Die Loveparade-Tragödie im aufwendigsten Prozess der Nachkriegsgeschichte ohne Urteil: Wie es dazu kam, zeigt eine beeindruckende ARD-Doku.

Sie blicken aufs Mittelmeer hinaus, und doch könnte ihre Stimmung nicht trostloser sein. Núria Caminal und Francisco Zapater aus Tarragona beklagen den Tod ihrer Tochter bei der Loveparade in Duisburg, und sie fühlen ein zweites Drama nahen: Der Strafprozess in Düsseldorf soll eingestellt werden. Für den Dokumentarfilm „Loveparade - die Verhandlung“ (ARD, 22. Juli, 22.45 Uhr) haben sie Filmemacher Dominik Wessely nahe an sich herangelassen.

Vom ersten bis zum letzen Prozesstag in 90 Minuten

Francisco Zapater und Nuria Caminal auf dem Weg in den Gerichtssaal.
Francisco Zapater und Nuria Caminal auf dem Weg in den Gerichtssaal. © Getty Images | Pool

Damit ist bereits eine Stärke des Films genannt, der das Verfahren vom ersten bis zum letzten Prozesstag in 90 Minuten dokumentiert: Er stellt Nähe zu den Opfern der Tragödie her, die sich am Freitag zum zehnten Mal jährt, ohne je aufdringlich zu sein, er lässt sich nie von der Emotionalität davontragen, sondern bleibt sachlich. Er begleitet auch Gabriele Müller, deren Sohn im Gedränge starb und die sich Antworten vom Prozess erhofft, nicht mehr: „Ich will keine Rache.“

Wessely zeigt Menschen, die tapfer um Fassung ringen, auch wenn sie erfahren müssen, dass es kein Urteil geben wird. „Wenn der Prozess im juristischen Niemandsland endet, wird das eine seelische Katastrophe“, mahnt schon zu Beginn der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum, dessen Düsseldorfer Kanzlei viele Opfer vertritt. Es wird nichts nützen.

Der Film klagt nicht an, er fügt Puzzleteile zusammen

Der Film aber klagt klugerweise nicht an, er fügt Puzzleteile zusammen. Es gelingt ihm, zu beleuchten, wie komplex der Prozess ist, warum er ohne Verurteilungen endet und worin der Unterschied zwischen moralischer und justiziabler Schuld besteht. Der Vorsitzende Richter, die Staatsanwälte, die Verteidiger erhalten genügend Raum für ihre Einordnungen, die ganz ohne Juristenkauderwelsch auskommen und den professionellen Blickwinkel bieten.

Der Verhandlungssaal beim Loveparade-Prozess im Dezember 2017.
Der Verhandlungssaal beim Loveparade-Prozess im Dezember 2017. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Der Gutachter Jürgen Gerlach lässt indes keinen Zweifel daran, dass diese Loveparade an diesem Ort niemals hätte stattfinden dürfen, erklärt und zeigt, warum sowohl das Gelände als auch die Einrichtungen darauf ungeeignet waren. Er zeigt es in so plastischer Form, dass man den Kopf schüttelt: Warum hat das damals im Vorfeld niemand begriffen?

Adolf Sauerland ist auch im Film zu erleben

Dass Wessely den Richter nicht gefragt hat, warum Gerlach sein starkes Gutachten im Prozess nicht mehr präsentieren durfte, etwas, das sich die Hinterbliebenen der Opfer so sehr gewünscht hätten, das gehört zu den wenigen kleinen Schwächen des Films. Auch die Frage, warum es bis zum Prozessbeginn überhaupt so lange dauerte, so dass Verjährungsfristen im Raum standen, bleibt hier unbeantwortet.

Als Zeuge vor Gericht: Adolf Sauerland.
Als Zeuge vor Gericht: Adolf Sauerland. © dpa | Federico Gambarini

Jene, die vielen als Hauptverdächtige gelten, aber nicht auf der Anklagebank saßen, werden ebenfalls gezeigt. Ein aus heutiger Sicht verheerendes Interview-Zitat des damaligen Duisburger Oberbürgermeisters Adolf Sauerland vor der Katastrophe ist zu hören, und es schwebt über allem. Mit Blick auf die Absage Bochums ein Jahr zuvor sagt er: „Wir waren im Zwang, es hinkriegen zu müssen.“

INFO: Zuvor, um 20.15 Uhr, zeigt die ARD das starke Loveparade-Filmdrama „Das Leben danach“.