage können viele überbrücken, bei drei weiteren Wochen wird es unmöglich für viele. Ich habe viele Eltern, die beide berufstätig sind. Und Oma und Opa geht ja auch nicht.“ Was eine um zehn Wochenstunden kürzere Betreuungszeit bringen soll, erschließt sich ihr nicht. „Ob die Kinder nun sechs oder acht Stunden hier sind am Tag, spielt eigentlich auch keine Rolle.“
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Notbetreuung für Schüler bis zu Klasse 6
Auch an Stefanie N.s Realschule im westlichen Ruhrgebiet waren die Klassen zu Beginn des härteren Lockdowns noch mehr als zur Hälfte gefüllt, erinnert sich die Lehrerin — „das hat sich bis kurz vor Weihnachten aber stark reduziert.“ Nun sollen alle Schüler nur noch aus der Ferne unterrichtet werden, hat Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) am Mittwoch verkündet. Bis zur Klasse 6 gibt es eine Notbetreuung, wenn diese beim Distanzunterricht nicht zu Hause betreut werden können oder eine Kindeswohlgefährdung vorliege.
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Während der Betreuung in den Schulen finde aber kein regulärer Unterricht statt. „Das ist eher vergleichbar mit dem ersten Lockdown“, sagt Stefanie N. „Im Frühjahr sind nie mehr als 15 Kinder in der Notgruppe gewesen.“
Die Ansagen kommen sehr kurzfristig
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Sie stört am meisten: „Das Schulministerium entscheidet viel zu spät, in anderen Bundesländern gibt es viel mehr Planungssicherheit.“ Zudem hält Stefanie N. das Land und auch ihre Schule nur unzureichend gerüstet für den Fernunterricht.
„Logineo NRW“ heißt die Plattform, die das Land in der Krise ausgebaut hat. „Wir hatten ein paar Testwochen, von nun an arbeitet unsere Schule ausschließlich damit. Immerhin gibt es nun eine Plattform für alle - aber mit vielen Hinkefüßen.“ So vermisst Stefanie N. vor allem die Möglichkeit zur Videokonferenz. „Es ist eher eine Lösung für Datenschutzprobleme beim Hin- und Herschicken von Dokumenten — und weniger aus Sicht der Schüler entwickelt.“
Vater vermisst Konzept für digitalen Unterricht
Das findet auch Thorsten Urbanski aus Essen-Überruhr, Softwareexperte und Vater eines 15-jährigen Sohns. „Es gibt weiterhin kein Konzept für digitalen Unterricht in NRW. Der beschränkt sich auf das Versenden von kopierten Buchseiten und Word-Dateien. Logineo ist nichts anderes als ein Download-Portal und einfach veraltet. Ohne Videofunktionalität macht digitaler Unterricht keinen Sinn, man muss die Kinder sehen können.“ Hamburg etwa habe dafür eine gut funktionierende Software aus Skandinavien eingekauft, sagt der Fachmann für Digitalisierung. „NRW wollte mal wieder einen eigenen Weg gehen.“
Wie funktioniert digitaler Distanzunterricht bei Grundschülern?
Auch Grundschulen sollen nun also Distanzunterricht machen. Das hat Bärbel Emersleben, Rektorin der Grundschule Tönisheide in Velbert, überrascht. Auch vor den Ferien lernte ein Teil der Kinder daheim, prinzipiell ist es also nicht neu. „Aber immer wenn ich höre und sehe, wie Distanzunterricht laufen soll, denke ich: Das kann nicht Grundschüler meinen.“
Natürlich wolle sie auch digitale Kanäle nutzen — Logineo ist nicht verpflichtend, Velbert hat sich für ISERV entschieden — „aber so erreichen sie ganz viele Kinder nicht.“ Es werden also wieder analoge Papierstapel geschnürt. „Es bedrückt mich“, sagt Emersleben. „Man merkte es den Kindern vor Weihnachten deutlich an, dass die Stimmung im Keller war.“