Ruhrgebiet. Versetzter Unterricht ist nicht mehr möglich. Wo es eng wird, droht in der Pause die Maskenpflicht. Ganze Schultage hinter Vlies stehen bevor.
Maske auf, Hefte raus? So einfach eine Maskenpflicht im Schulunterricht auch klingt – in der Praxis sind erneut die Lehrer gefordert, sich Lösungen einfallen zu lassen für all die Probleme, die ein ganzer Schultag hinter Vlies mit sich bringt. Supermarktstress, sechs Stunden lang.
Konzentrationsprobleme befürchten natürlich alle, wenn die Maske zwackt und juckt. Und sind sie nicht auch irgendwann durchweicht? Müssten Kindern nicht zwei oder besser drei Masken pro Tag nutzen, fragt sich Roswita Weber, Leiterin der Theodor-Heuss-Realschule in Dortmund. „Und zuhause müssten die dann jeden Tag gewaschen werden – das wird kaum einer machen.“ Vom Ministerium hat sie 100 FFP2-Masken für Notfälle bekommen. Ob das ausreicht?
„Es wird in der Praxis anders gemacht werden.“
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Weber findet es zwar „supergut, dass man endlich wieder in einen normalen Ablauf startet“, doch die Normalität steht sich selbst im Weg: Bisher haben die meisten Schulen nur ein Drittel der Schüler vor Ort unterrichtet, die anderen erledigten ihre Aufgaben zuhause. Meist blieben ganze Jahrgänge tageweise daheim; so kam man zu versetzten Anfangs- und Pausenzeiten. Wenn nun alle kommen, ist das nicht mehr machbar. Auf manchen Schulhöfen und auf den Fluren werden Abstände kaum noch einzuhalten sein. Die Folge: Selbst in der Pause werden die Schüler ihre Masken vielerorts nicht ablegen können.
Formal sei in den Vorgaben des Ministeriums „kein Raum zum Durchatmen“ vorgesehen, kritisiert Harald Willert, Vorsitzender der Schulleitungsvereinigung NRW. „Es wird in der Praxis anders gemacht werden.“ Aber wie genau, da muss sich wieder einmal jede Schule etwas einfallen lassen. Und: „Das Risiko bleibt bei den Schulleitern.“
„Wo sollen die Schüler essen und trinken, wenn sie nirgendwo die Maske abnehmen können?“, fragt sich Roswita Weber. Die Mensa ist zu eng, um die Masken abzunehmen, der Hof ebenfalls. „Auf dem Flur geht es auch nicht.“ Und macht es Sinn, die Klassen weiterhin einzeln vom Schulhof abzuholen, damit die Schüler sich in den Korridoren nicht so eng begegnen? „700 Schüler in Reih und Glied, das wird schwierig.“ „Ein anderes Problem ist die Lüftung der Klassenräume.“ Weber hat erst vor einem Jahr die Fenster so umbauen lassen, dass sie nur noch auf Kipp zu stellen sind, aus Sicherheitsgründen, damit kein Schüler hinausfalle. Dafür gab es städtische Fördergelder. Aber Stoßlüften ist nun nicht mehr möglich.
Ganztagsschule mit Maske?
Auch Berthold Kuhl steht an der Essener Frida-Levy-Gesamtschule vor ungelösten Herausforderungen: „Wir sind eine Ganztagsschule. Das sind acht Stunden, die ganze Woche lang.“ Auch hier sind versetzte Pausenzeiten aus logistischen Gründen nicht machbar – was Maske ohne Pause bedeutet. Natürlich könne ein Lehrer mit seiner Klasse mal rausgehen, „wenn er merkt, es geht nicht mehr“ – aber generell Unterricht im Freien anzubieten, sei bei 1300 Schülern nur punktuell machbar. Soviel Raum gibt es nicht. Immerhin lässt sich die Sporthalle gut lüften, glaubt Kuhl. Das ist nicht an allen Schulen der Fall. Und die Umkleiden sind auch noch eines dieser Folgeprobleme.
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Kuhl hätte eine andere Lösung statt der Maskenpflicht bevorzugt: Mit halbierten (statt gedrittelten) Lerngruppen, hätte man die Hälfte der Schüler vor Ort unterrichten können, während die andere die gleichen Aufgaben zuhause erledigt. Dieser Vorschlag ist immer wieder von Lehrern zu hören. Aber „grundsätzlich positiv“ findet auch Kuhl, dass es nun wenigstens eine einheitliche Regel gibt.
Hörgeschädigte vor Herausforderungen
Die gleichen Probleme und einige obendrauf hat die Schule am Leithenhaus in Bochum, denn fast alle Schüler sind gehörlos oder hörgeschädigt. Nicht alle beherrschen die Gebärdensprache, und zu dieser gehört ohnehin immer das Mundbild. „Wir müssen uns sehen“, sagt Leiterin Maria-Theresia Küppers. „Und wenn wir eine Benotung haben wollen, müssen wir den Unterricht auch so anbieten, dass alle Kinder anständig lernen können.“
Visiere und Mundschutz mit Sichtfenster, haben sie hier getestet, diskutiert und verworfen: Die Masken beschlagen, das Plexiglas spiegelt und auch hier wird die Stimme undeutlich. Doch gerade Schwerhörige brauchen einen klaren Ton. Wahrscheinlich wird also immer nur der Sprecher seine Maske absetzen. Unterricht im Freien ist auch nicht möglich: zu viele Nebengeräusche. Die Klassenzimmer sind extra schallgedämpft.
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Die Maskenpflicht gilt zunächst bis zum 31. August. „Ich hoffe, dass evaluiert wird, wie die Infektionszahlen reagieren“, sagt Stefan Behlau, Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung in NRW. Einen normalen Regelbetrieb hält er für „nicht vorstellbar. Die Maskenpflicht wird den Unterricht stark beeinträchtigen. Wenn es länger geht, sollten Alternativen geprüft werden – Gesichtsschilde gehören dazu.“
Eine leise Hoffnung auf Verkürzung der zweieinhalb Wochen unter Maske aber gibt es: Laut Wetterbericht stehen die Vorzeichen zum Schulstart auf Hitzefrei.
>> Info: Sind Gesichtsvisiere eine Alternative?
Gesichtsvisiere sind deutlich angenehmer zu tragen als Masken und bieten immerhin einen Schutz vor direkter Tröpfcheninfektion. Könnten Sie nicht langfristig eine Alternative zur Maske darstellen?
Aus dem NRW-Schulministerium heißt es: „Visiere stellen keinen grundsätzlichen Ersatz für eine Mund-Nase-Bedeckung dar.“ Letztere biete – auch nach Einschätzung der Robert Koch-Institutes – einen höheren Schutz.
„Allerdings können Visiere bei Personen zum Einsatz kommen, bei denen das (dauerhafte) Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung aus medizinischen Gründen nicht möglich ist.“ Auch aus Arbeitsschutzgründen könne ein Visier getragen werden, wo ein Mundschutz die Gesundheit beeinträchtigen könnte.