Jülich. In Jülich entsteht Europas größter Quantencomputer. Wie die Technik funktioniert. Was sie bereits kann. Warum sie unseren Alltag verändern wird.
Europa will aufholen bei der weltweiten Jagd nach dem Quantenrechner – diesem Wunderkasten, der eines Tages schneller rechnen soll als alle Supercomputer zusammen. Dann ließen sich Impfstoffe am Monitor entwickeln ebenso wie neue Materialien, die künstliche Intelligenz würde einen, ja, Quantensprung erleben. Der Mann, der die Entwicklung des mächtigsten Computers Europas leitet, heißt Frank Wilhelm-Mauch. Der Physiker hat zum Juli vom Saarland nach NRW gewechselt. Am Forschungszentrum Jülich arbeitet er am Projekt „OpenSuperQ“, das das Potenzial hat, unseren Alltag zu verändern.
Die Anwendung
Wie weit sind Quantencomputer heute?
Die Stabilität ist die Herausforderung. Es gab ja den großen Durchbruch von Google mit der Quantenüberlegenheit. Mit diesem Rechner konnte man eine Millisekunde am Stück rechnen. Aber die Zeit sagt allein nichts aus. Entscheidend ist die Zahl der Rechendurchgänge, sie liegt bei etwa zwanzig – das muss besser werden. Im Moment ist es so, dass Anwendungen auf einem klassischen Computer laufen und man ruft nur für zeit- und speicherkritische Schritte kurz den Quantencomputer auf. Der gibt sein Ergebnis an den klassischen Computer zurück, der rechnet eine Weile und in der Zwischenzeit startet man den Quantenrechner neu. Das dauert im laufenden Betrieb ein paar Millisekunden. Der Test bei Google war nur ein Selbstzweck, um die Geschwindigkeit zu ermitteln. (Anm.: Benötigt wurden 200 Sekunden, wofür ein Supercomputer wohl 2,5 Tage gebraucht hätte.) Wenn wir von einigen zehn zu ein paar Hundert Rechenschritten kommen, kann der Quantenrechner auch bei nützlichen Aufgaben eine Überlegenheit zeigen.
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Wo werden Quantencomputer als erstes unseren Alltag verändern?
Ich rechne damit, dass wir Mitte bis Ende des Jahrzehnts chemische Prozesse sehen werden, die mit Hilfe des Quantencomputers verbessert wurden. Im Moment schauen sich sehr datenintensiven Firmen an, ab welchem Punkt sie sich einen Quantencomputer kaufen müssen, ob Routenplanung oder Fabrikationssteuerung, Automobil- oder Pharmakonzerne. Aber gerade in der Großchemie sind die Möglichkeiten herkömmlicher Supercomputer bereits weitgehend ausgereizt, wenn es darum geht die Effekte bestimmter Moleküldesigns vorherzusagen. Zum Beispiel bei der Entwicklung neuer Düngemittel. Das klingt sehr trocken, aber die Düngerherstellung produziert drei Prozent des menschengemachten CO2. Und auch bei der Herstellung von Grundchemikalien lassen sich viel Energie und Rohstoffe sparen.
Eine andere Anwendung wäre die Gate-Zuordnung auf Großflughäfen. Tanken, Warten, Waschen, Anschlussflüge – und minimierte Standzeiten. Derzeit lässt man nachts den Rechner ein paar Stunden laufen, um das zu optimieren. Dann hat morgens um 9 Uhr ein Flugzeug einen Schaden. Und es muss improvisiert werden, weil es zu lange dauert, das Optimum auf einem klassischen Rechner nochmal auszurechnen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln forscht gerade daran, das auf den Quantencomputer zu bringen.
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Kann man auf einem Quantencomputer auch „Sim City“ spielen oder „Word“ laufen lassen?
Theoretisch ja. Bei Spielen sind ja Grafikkarten entscheidend, auf denen mehrere Kerne parallel rechnen, so wie es ein Quantenrechner auch tut. Aber die Anwendungen von denen wir jetzt wissen, sind welche, die man in Datencentern macht, die im Hintergrund ablaufen und auf die man über die Cloud zugreifen würde. Ob es dabei bleibt, ist nicht klar.
Werden Quantenrechner schon genutzt, um Verschlüsselungen zu knacken?
Man bräuchte enorm haltbare Qubits dafür oder beim jetzigen Stand sehr viele. Mit aktiver Fehlerkorrektur wird’s bei einer Milliarde Qubits interessant. Das würde ich ausschließen. Man kann aber die Kryptografie auch mit klassischen Computern gegen Quantencomputerangriffe absichern. Wenn man jetzt damit anfängt, und es ist ein Prozess der zehn Jahre dauert, ist man auf der sicheren Seite gegen solche Angriffe.
Die Theorie
Sie müssen uns bitte ein paar Grundlagen erklären. Was ist ein Quant?
Wilhelm-Mauch: Es ist ein unteilbarer Baustein der Natur. Das kann Materie sein, also ein Elementarteilchen, aber auch ein Lichtteilchen ohne Masse, Photon genannt. Für uns ist wichtig, dass in dieser sehr kleinen Welt das Quant Eigenschaften hat, die die klassische Physik nicht kennt. Eine davon ist es, dass die Beobachtung ein Quantensystem beeinflusst. Manchmal ist das Messergebnis also zufällig. Das liegt daran, dass ein Quant im Grunde unendlich viele Zustände zugleich einnehmen kann.
Wie kann man damit zuverlässig rechnen?
