Bochum. Gesundheitsminister Jens Spahn fragt am Katholischen Klinikum Bochum nach dem Umgang mit Corona. Geschimpft wird hier nicht. Aber es gibt Kritik.

Jemand hat Schirme gebracht, dunkelblau, „falls doch jemand spuckt“. Wie am Wochenende in Bergisch Gladbach. Oder in Bottrop, da haben sie am Montag zumindest gepfiffen. In Bochum aber spuckt niemand, es pfeift auch keiner, der Minister kommt mit seinem großen, schwarzen Auto hintenrum: Jens Spahn kann in Ruhe reden, diesmal mit Mitarbeitern des Katholischen Klinikums.

Die Maske richtig im Gesicht, die Hände desinfiziert, den Zettel ausgefüllt: Name, Geburtsdatum, Erkältung, Risiko-Gebiet, Covid-Kontakte? Läuft beim Bundesgesundheitsminister von der CDU, es war der Uni-Klinik wichtig, dass „der Herr Minister nicht anders behandelt wird als andere“. Medizin-Studentin Annika misst Fieber, aber auf den Wert hält sie den Daumen, sensible Daten! Bei allen anderen hat sie ihn gut sichtbar aufgeschrieben. Jens Spahn ist eingeladen in den Hörsaal, es wäre Platz für 250 Leute, rote Klebestreifen markieren weniger als 50 Plätze. Es kommen gerade mal 15 Mitarbeiter.

Krankenschwestern fordern erneut einen Bonus

Dr. Renate Schlottmann, leitende Oberärztin der Infektiologie am St. Josef-Hospital (vorn), schildert die Herausforderungen der Corona-Krise.
Dr. Renate Schlottmann, leitende Oberärztin der Infektiologie am St. Josef-Hospital (vorn), schildert die Herausforderungen der Corona-Krise. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Im weißen Kittel, im himmelblauen, auf einem Button an der Brust des Motto des Corona-Jahres in St. Josef: „Gemeinsam! 2020“. Nicht nur Krankenschwester Anja Schulz hat extra die Arbeitskleidung angezogen, sie hat einen großen Auftrag: „Sagt, was ist!“, hat der Chef alle aufgefordert, und für die Kolleginnen soll Schulz einmal mehr daran erinnern, dass auch die Krankenpflege einen Bonus verdient hat. Jemand anders wird das vor ihr anbringen, Spahn wird geheimnisvoll andeuten, dass Krankenkassen und Krankenhäuser dazu im Gespräch seien. Er wird aber auch sagen, dass es schwierig sei, die Unterschiede zwischen Pflege auf Covid-Stationen und in Kliniken mit Kurzarbeit „fair abzubilden“.

Anja Schulz sagt, dass sie sich „alleingelassen“ gefühlt haben am Anfang der Krise, „alles musste sofort passieren, hier und jetzt“. Dabei hat sie sich nicht vorstellen können, nach mehr als 30 Jahren auf der Intensivstation, „wie anstrengend das ist“. Zwar haben sie 15 Stationen geschlossen, den Normalbetrieb zurückgefahren, Mitarbeiter umgeschichtet und geschult, mit Dingen, die sie selbst noch nicht richtig wussten. Deshalb hat noch in der Tür der Minister den Klinik-Chef gefragt: „Seid ihr inzwischen wieder voll?“ Prof. Christoph Hanefeld winkte ab: „Ich glaube, wir werden erstmal nicht mehr voll.“

Aus der Krise gelernt

Dabei haben sie gelernt, Sicherheit dazugewonnen, „wir wissen jetzt, was wir tun“. Das ist die Botschaft an den Minister, sie danken ihm artig. Oder loben: dass er beherzt entschieden habe, dass man„zum Glück endlich Konsens“ habe bei der Teststrategie, dass er „flexible Agilität“ gezeigt habe in der Krise. Dass es „endlich ein Gefühl der politischen Unterstützung gebe“.

