Bochum. Schwarze Löcher und Hunderttausende unbekannte Galaxien: Zwei Experten der Ruhr-Uni helfen dabei, eine neue Himmelskarte zu entwerfen.
„So sieht es aus“, sagt Arpad Miskolczi und streckt uns ein Kabelknäuel entgegen, das ausschaut wie aus der heimischen Grabbelkiste. Doch mit diesen unscheinbaren Drähten lassen sich fernste Galaxien entdecken, Schwarze Löcher beobachten und interstellare Gasnebel beschreiben. Es handele sich tatsächlich nur um handelsübliche Antennenkabel, erklärt der Astronom von der Ruhr-Uni Bochum, das sei der Trick. Das Bauteil in Miskolczis Hand ist ausgemustert, es war mal aufgespannt zu einer kindshohen Pyramide.
Und weil diese Konstruktion so wenig kostet, gibt es mittlerweile über 100.000 Einzelantennen in sieben europäischen Ländern, die mehrere Supercomputer zum weltgrößten Radioteleskop im niederfrequenten Bereich zusammenrechnen. Damit entsteht eine neue Karte des Himmels.
Himmelsobjekte sind auch Radiosender
Die Astronomen um Professor Ralf-Jürgen Dettmar haben das Radioteleskop „Lofar“ (Low Frequenzy Array) mit Hauptsitz in den Niederlanden mitentwickelt. Um besser zu verstehen, wie das funktioniert, müssen wir uns von der Vorstellung lösen, dass allein Licht uns Bilder liefert. Himmelsobjekte sind auch Radiosender. In der Tat können wir auch mit einem ganz normalen Autoradio die echten „Stars“ singen hören, wenn wir zwischen zwei Sendern einschalten; ein kleiner Teil des Rauschens ist kosmische Strahlung. Nichts anderes empfangen auch die Draht-Antennen des „Lofar“-Teleskops, nur dass sie den von Musik, Stauschau und Wetterberichten verstopften Ukw-Bereich aussparen.
Mit einem einzigen Radioempfänger bekomme man nur Rauschen, erklärt Dr. Miskolczi, auch zuständig für die Technik der Lofar-Station. Mit zwei Antennen, sofern sie weit genug auseinander stehen, sehe man schon einen „Blobb“ – je mehr hinzukommen, desto schärfer werde das Bild. Mit 100.000 Antennen ist es superscharf.
Das Universum fliegt auseinander
„Das Universum fliegt auseinander, aber nicht gleichmäßig“, erklärt Ralf-Jürgen Dettmar. „Es bildet Klumpen: Sterne und Galaxien.“ Und warum die sich so verteilen und ausformen, wie sie es tun, ist sein Spezialgebiet und damit das der Astronomie in Bochum: nichts Geringeres als die Entstehung von Sternsystemen. „Wenn man nur die Gravitation arbeiten
ließe, sähen die Galaxien anders aus“, sagt der Astrophysiker. Im interstellaren Raum schwebt Gas, viel Masse, aus denen sich neue Sonnen bilden können. Magnetfelder und explodierende Sterne treiben dieses Gas aus den Galaxien heraus, erklärt Dettmar – und zeigt eine Aufnahme, die mit dem Lofar-Teleskop gelang.
Die etwa 34 Millionen Lichtjahre entfernte „Surfbrett-Galaxie“ im Sternbild des Großen Bären, fachlich als NGC 3556 bekannt, ist auch ein beliebtes Ziel von Hobby-Astronomen. Wie unsere Milchstraße hat sie die Form einer Spirale, wir blicken jedoch auf ihre Seite, daher wirkt sie mit optischen Teleskopen betrachtet wie ein Surfbrett.
Radioteleskop macht Sternwinde sichtbar
Ein Radioteleskop kann jedoch auch Magnetfelder und die darin transportierten Gase sichtbar machen: die Sternwinde. Mit Hilfe von Lofar haben die Astronomen sie mit bisher unerreichter Genauigkeit messen können – „und es spielt eine größere Rolle, als bisher angenommen“, sagt Dettmar. Wie Gischt sprühen die Gase zu beiden Seiten des Surfbretts. Anders als bei optischen Instrumenten spielen „Störungen durch die Erdatmosphäre bei unserem Wellenbereich keine große Rolle“, sagt Ralf-Jürgen Dettmar.
Darum steht die von Bochum betreute Station auf einem Acker neben dem
Forschungszentrum Jülich: ein paar Dutzend Drahtpyramiden, ein Antennenfeld und schwarzer Plastikfolie und ein Kasten voll Elektronik, das eigentliche Herz der Anlage. Der Computer filtert „live“ die ungeheuren Rohdaten und leitet nur die verwertbaren an den Supercomputer im Zentrum weiter. Es sind immer noch mehr als genug. „Das erzeugt die größten Datenmengen überhaupt“, sagt Dettmar. „Es ist nur vergleichbar mit den großen Teilchenbeschleunigern.“
Der Jülicher Supercomputer führt die Signale verschiedener Stationen zusammen. Mit einem kleinen Zeitversatz kann der Rechner umgehen, doch zu groß darf er nicht werden, denn lange speichern lassen sich auch diese Datenmengen nicht. Erst das errechnete „Bild“ wird gesichert. „Es ist eine technisch neue Idee“, sagt Ralf-Jürgen Dettmar. „Alles beruht auf der Digitalisierung.“
Schwarze Löcher wachsen ständig
So hat das weltweite Team aus 200 Astronomen auch magnetische Strukturen zwischen zwei Galaxien erstmals nachweisen und damit theoretische Vermutungen belegen können. Eine weitere Erkenntnis: Schwarze Löcher sind in allen riesigen Galaxien vorhanden und sie wachsen ständig. Nicht zuletzt haben die Forscher bereits Zigtausende neue Galaxien entdeckt, obwohl Lofar bislang nur zwei Prozent des geplanten Bereichs abgesucht hat. Nun soll es den Himmel der gesamten Nordhalbkugel kartieren.
Erwartet werden 15 Millionen neue Objekte. Aber dafür müssen erstmal die Superrechner schneller werden. Schon die Verarbeitung der bisherigen Daten dauerte rund zwei Jahre.