Ein klassischer Bit kann nur zwei Werte einnehmen 0 oder 1, Strom an oder aus. Ein Quantensystem kann ich so präparieren, dass es sehr viele Werte zugleich speichert. Ein Algorithmus arbeitet dann auch gleichzeitig damit. Ein Vergleich: Heutzutage kauft man seine Handys und Computer nicht mehr nur nach der Gigahertz-Angabe, man schaut auch auf die Zahl der Rechenkerne. Ein Quantencomputer arbeitet so, als hätte er beliebig viele Prozessoren, tatsächlich macht er es mit nur einem. Am Ende muss man allerdings aus sehr vielen Ergebnissen das richtige herauszufiltern. Es kommt zum Beispiel ein Text heraus und man weiß nicht, ob es ein Liebesgedicht oder eine Steuererklärung ist. Aber das ist die Kunst beim Schreiben der Rechenanweisung. Dieses Problem ist bei einer Reihe von Anwendungen gelöst.
Kann man nicht einfach Quanten mit einem klassischen Superrechner simulieren?
Es gibt noch den Effekt der Quantenverschränkung. Vereinfacht gesagt, kann man damit mehrere Quanten zusammenschalten. Warum das so ist, kann man seit Beginn der Coronakrise leichter erklären: wegen der Exponentialfunktion. Es ist wie beim Schachbrett-Vergleich, wo sich die Zahl der Reiskörner mit jedem Feld exponentiell erhöht, bis man mit den Reiskörnern des letzten Feldes ganz Indien tief bedecken kann. Mit ungefähr 50 Qubits haben sie bereits einen Zustand erreicht, den der größte Supercomputer der Welt nicht mehr beschreiben kann. Bei ungefähr 80 Quantenbits braucht man mehr Zahlen als es überhaupt Teilchen im Universum gibt. Ohne diesen Effekt könnten wir in der Tat Quanten simulieren und es gäbe keinen Vorteil.
Die Entwicklung
Von Jülich aus entwickeln sie Europas leistungsstärksten Quantenrechner. Was ist ihr Etappenziel?
Wir wollen bis 2021 auf 50 bis 100 Qubits kommen und die Augenhöhe mit Google erreichen. Und wir wollen frühen Nutzern die Möglichkeit geben, damit zu arbeiten und Software zu entwickeln. Unser spezieller Ansatz ist eine enorm dichte Integration zwischen Hardware und Anwendung. Wir kommen so zu effizienteren Programmiersprachen. Als nichtkommerzielle Organisation haben wir keine wirklichen Betriebsgeheimnisse, das ist bei US-Anbietern tendenziell schwierig. Wir sind im Verfolgerfeld. Japan ist etwa auf gleicher Höhe wie wir. In China gibt es einen Prozessor, der ist ein bisschen größer, aber unflexibler, als das, was wir gerade haben. Ich erwarte, dass wir, wenn wir wie Google einmal die 50 Qubit-Latte genommen haben, als Forschungsgemeinschaft lange im Bereich bis 100 Qubit bleiben werden und erstmal die Fehleranfälligkeit herunterdrücken. Auf diesem Plateau werden die Karten nochmal neu gemischt.
Wie sieht die Jülicher Anlage genau aus?
Wir haben eine etwa zwei Meter große Kältemaschine, die mit Flüssiggasen auf fast den absoluten Nullpunkt kühlt, auf minus 273 Grad. Wir müssen die Wärmebewegung der Atome ausschalten, da dies sonst die Quanteninformation stört. Diesen sehr hohen Aufwand zu verbessern, ist ein Zwischenziel. Man kennt es aus der Küche, dass Kupferpfannen die Wärme gut verteilen, darum sind auch alle Bauteile in Kupfer und Messing gepackt, damit die Kälte sie erreicht. Die Verkabelung sieht relativ grob aus - denn es handelt sich um Koaxialkabel, wie man sie von Fernsehantennen kennt. Für mich ist eine Faszination des Gebietes, dass solche großen Elektriker-Bauelemente plötzlich Quanteneigenschaften haben.
In einem isolierten Stahlbehälter sitzt nun der eigentliche Computerchip. Dessen Bauteile bestehen aber nicht aus Silizium, sondern aus Aluminium und Niob – Metalle, die bei sehr tiefen Temperaturen keinen elektrischen Widerstand haben. Derzeit sind auf dem Chip zu Testzwecken nur zwei Qubits. Sie bestehen aus „Josephson-Kontakten“. Die haben für uns eine ähnliche Bedeutung wie der Transistor in der klassischen Elektronik. Es sind zwei Aluminiumdrähte, die durch eine ultradünne isolierende Schicht getrennt sind. Man benutzt sie, um Licht mit einer sehr großen Wellenlänge zu erzeugen, im Grunde ist es eine Mikrowelle. Die erzeugten Lichtteilchen sperrt man zwischen Kondensatoren ein, wie zwischen zwei Spiegeln. So kann ein Photon ungefähr eine Sekunde oder zehn Milliarden Rechenzyklen überleben, das reicht.
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Daran liegt die Stabilität also nicht?
Die Josephson-Kontakte sind momentan die Hauptquelle der Störungen Wir haben bei ihrer Herstellung nur einen Bruchteil der Erfahrung, die wir mit normalen Transistoren haben. Nun müssen wir erst mal die ganze Materialwissenschaft und Optimierung machen. Man muss sich klarmachen: Das historische Experiment, das den Start des Gebiets markiert, wurde 1999 publiziert. Die ganzen wichtigen Ergebnisse bis 2010 wurden von Doktoranden in Uni-Labors gemacht. Erst danach ist IBM eingestiegen.