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An allem klebt indes auch ein großes Aber: Es klagt die Leiterin der Krankenhaushygiene über fehlendes Desinfektionsmittel und fehlende Handschuhe. Die Abstimmung zwischen Bund und Ländern sei „nicht immer optimal“ gewesen. Und dann die Teststrategie: Dr. Friederike Lemm „will nicht Blindflug sagen“, aber meint es doch. Es kritisiert die Leiterin des Krisenstabs, dass sie bei Verdachtsfällen bei bis zu 15 Gesundheitsämtern 15 verschiedene Quarantäne-Regeln beachten muss, dass Listen noch immer handschriftlich geführt und gefaxt werden. Es erzählt die Apothekerin, wie zeitweilig „keine einzige OP-Maske mehr“ zu bekommen war und die neuen nicht zertifiziert waren. „Wir hatten schlicht Angst“, sagt eine Krankenschwester.

Pflegedirektor: „Sie sind ein Hochgeschwindigkeitsministerium“

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn trägt seine Daten in den bereitliegenden Bogen ein – mit einem desinfizierten Kugelschreiber. Nachher wird auch der Tisch desinfiziert.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn trägt seine Daten in den bereitliegenden Bogen ein – mit einem desinfizierten Kugelschreiber. Nachher wird auch der Tisch desinfiziert. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Und „wirklich Sorgen“ macht der kommende Herbst. Es ist nicht alles besser, das wird deutlich im einstündigen Gespräch, aber „sehr problematisch“, findet der Pflegedirektor, dass bald vielleicht Mitarbeiter mit Erkältungen ausfallen, „von jetzt auf gleich“. Und dann die ständigen neuen Regeln: „Sie sind ein Hochgeschwindigkeitsministerium“, findet Elmar Hanke, „aber bitte bedenken Sie, dass wir uns vorbereiten müssen.“ Andererseits sagt Klinik-Chef Hanefeld: „Es hat uns vieles zu lange gedauert.“

„Die ganze Welt kauft das Gleiche“

Der Gesundheitsminister hört zu, fragt nach, verspricht Lösungen („Morgen im Kabinett“), sagt häufig: „Toi, toi, toi.“ Aber er wirkt auch ungehalten. „Es macht einen fast wahnsinnig im Jahr 2020, wie viel noch gefaxt wird“, das klingt noch freundlich. „Wir sind ja dabei“, sagt er aber auch und wird einen Hauch lauter dabei, „Das Problem ist doch immer dasselbe. Die ganze Welt kauft die gleichen Produkte. Wir tun, was wir können.“ Christoph Hanefeld beeilt sich einzugreifen: „Es war kein Vorwurf, nur eine Beschreibung.“

Später stehen sie draußen und sollen sagen, ob sie „zufrieden“ sind mit dem Gespräch. Schon, sie haben mal sagen können, wo die Schwierigkeiten liegen. Sie haben gesagt, dass alles nur gemeinsam ging, im Team, mit großem Einsatz, all das. Ob der Besuch ein Signal der Anerkennung war? „Ich denke schon“, sagt Schwester Anja. „Aber ich kenne Herrn Spahn ja nicht.“

>>INFO: SPAHNS REAKTION AUF DIE PROTESTE

„Das Virus ist und bleibt da“, sagt Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Rande seines Besuchs in Bochum. Ob man Maske trage oder nicht, sei „keine Frage von absoluter Wahrheit, sondern eine Frage der Abwägung“. Es gehe vor allem darum, diejenigen zu schützen, „die nicht 20 und topfit sind“. Die große Mehrheit der Menschen, „die, die aufeinander achten wollen“, trage die Maßnahmen mit.

Zu den Anfeindungen, Pöbeleien und Spuckattacken, wie Spahn sie am Wochenende in Bergisch Gladbach und am Montag in Bottrop erlebte, sagte er auf Nachfrage wenig. Dort sei „kein Zuhören, kein Verstehen-Wollen mehr, nur noch blanker Hass“. Er frage sich: „Was ist passiert, was ist der Grund, dass die Menschen nicht mehr reden wollen?“ Auch habe ihm noch niemand die Frage beantworten können: „In welchem Land wollen diese Leute eigentlich gerade lieber leben als in Deutschland?“